Tödliche Komplizen

Mehr als tausend Morde an Frauen wurden in den vergangenen drei Jahren in Guatemala verübt. Aufgeklärt wurden die wenigsten, Frauenorganisationen schlagen Alarm. von wolf-dieter vogel, mexiko-stadt

Zuletzt wurde Odilí Peña Bran lebend gesehen, als sie die Universität in Guatemala-Stadt verließ. Wenige Tage später fand man die Leiche der 23jährigen Psychologiestudentin auf einem einsamen Gelände in der guatemaltekischen Hauptstadt. Die Mörder hatten sie vergewaltigt, ihr den Schädel zertrümmert und mehrmals auf sie eingestochen.

Auch María Isabel Franco wurde brutal misshandelt, bevor ihre Entführer sie ermordeten. Die an Händen und Füßen gefesselte Leiche der 15jährigen warfen die Unbekannten wie ein Stück Abfall am Wegesrand ab.

Von den Mördern der beiden fehlt bislang jede Spur. María Isabels Mutter Rosa wartet seit über zwei Jahren auf Aufklärung – und mit ihr viele weitere Angehörige, deren Kinder, Schwestern oder Mütter in den letzten Jahren ermordet wurden. 1 049 Frauen und Mädchen seien seit Beginn des Jahres 2001 umgebracht worden, erklärte in der vorletzten Woche Yakin Ertürk, die UN-Sonderberichterstatterin zur Gewalt gegen Frauen. Sie besuchte den mittelamerikanischen Staat vom 8. bis zum 14. Februar. Ihr Fazit lautet: Guatemala ist das Land mit den höchsten Ziffern von Gewalt gegen die weibliche Bevölkerung in der gesamten Region.

Einheimische Frauenorganisationen versuchen bereits seit langem, Licht ins Dunkel der Morde zu bringen. Die Bedingungen sind jedoch denkbar schlecht. »Für das Jahr 2000 haben wir keine Zahlen, weil das Innenministerium damals Mordfälle schlichtweg nicht nach Geschlecht erfasste«, erinnert sich Govianna Lemus vom Netzwerk gegen Gewalt gegen Frauen aus Guatemala-Stadt. Erst auf Druck ihrer Organisation hätten die Behörden dann ab 2001 diese Differenzierung vorgenommen. »Wir gehen von 383 im vergangenen Jahr ermordeten Mädchen und Frauen aus«, erläutert Lemus der Jungle World. »Die meisten von ihnen waren 14 bis 30 Jahre alt.«

Nach einer Untersuchung der guatemaltekischen Nachrichtenagentur Cerigua wurde mehr als die Hälfte der Morde mit Schusswaffen begangen. »Eine große Zahl von Opfern wurde vor ihrem Tod vergewaltigt oder gefoltert«, sagt Cerigua-Direktorin Ileana Alamilla. Viele Leichen seien in Säcken oder Mülltüten gefunden worden. Häufig wurden wie im Fall von María Isabel Rosa und Odilí Peña Bran die Schädel zertrümmert, die Körper wiesen viele Messerstiche auf.

Auch die Verfolgungsbehörden stellen immer wieder Gemeinsamkeiten beim Tathergang fest. So spricht die Mordkommission der Zivilen Nationalpolizei (PNC) davon, dass die Täter ihre Opfer alle in der gleichen Form angegriffen hätten. Die Frauen und Mädchen kämen durchgängig aus den unteren sozialen Schichten, seien konventionell gekleidet und bewegten sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Trotzdem gehen Strafverfolger bislang nicht von Serienmorden aus. Staatliche Kriminalisten führen 40 Prozent der Fälle auf einen innerfamiliären Hintergrund zurück. Sandra Zayas, die Leiterin der Staatsanwaltschaft für Frauenfragen im Innenministerium, spricht von verschiedenen möglichen Motiven: Drogenhandel, Prostitution, organisierte Kriminalität.

Auf jeden Fall seien die Jugendbanden, so genannte Maras, für die Frauenmorde verantwortlich, sagt die Anklägerin der Jungle World. Zayas ermittelt hauptsächlich gegen diese Maras, denen in Guatemala etwa 200 000 Jugendliche zugerechnet werden. Die meisten der von ihr bearbeiteten Fälle seien diesen Gruppen zuzuordnen. Von Serienmorden will die Anklägerin nicht sprechen, schließlich seien die Angriffe von verschiedenen Mara-Gruppen verübt worden. »Auch die Motive waren unterschiedlich. Einmal ging es darum, dass sich einer in ein Mädchen verliebt hatte und dieses Mädchen sich nicht für ihn interessierte. Ein anderes Mal hatte sich eine der Jugendlichen einen neuen Freund in einer anderen Bande gesucht«, erklärt Zayas.

Parallelen zu den Vorkommnissen im mexikanischen Ciudad Juarez will die Staatsanwältin deshalb nicht ziehen. In der Grenzstadt im Norden Mexikos wurden nach Angaben von amnesty international in den letzten elf Jahren 370 Frauen ermordet. Zumindest ein Teil dieser Verbrechen ist auf dieselben Täter zurückzuführen. Beobachter gehen davon aus, dass die Morde mit der dort ansässigen Drogenmafia in Verbindung stehen, die wiederum eng mit staatlichen Behörden zusammenarbeitet.

