Spy Shame

Tony Blair muss sich wieder rechtfertigen, wie sich seine Regierung vor dem Irakkrieg verhalten hat. Die neue Spionagegeschichte um den britischen Geheimdienst macht den Premier immer unglaubwürdiger. von alex veit
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Antisoziales Verhalten werde nun hart bestraft, erklärte der britische Premierminister Tony Blair am vergangenen Donnerstag auf seiner monatlichen Pressekonferenz. Die Ergänzung der bestehenden Gesetze sehe eine dreimonatige Haftstrafe für die Eltern von die Schule schwänzenden Kindern vor. Außerdem, so der Premierminister, werde eine von ihm selbst geleitete Kommission sich mit »Afrikas Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft« beschäftigen, denn »Afrika ist die Narbe auf dem Gewissen der Welt«.

Sein Wunsch ist, als ein Staatsmann angesehen zu werden, der die eigene Gesellschaft mit Autorität lenkt und zugleich Armut und Ungerechtigkeit in der Welt durch seine »ethische Außenpolitik« korrigiert. Wunsch und Wirklichkeit klaffen jedoch bei Tony Blair immer weiter auseinander. Denn in der Wirklichkeit interessiert sich die Welt überhaupt nicht für sein erwünschtes öffentliches Erscheinungsbild.

Stattdessen sah sich Blair am vergangenen Donnerstag bohrenden Fragen über das unethische, wenn nicht antisoziale Verhalten seiner Regierung gegenüber den Vereinten Nationen, befreundeten Regierungen und der britischen Öffentlichkeit selbst ausgesetzt. »Das ist genau das Spiel, das ihr Jungs spielen wollt, und ihr wisst, warum ich es nicht mitspielen kann«, versuchte Blair sich jovial zu geben. Er könne nicht mehr als »ein oder zwei Worte« über den so genannten »Fall Gun« und die Vorwürfe der ehemaligen Entwicklungsministerin Clare Short sagen. Denn der Rückzug der Anklage gegen die ehemalige Mitarbeiterin der Geheimdienstzentrale GCHQ, Katherine Gun, und auch die Anschuldigungen von Clare Short am vergangenen Donnerstag beträfen die »nationale Sicherheit«, die gerade in einer »Ära des globalen Terrorismus« besonders geschützt werden müsse.

Short hatte der britischen Regierung vorgeworfen, UN-Generalsekretär Kofi Annan abgehört zu haben. Katherine Gun hingegen war Geheimdienstübersetzerin für die chinesische Sprache Mandarin gewesen, als auf ihrem Computer wenige Wochen vor Beginn des Irakkriegs eine Mail von einem Mitarbeiter der US-amerikanischen National Security Agency landete. Der befreundete Geheimdienst bat die britischen Kollegen um Hilfe beim Sammeln von Informationen über die damaligen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats. Zu dieser Zeit versuchten die britische und die US-Regierung, eine Mehrheit im Sicherheitsrat für ein UN-Mandat zum Angriff auf Saddam Husseins Regime zu gewinnen. Die junge Übersetzerin war persönlich gegen diesen Krieg und gab die mit der höchsten Geheimhaltungsstufe belegte Mail an die Sonntagszeitung The Observer weiter.

Damit machte Gun sich des Geheimnisverrats schuldig, und die britische Staatsanwaltschaft leitete ein Verfahren gegen sie ein, das in der vergangenen Woche eingestellt wurde. Der Generalstaatsanwalt Lord Peter Goldsmith begründete die Verfahrenseinstellung damit, dass die Anklage nicht genügend Beweise gegen Gun habe, obwohl sie die Weitergabe der Mail gestanden hat.

Ihre Verteidiger hatten angekündigt, die Herausgabe von Details über ein umstrittenes Gutachten zur Legalität des Irakkriegs von Goldsmith zu verlangen, das der Generalstaatsanwalt, der die Regierung in legalen Fragen berät, wenige Tage vor Kriegsbeginn erstellt hatte. Die Entstehung dieses Gutachtens, in dem der Krieg auch ohne erneutes Sicherheitsratsmandat als legal interpretiert wird, ist dubios. Wahrscheinlich hatte die Regierung deshalb kein Interesse an der Fortführung des Verfahrens gegen Gun.

