Privatisierte Freiheit

Krankenhäuser, Schulen, Wasserversorgung: Die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen sorgt in Kanada vermehrt für Konflikte. von holger carstensen, vancouver

Schilder und Transparente flimmern über den Fernsehschirm, eine junge Frau in Jeans und Daunenjacke ruft in die Kamera: »Wir werden kämpfen!« Am 26. Februar wurde bekannt, dass die Gesundheitsbehörde Vancouver Islands die Sparten Betriebstechnik und Lebensmittelversorgung im kommenden Sommer privatisieren wird. Tags darauf besetzten die Angestellten dreier öffentlicher Krankenhäuser im Distrikt Victoria Zufahrten und Cafeterias. Die Entscheidung der regionalen Gesundheitsbehörde, einen privaten Anbieter – die Compass Group Canada – unter Vertrag zu nehmen, wird 1 021 Jobs kosten und soll der Bezirksregierung von Vancouver Island bis 2009 jährlich zehn Millionen kanadische Dollar sparen. Die verbleibenden Jobs werden mit neun bis zehn Dollar pro Stunde angesetzt, wo vorher der gewerkschaftlich garantierte Lohn von 19 Dollar gezahlt wurde.

Die Szenen in den Lokalnachrichten – wütende Demonstranten, die ihren Arbeitsplatz besetzen und sich mit Sicherheitskraften streiten – sind ein gutes Beispiel für die Konflikte um die Anwendung des P3-Modells in Kanada und seine möglichen Auswirkungen im Zusammenhang mit der geplanten Freihandelszone FTAA (Free Trade Area of the Americas). P3 bedeutet Private Public Partnership und steht für die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Einrichtungen – wie Schulen, Krankenhäusern oder der öffentlichen Wasser- und Energieversorgung – und privaten Investoren. Diese Partnerschaften erlauben es Unternehmern, öffentliche Einrichtungen zu planen, zu finanzieren, zu bauen und zu betreiben, gewöhnlich zu höheren Gesamtkosten.

Der Vorteil für die öffentliche Hand besteht darin, dass viele dieser P3 eine Ratenzahlung einschließen, die es ermöglicht, die Infrastruktur zu erneuern, ohne den jährlichen Haushalt zu überziehen. In Zeiten knapper Kassen ein willkommenes Rezept.

Im Falle Vancouvers sagte Gesundheitsminister Colin Hansen auf einer Pressekonferenz: »Die Menschen, die ihren Job verlieren, tun mir sehr leid, aber niemand im Gesundheitsdienst kann auf eine lebenslange Anstellung hoffen, wenn das bedeutet, dass dieses Geld nicht mehr den Patienten zur Verfügung steht.« Schließlich sei die Gesundheitsversorgung der 700 000 Menschen, die in Vancouver Island leben, wichtiger, als ein paar gut bezahlte Stellen zu erhalten. Business as usual, möchte man meinen, geht der globale Trend doch schon länger von »sozialem Netz« in Richtung »süßer Hauch von nichts«.

Was P3 zudem interessant macht, ist ihre Scharnierfunktion im Rahmen des zukünftigen FTAA-Freihandelsabkommens, das sich über den gesamten amerikanischeen Kontinent erstrecken und im Januar 2005 unterschriftsreif sein soll.

Wenn es um die Liberalisierung der Märkte geht, »schließt Kanadas Position traditionell Sektoren wie Bildung, Gesundheitsversorgung und soziale Dienste aus«, so André LeMay, Pressesprecher des Außenministeriums. Allerdings gilt dies nur für rein staatliche Institutionen. Mischmodelle wie die öffentlich-privaten Partnerschaften fallen nicht darunter. Was einmal privatisiert wurde, und sei es auch nur teilweise, soll nicht länger von den Wettbewerbsbestimungen des FTAA ausgenommen sein.

