Gemeinsam, aber ratlos

Die Medienaktivisten, die sich auf einer Konferenz in München trafen, um über Netzwerke, Migration, Technologie und Widerstand zu diskutieren, wirkten ziemlich müde. von gabriel pickard

Donnerstagmorgen, der 26. Februar. Im Zug durchs klirrend kalte Deutschland nach München. Im Gepäck eine Einladung zur Konferenz »Neuro – networking europe« und die noch offene Frage, worum es dort eigentlich gehen würde. Was auch immer der selbst für einen Kongress unklare Titel und die Synopsis bedeuten würden, die Teilnehmerliste sprach für sich. Bei der Zusammenstellung hatten sich die Organisatoren scheinbar weniger an einem »who’s who« als an einem »who’s everyone« der medienaktivistischen und künstlerischen Szene versucht.

Mit dabei waren verschiedene, im weitesten Sinne mit Europa und Medienaktivismus verknüpfte Projekte und Leute. Als da wären: die telestreets, freie Fernsehsender aus Italien, israelische Anarcho- und britische Open Source-DJs, das deutsche HipHop-Projekt Brothers Keepers, indymedia-Gruppen aus ganz Europa, das Vernetzungsprojekt WalledCity.org, Medienkünstler aus Ex-Jugoslawien, bis hin zu dem Projekt mybrandenburg.net mit dem Slogan »Ein Steppenland?«.

Den offiziellen Anlass der Konferenz stellte der Start einer neuen europaweiten Internetplattform gegen Rassismus und Ausgrenzung dar: d-a-s-h.org, das mit Fördergeldern aus Deutschland und Europa auf die Beine gestellt wurde. Mit viel Kreativität wurde die ganze Veranstaltung aber in ein Szenetreffen umgewandelt. In allen Ecken bildeten sich Grüppchen, die diskutierten und neue Projekte besprachen. Wie der niederländische Internetforscher Geert Lovink in seinem Vortrag über die Begrenztheit von Netzwerken konstatierte, wurzelt die erste und entscheidende Phase in der Formierung eines Netzwerkes fast immer im Event. Obwohl wir fast gänzlich in die Virtualität entschwinden könnten, empfinde er das reale Zusammentreffen von Menschen als etwas sehr Wertvolles. Die zweite Phase beschreibt Lovink als die des Ausprobierens und der Auseinandersetzung, geprägt von Konflikten, welche die Grenzen eines Netzwerkes ausloten, es zerstören oder interessant machen können. Schließlich und drittens könne ein Netzwerk sozusagen in den Modus geregelten Arbeitens eintreten, in dem die Grenzen klar sind und eine gewisse Einigkeit herrscht.

In dieser recht pragmatischen Definition stecken aber noch Tücken. Sie ist eine wohl zur praktischen Analyse recht nützliche Beschreibung, bietet aber noch wenig Hintergrund und Ausblick. Insgesamt scheint das Thema »Netzwerke« wohl wieder zu so etwas wie einem Diskurshit zu werden.

Die Organisatoren hatten sich um ein Aufbrechen des normalen Konferenzformats bemüht. Die Neuro sollte ein offener Raum mit »inputs and outputs« sein. In einer großen Veranstaltungshalle fanden sich Projektstände, ein »Kiosk für nützliches Wissen« und Leinwände für Screenings.

Das wirkliche Leben der Konferenz spielte sich aber im Café neben der Halle ab; reden, rauchen, trinken, essen, vor Laptops hocken, Texte tippen, E-Mails checken, das ganze Ritual-Arsenal einer Slacker-Kultur. Nach einem sehr dehnbaren Zeitplan fanden dort auch Diskussionsrunden in recht familiärer Umgebung statt. Der Diskurs gestaltete sich zumindest zu Beginn etwas disparat und unkonkret, was zuweilen auch an dem organisatorischen Chaos lag. Auch auf dieser Konferenz war unterschwellig eine gedrückte Stimmung und Ratlosigkeit zu spüren, die sich in letzter Zeit breit zu machen scheint. Die Bewegung steckt in einer Krise, die auf der letzten Makeworlds-Konferenz, 2001, schon ausgerufen wurde, aber noch nicht bewältigt ist.

Der eigentliche Star der Konferenz war Valery Rey Alzaga von der US-amerikanischen radikalen Gewerkschaftsinitiative »Justice for Janitors«. Die kleine, energiegeladene Frau rief mit einem Optimismus, der vielen anderen abging, zu Aktionen auf, die eine tatsächliche Bedeutung entwickelten. Jedoch nicht auf eine platte, simplizistische Art und Weise, sondern mit Verständnis und Anerkennung für die Möglichkeiten der »eher abstrakt agierenden« Theoretiker und Medienaktivisten.

Das Vorbereitungsteam, bestehend aus Florian Schneider, Susanne Lang, Annett Busch und Fred Schell, kommt aus dem Umfeld der »no-border«-Bewegung. Folglich lag ein Schwerpunkt im Bereich Migration und prekäre Arbeit. Die Konferenz Neuro ist als Teil einer kunst- und medienaktivistischen Strömung zu sehen, deren Anfänge bis zur documenta X 1997 zurückreichen. Obwohl schon seit längerem versucht wird, soziale Initiativen für die Bewegungsfreiheit mit Projekten für die Freiheit in der Kommunikation zu verschränken, ist immer noch nicht klar, was diese Verbindung effektiv bedeuten kann und wie sie zu vollziehen wäre.

Beide Ansätze werden als die letzten großen Innovationen in der Linken gehandelt. Und selbstverständlich gibt es Initiativen, gerade aus dem Bereich der »no-border«-Bewegung, die exemplarisch deutlich machen, in welche Richtung es gehen kann. Nämlich in die Richtung einer intelligenten Verknüpfung räumlich und gesellschaftlich unterschiedlicher Gruppen und Zusammenhänge. Sie sollen in ihrer alltäglichen Praxis einer mobilen und medialisierten Welt Anknüpfungspunkte und Austausch in Methoden, Organisation und Analyse der eigenen Situation finden können.

Aber genauso grau wie diese Theorie klingt, so gibt es auch Probleme in der Realisierung Der italienische Theoretiker Franco Berardi, Bifo genannt, stellte die Teilnehmer in dem Abschlusspanel vor ein »binding-problem«, als er darlegte, wie die »neuropathologische Gesellschaft« sich von einem »Prozac-Modell« zu dotcom-Zeiten zur Paranoia gewandelt hat. Dem gegenüber stellte er die Selbstorganisation der Radikalen, von Wissensarbeitern bis Migranten, und warnte vor einem unüberwindbaren gesellschaftlichen Graben, der sich bei einem weiteren Triumph der konservativen politischen Kräfte in Europa bilden könnte.

Florian Schneiders Lieblingsfrage: »Was tun?« stand im Raum. Was tun, um Resonanz in den Massen zu finden?

Zum Ende der Konferenz wurde es eigentlich am schönsten, weil in den letzten Debatten das Gefühl aufkam, dass hier Menschen gemeinsam denken und ringen. Auch wenn die Fragen ungeklärt bleiben.