Mörderische Geister

Im Norden Ugandas terrorisiert die Lord’s Resistance Army die Bevölkerung. Die Regierung hält sich bei der Bekämpfung dieser Gruppe zurück. von alex veit

Als Alice Auma im Mai 1985 von dem Geist »Lakwena« ergriffen wurde, war die Heimatregion der jungen Frau aus dem Norden Ugandas in einer tiefen Krise. Denn die National Resistance Army des Guerillaführers Yoweri Museveni hatte zu dieser Zeit die Regierungsarmee endgültig geschlagen. Nun nahmen einige Soldaten Musevenis Rache an den Bevölkerungsgruppen im Norden des Landes, die ihrer Ansicht nach die besiegte Armee unterstützt hatten.

Alice Auma, die sich fortan Alice Lakwena nannte, gründete die Holy Spirit Mobile Forces und begann Ende 1986, militärischen Widerstand gegen die neuen Machthaber zu leisten. Nach anfänglichen Erfolgen wurde die Rebellin zu einer Ikone stilisiert. Hexe, Prophetin oder »Jeanne d’Arc von Afrika« wurde sie in den Medien genannt, die fasziniert waren von der Mischung aus Geisterglauben, christlichem Fundamentalismus und dem Anspruch, durch eine gewaltsame Reinigung der Gesellschaft einen zweihundertjährigen Frieden zu errichten.

Doch der Geist Lakwena, von dem Alice ihre Eingebungen erhielt, versagte. Der Armee des neuen Präsidenten Museveni gelang es, sie und ihre Rebellen vernichtend zu schlagen. Knapp ein Jahr nach dem Beginn ihres Aufstands musste Alice Auma nach Kenia flüchten.

Der Kampf der selbst ernannten Gotteskrieger war damit jedoch nicht beendet. Ende Februar dieses Jahres überfiel die Lord’s Resistance Army (LRA) das Flüchtlingslager Barlonyo in der Nähe der Stadt Lira und tötete etwa 200 Menschen. Die »Amuka« genannte, von der Regierung ausgerüstete Verteidigungsmiliz des Flüchtlingslagers war chancenlos gegen die überlegenen Waffen der Angreifer.

Der Anführer der Lord’s Resistance Army heißt Joseph Kony und ist ein Cousin von Alice Auma. Er behauptet, ebenfalls von dem Geist Lakwena inspiriert zu sein, erweiterte dieses Glaubenssystem jedoch mit weiteren Geistern und Anleihen aus dem Islam. Als seine Kusine ins Exil flüchtete, führte Kony den Krieg weiter.

Sein Ziel, so lässt sich trotz der spärlichen Informationen, die über ihn kursieren, formulieren, ist die Errichtung einer auf den Zehn Geboten basierenden Ordnung. »Die LRA ist nicht viel mehr als eine Räuberbande«, sagt Klaus Schlichte, Konfliktforscher an der Berliner Humboldt-Universität, »oder ein Kriegsunternehmen, das allerdings nicht besonders erfolgreich ist. Kony hat kein politisches Programm, und die religiöse Dimension ist nur noch Fassade.«

Als Alice Auma 1986 ihre Rebellion gegen die neue Regierung begann, konnte sie auf eine gewisse Unterstützung aus der Acholi-Ethnie zählen. Die Acholi entwickelten erst während der britischen Kolonialzeit eine gemeinsame Identität. Die Kolonialherren zentralisierten die politischen Strukturen im Norden und rekrutierten dort die Soldaten ihrer Armee. Während sich im Süden ein begrenzter Wohlstand zu entfalten begann, verarmte der vernachlässigte, unzugängliche Norden. Der kenianische Politologe Ali Mazrui nannte das sich dort entwickelnde politische System eine »militärische Ethnokratie«, in der politische Teilhabe von der Verfügung über Waffen abhing.

Nach der Unabhängigkeit erhöhten sich die Spannungen zwischen dem Norden und dem Süden, ein brutaler Bürgerkrieg begann. Als Yoweri Museveni, der aus dem Süden stammt, 1986 Präsident wurde, fühlten viele Acholi sich von der neuen staatlichen Ordnung ausgeschlossen, denn nun waren sie nicht nur ökonomisch marginalisiert, sondern hatten auch ihre angestammte Rolle in der Armee verloren. Alice Aumas Rebellengruppe war anfangs ein Sammelbecken für die ehemaligen Soldaten der geschlagenen Regierungsarmee und bot eine Hoffnung auf die Wiedererlangung staatlicher Teilhabe der Acholi.