Wie The Observer und The Independent on Sunday am vergangenen Sonntag übereinstimmend berichteten, habe es noch eine Woche vor Beginn des Angriffs im Hauptquartier der britischen Armee Zweifel an der Legalität des Kriegs ohne erneutes Mandat des Sicherheitsrats gegeben. Auch Generalstaatsanwalt Goldsmith sei bis kurz vor Beginn des Krieges – wie die meisten britischen Völkerrechtler und auch seine Amtsvorgänger – von der Notwendigkeit eines erneuten Sicherheitsratsbeschlusses ausgegangen.

Nun sieht es also so aus, als habe Blairs Regierung ein positives Gutachten bei Goldsmith bestellt, ohne das der Krieg wahrscheinlich im Parlament nicht beschlossen worden wäre. Zudem sollte das Dokument Klagen wegen Kriegsverbrechen gegen Armee und Regierung von vornherein ausschließen. Nicht zuletzt allerdings war das Gutachten ein wichtiges Argument in Blairs Ringen um Zustimmung zum Irakkrieg in der britischen Bevölkerung. Dass Goldsmith ein guter Freund Blairs ist, in Völkerrechtsfragen nicht gerade als Experte gilt und außerdem zu den Großspendern der Labour-Partei zählt, macht die Sache für Blairs Ansehen nicht besser.

In der Auseinandersetzung mit seiner ehemaligen Entwicklungsministerin Clare Short kann Blair hingegen immerhin auf die Unterstützung der konservativen Presse hoffen. Vom Boulevardblatt The Sun über ein konservatives Blatt wie Telegraph bis zur ehemals angesehenen Times wird der einst maßgeblich für die »ethische Außenpolitik« zuständigen Ex-Ministerin Landesverrat vorgeworfen. Spionage, so der Tenor, sei international üblich und auch im Fall des neutralen Diplomaten Kofi Annan nicht weiter verwerflich. Wie der Premierminister stellten die Kommentatoren eine Verbindung zwischen dem »Kampf gegen den Terror« und Shorts angeblichem Verrat her, obwohl beide Dinge eigentlich nichts miteinander zu tun haben.

Für Tony Blair hat sich die bis heute fehlende überzeugende Begründung des Irakkriegs zum medialen Desaster entwickelt. Erst machte er sich zur Lachnummer, als er einen Artikel eines Studenten über das Waffenpotenzial des Irak als genuines Geheimdienstmaterial ausgab. Dann brachte er US-Außenminister Colin Powell in Verlegenheit, der vor dem UN-Sicherheitsrat stümperhaft gefälschte Dokumente über einen angeblichen Uran-Einkauf des Irak im Niger präsentierte, die er vom britischen Geheimdienst erhalten hatte. Blairs Behauptung, der Irak könne binnen 45 Minuten Massenvernichtungswaffen aktivieren, brachte ihm die Hutton-Untersuchung ein. Der Freispruch Blairs wurde von großen Teilen der Öffentlichkeit als Freundschaftsdienst des Vorsitzenden dieses Untersuchungsausschusses gewertet. Nun steht mit der so genannten Butler-Untersuchung über die Arbeit der britischen Geheimdienste weiteres Ungemach ins Haus, während in den USA ähnliche Untersuchungen weitere unangenehme Enthüllungen ans Licht bringen könnten.

Die Vermutungen über das Goldsmith-Gutachten und die Abhörung von UN-Diplomaten lassen Blairs Vorstellungen von einer »ethischen Außenpolitik« als lächerlich erscheinen. Ob er auch nach den Wahlen im nächsten Jahr noch über die Definition von antisozialem Verhalten und die Narben auf dem Gewissen der Welt entscheiden darf, steht immer mehr in Frage.