Viele Provinzregierungen in Kanada setzen seit den neunziger Jahren auf P3. Mit gemischtem Erfolg: 1994 beauftragte die Regierung der Provinz Neu-Schottland als erste im großen Stil ein lokales Baukonsortium mit der Fertigstellung von 30 Schulen in einer öffentlich-privaten Partnerschaft. Tatsächlich ging so viel schief, dass Neu-Schottland beschloss, nie wieder P3-Schulen zu bauen. Einige wurden auf Grundstücken gebaut, die dem Konsortium gehörten, statt in den Stadtzentren, wo sie benötigt wurden. Zu einigen hatten die Schüler außerhalb der Unterrichtszeit nur sehr beschränkten Zugang, weil der Eigentümer davon profitierte, Räume und Technik zusätzlich zu vermieten.

Ein anderer Fall: In Walkerton, Ontario, starben im Mai 2000 sieben Menschen an E-Coli-Infektionen, nachdem die Regierung die Trinkwasserproben von privaten statt staatlichen Laboren hatte testen lassen. Ontarios Wasserversorgung wurde schließlich wieder verstaatlicht.

Gerade noch rechtzeitig. Denn wenn das FTAA-Abkommen erst einmal in Kraft ist, wird dies ohne Gerichtsverfahren und hohe Schadensersatzzahlungen nicht mehr möglich sein. Der Entwurfstext im Abschnitt »Investitionen« entspricht beinahe Wort für Wort dem berüchtigten Kapitel 11 des Abkommens zur nordamerikanischen Freihandelszone (Nafta). Dieses Kapitel stattete Investoren mit zuvor nicht dagewesenen Rechten gegenüber den Regierungen aus – inklusive der »Investor-State«-Klausel, die es Konzernen erlaubt, Regulierungsmaßnahmen im Sinne eines öffentlichen Interesses als Wettberbsverzerrung vor Gericht zu bringen. Seit Nafta 1994 in Kraft trat, hat die kanadische Regierung Millionen Dollar Kompensation an ausländische Firmen zahlen müssen, die vor Gericht erfolgreich geltend machten, das bestehende Gesetze ihre Profite schmälerten.

Berühmtheit erlangte der Fall Sun Belt Water Inc. gegen die Regierung von British Columbia: Die kalifornische Firma Sun Belt Inc. verklagte die Provinzregierung auf 468 Millionen Dollar Schadensersatz, weil diese ein Gesetz erlassen hatte, das den Export von Wasser aus BC verbot und so einen Vertrag mit Sun Belt für nichtig erklärte, den diese Firma 1991 abgeschlossen hatte. Der Fall wurde vor ein Handelstribunal gebracht, das nach Nafta und der Welthandelsorganisation WTO das Recht hat, Provinzrecht oder nationales Recht zu brechen.

»Der FTAA-Entwurfstext verstärkt diesen Trend noch«, sagt Maude Barlow, die Vorsitzende des Council of the Canadians, eines globalisierungskritischen Netzwerks, das zu den einflussreichsten im Land zählt, in einem Interview mit dem Toronto Star. »Bis jetzt erlaubt Kanada den Export von Wasser noch nicht. Aber Nafta erlaubt kanadischen und US-amerikanischen Firmen prinzipiell den legalen Zugang zu allen Wasserquellen, Gletschern und Seen Kanadas, und zwar ohne Einschränkung. Und wenn die Regierungen versuchen sollten, diesen Export aus Umwelt- oder anderen Gründen zu verbieten, dann können diese Firmen die kanadische Regierung wegen entgangener Profite verklagen, wie im Falle Sun Belt geschehen.«

Die P3-Partnerschaften werden ihren Teil dazu beitragen, dass trotz versprochener Ausnahmen die Kommerzialisierung des Wassers, der Bildung und der Gesundheit unter dem FTAA weiter voranschreitet.

In den Abendnachrichten ist zu hören, dass der Sprecher des Krankenhaus-Managements den Demonstranten damit droht, dass sie vom Gelände entfernt werden, falls sie sich am Abend immer noch dort aufhalten. »So schnell werdet Ihr uns nicht los!« ruft einer der Demonstranten direkt in die Kamera.