Die Sicherheit, mit der sich Zayas auf die Jugendbanden als Tätergruppe festlegt, wird nicht von allen geteilt. Die Kriminologen von der staatlichen Behörde Sistema de Investigación Criminal schließen sogar aus, dass die Taten von Maras verübt wurden. Nach einer Untersuchung der Behörde bestehe innerhalb der Gruppen ein Kodex, der es verbiete, Frauen zu ermorden. Sergio Morales von der vom Kongress bestellten Ombudsstelle für Menschenrechte meint: »Die Art, wie die Frauen ermordet wurden, ist nicht typisch für die Banden.« Das seien Leute gewesen, »die ihr Handwerk verstehen«.

Was aber könnte dann hinter den Morden stecken? »Nur« die allgegenwärtige patriarchale Gewalt der guatemaltekischen Gesellschaft? Oder ein perverses Freizeitvergnügen der Drogeneliten, wie Expertinnen in Ciudad Juarez vermuten? Auch die Aktivistinnen vom Netzwerk gegen Gewalt gegen Frauen haben darauf keine Antwort. »Woher auch, wenn es keine Strafverfolgung gibt«, sagt Sprecherin Lemus und resümiert: »Was alle Fälle gemeinsam haben, ist die Straflosigkeit.« Staatsanwältin Zayas dagegen verwirft solche Vorwürfe. Schließlich habe man in zehn Verfahren die Verantwortlichen dingfest gemacht, und in zehn weiteren Fällen gebe es Haftbefehle.

Allerdings muss die Strafverfolgerin des guatemaltekischen Innenministeriums selbst einräumen, dass sie nur über den Bezirk Guatemala-Stadt Auskunft geben kann. Nach ihren Angaben handelt es sich dabei um 50 angezeigte Fälle. Über viele der weiteren Morde gibt es praktisch keine Informationen. Denn außer in der Hauptstadt existiert nur noch in Quetzaltenango eine Staatsanwaltschaft für Frauenfragen.

Auch internationale Beobachterinnen teilen den Optimismus der Staatsanwältin Zayas nicht. Yanette Bautista vom Internationalen Sekretariat von amnesty international (ai) in London bezeichnete die »Toleranz gegenüber den Tätern« im Gespräch mit der Jungle World als »sehr besorgniserregend«. Die Uno-Delegierte Ertürk kritisierte, dass von den 383 gemeldeten Morden im Jahr 2003 bisher 306 nicht aufgeklärt worden seien. »Der Grad an Straflosigkeit legt nahe, dass es Gewalt gibt, die von den Behörden begangen wird«, sagte sie.

Dieser Verdacht sollte sich nur wenige Tage nach Ertürks Visite bestätigen. Mitte Februar informierte Sergio Morales darüber, dass die Ombudsstelle für Menschenrechte Ermittlungen gegen Beamte der Zivilen Nationalpolizei (PNC) aufgenommen habe. Mindestens acht Polizisten lege man Morde zur Last. Der Menschenrechtler verweist auf Zeugenaussagen, nach denen ein Netz von Polizisten bestehe, die sich auf Entführungen und Erpressungen konzentriert hätten. Und wenn dann in diesen Fällen ermittelt werde, so Morales, hätten die Beamten die Möglichkeit, Beweise verschwinden zu lassen.

»Jeder hier weiß, dass Leute der PNC in das organisierte Verbrechen involviert sind«, bestätigt Sandra Morán von den »Frauen der Zivilgesellschaft« der Jungle World. Dann erinnert sie an den 36 Jahre währenden Bürgerkrieg, in dem Polizei und Militär brutal gegen die weibliche Bevölkerung vorgingen. Auch wenn die Polizei nach dem Friedensschluss 1996 einen anderen Namen bekommen habe, sei eine »große Prozentzahl der Beamten recycled« worden, sagt sie.

In der guatemaltekischen Regierung agierten in den vergangenen Jahren ohnehin Kräfte, die an dem Bürgerkrieg maßgeblich beteiligt waren. Mit dem Präsidenten Alfonso Portillo kehrte im Jahr 2000 ein Vertreter der rechtsradikalen Republikanischen Front Guatemalas (FRG) ins höchste Staatsamt zurück. Großen Einfluss hat auch der frühere Diktator und jetzige Parlamentspräsident, General Efraín Rios Montt, der in Kriegszeiten zu den schlimmsten Schlächtern zählte. Menschenrechtsverletzungen haben während Portillos Amtszeit zugenommen, kritische Journalisten und Aktivisten wurden mit dem Tode bedroht und auch ermordet. Im Dickicht von kriminellem Milieu, Sicherheitsapparat und Politik seien viele angegriffene Frauen aus Angst vor Repression vor einer Anzeige zurückgeschreckt, erläutert die Aktivistin Morán. Die Brutalität der Täter, die Straflosigkeit und die ausgeprägte Komplizenherrschaft erinnern an die Mordserie im mexikanischen Norden. Die amnesty-Sprecherin Bautista hält die Situation sogar für noch schlimmer. »In Guatemala wurden allein im vergangenen Jahr so viele Frauen ermordet wie in zehn Jahren in Ciudad Juarez«, sagt sie.

Guatemaltekische Feministinnen setzen indes vorsichtige Hoffnung auf den Mitte Januar gewählten konservativen Präsidenten Oscar Berger. Morán von den Frauen der Zivilgesellschaft sagt: »Wir hoffen, dass die Regierung einen Notfallplan entwirft, der sowohl Prävention wie auch eine Untersuchung der Fälle beinhaltet.« Ob der Optimismus gerechtfertigt ist? Die letzten Nachrichten lassen nichts Gutes erwarten. Bereits 30 Frauen seien im neuen Jahr ermordet worden, meldete die Nachrichtenagentur Cerigua am 16. Februar. Allein während des sechstägigen Besuches der UN-Beauftragten Ertürk seien »vier Frauen einem Mordverbrechen zum Opfer gefallen«.