Solche Legitimität kann die LRA des Joseph Kony nicht beanspruchen, denn seine militärischen Aktivitäten richten sich seit langem gegen die Bevölkerung im Norden selbst. Achtzig Prozent der Menschen leben inzwischen in sogenannten geschützten Dörfern und Flüchtlingslagern. »Furcht vor Entführung und Angriffen hält die meisten Menschen davon ab, ihre Felder zu bewirtschaften«, klagt ein kürzlich veröffentlichter Bericht der Vereinten Nationen. »Ökonomische Aktivitäten haben größtenteils aufgehört, und die meisten Flüchtlinge sind zum Überleben von Hilfe abhängig.«

Gulu, die nördlichste Großstadt Ugandas, erhielt vergangenes Jahr weltweite mediale Aufmerksamkeit, weil tausende Kinder jeden Abend aus den umliegenden Dörfern in die relative Sicherheit der Stadt flüchten, um dort auf den Straßen zu übernachten. Zwischen 20 000 und 30 000 Kinder soll die LRA in den letzten Jahren entführt und zu Sexsklaven oder Rekruten gemacht haben.

In der südlicher gelegenen Stadt Lira, die ebenfalls eine große Zahl von Flüchtlingen beherbergt, kam es nach dem Angriff auf das Flüchtlingslager zu Spannungen innerhalb der Bevölkerung. Aus einer von Lokalpolitikern organisierten Friedensdemonstration spaltete sich eine Gruppe ab, die gezielt Jagd auf Acholi machte, denen sie eine Unterstützung der LRA unterstellte. Ein Mann wurde gelyncht, und als die Armee auf den Mob zu schießen begann, starben vier weitere. Ein lokaler Radiosender hatte zuvor kaum verhüllt zur Gewalt gegen Acholi aufgerufen, berichtete die UN-Nachrichtenagentur Irin.

Warum die ansonsten als militärisch effektiv angesehene ugandische Armee die kleine, ohne Unterstützung der Bevölkerung agierende LRA nicht unter Kontrolle bekommt, wird immer mehr zu einem Rätsel. Verschiedenen Berichten zufolge verfügen die Rebellen sogar über neue Waffen und ugandische Militäruniformen, deren Herkunft völlig unklar ist.

Nach dem Angriff auf das Flüchtlingslager Barlonyo entschuldigte Präsident Museveni sich bei den Überlebenden: »Es ist sehr traurig, und im Namen der Armee möchte ich mich bei den Menschen entschuldigen. Es war ein Fehler der Armee, sie war schlecht koordiniert. Doch dies ist ein langer Kampf, und wir werden ihn überwinden.«

Am vergangenen Mittwoch beschuldigte er die westlichen Staaten, die für knapp die Hälfte des staatlichen Haushalts aufkommen, mitverantwortlich für die Massaker der LRA zu sein. Denn eine Bedingung für die ausländische Hilfe ist die Begrenzung der Militärausgaben auf zwei Prozent des Haushalts. Außerdem, so sagte er der BBC, unterstütze der Sudan die LRA. Dies wird von der sudanesischen Regierung, die die LRA tatsächlich lange unterstützt hat, nun vehement bestritten. Vor zwei Jahren erlaubte der Sudan der ugandischen Armee sogar, die LRA über die Staatsgrenzen hinweg zu verfolgen.

Mehrere Friedensinitiativen, die von lokalen Gruppen und kirchlichen Kreisen ausgingen, sind bereits gescheitert. Seit die Armee 2002 die »Operation Eiserne Faust« begonnen hat, um die LRA auf militärischem Weg zu eliminieren, hat sich die Situation für die Bevölkerung verschlimmert. Nun kommt der Verdacht auf, dass der Staat selbst ein Interesse an der Weiterführung des Kriegs hat. Museveni sei der erste Machthaber aus dem Süden, der Uganda für eine lange Zeit regiert, kommentierte der angesehene in Kenia erscheinende East African die Situation. »Es scheint, als sei er nur allzu glücklich, den Norden schwach und in der Krise zu halten.«