Simple Mädeln

Skifahren in Österreich

»Heimat bist du großer Söhne« heißt es in Österreichs Nationalhymne vielversprechend. Und tatsächlich waren es in erster Linie Männer, über deren Taten sich die junge Republik nach dem Zweiten Weltkrieg definiert hat. Egal ob im Sport (Toni Sailer, Hans Krankl) oder in der Kultur (Mozart, Neujahrskonzert). Dass aber auch Frauen randürfen, wenn es um das nationale Eingemachte geht, beweist in Österreich vor allem der alpine Skisport. Im Dreieck von nationaler Identität, wirtschaftlicher Bedeutung und politischer Repräsentation sind sie hier traditionell vergleichsweise gleichberechtigt.

Mit Annemarie Moser-Pröll gab es in den siebziger Jahren eine Figur, die mindestens so identitätsstiftend war wie die Herren der Schöpfung. Wobei die offiziellen Geschichtsschreiber dieses Landes – die Sportreporter – die Widersprüchlichkeit des Unterfangens durchaus zum Ausdruck brachten. So zitiert das Buch »Das Mädchen Pröll« aus dem Jahr 1973 einen Trainer mit den Worten: »Mädchen können sich unmöglich dafür interessieren, wie man Skier repariert. Sie sind viel zu sehr beschäftigt mit Lippenstift, Schminke und dem Apres-Ski-Leben. Die wirklich guten Rennläuferinnen können daher nur die simplen, einfachen Mädeln sein.« Auf die österreichische Skifahrerin übertragen heißt es: »Und dieser letzte Satz ist wohl der richtigste, wenn man an Pröll denkt.«

Andererseits heißt es in dem Buch »Österreichs Skimädchen« aus dem gleichen Jahr: »Annamirl trieb schon seit jeher mit den Buben ihre Späße, raufte mit ihnen, tat es ihnen in vielen Dingen gleich und zog sich an wie sie. Heute noch hat sie mehr Hosen als Kleider im Schrank hängen. Doch halt! Wer hier auf dumme Gedanken kommt, der soll sie ja nicht laut werden lassen. Einem Sextest hält sie jederzeit stand.«

Einerseits müssen die männlichen Sportgeschichtenschreiber auf die Einfachheit des Pröll’schen Gemüts bauen, ohne die sie längst schon nicht mehr gewinnen und zum Lippenstift greifen würde. Andererseits gilt es sich selbst zu versichern, dass es sich bei ihr überhaupt um eine Frau handelt.

Dass Frauenleistungen als Strategie der Identitätssicherung ambivalent zu bewerten sind, bewiesen aber nicht nur die Schreiber jener Zeit. Die Zuseher daheim waren auch keine unbeschriebenen Blätter, wie eine Episode nach der Disqualifikation von Karl Schranz bei den Olympischen Spielen 1972 in Sapporo beweist. Der erzürnte Verband erwog einen Boykott der Winterspiele und verhängte zunächst einen Trainingsstopp des gesamten Skiteams. Annemarie Pröll und einige Kolleginnen wollten dennoch trainieren, um ihre Chancen nicht zu schmälern. Sie schrieben einen entsprechenden Brief an die ÖSV-Führung, der gegen ihren Willen veröffentlicht wurde. Der Sturm der nationalen Entrüstung in der Heimat war grenzenlos, hunderte Hass- und Schmähbriefe erreichten die Pröll und unterstellten ihr, – heute würde man sagen – den nationalen Schulterschluss aufgebrochen zu haben. Zwar wurde sie danach in Sapporo zweimal »nur« Zweite, doch das vergaß die Volksseele ebenso schnell wie ihr vermeintlich nestbeschmutzendes Verhalten. Schließlich hat die heute 50jährige Salzburgerin mit 63 Weltcup-Siegen, drei Weltmeistertiteln und einem Olympiasieg entscheidend zur Selbstvergewisserung des nicht mehr blutjungen Staates beigetragen.

lukas wieselberg