Zeichenkriege

Jedes Symbol, in einen Raum hineingetragen, wird zum Instrument von Ordnung und Unterdrückung. georg seesslen über politische Sprachlosigkeit, erster Teil

Symbole sind Zeichen der Ordnungen, in denen wir leben. Politische Symbole, religiöse Symbole, kulturelle Symbole, soziale Symbole, sie alle haben ihre Geschichten und ihre Funktionsweisen. Und in der Regel sind sie zum Kotzen.

Es sind besondere Zeichen, die entweder eine abwesende Herrschaft darstellen (den König, der lieber daheim auf seinem Schloss geblieben ist, als mit uns in die Schlacht zu ziehen), eine Macht, deren Subjekt sich in eine Struktur geflüchtet hat (Deutschland, Borussia Dortmund), das Gebot einer transzendentalen Macht, die ein Zeichen dafür verlangt, dass das mehr oder weniger göttliche Gebot in der Praxis befolgt wird (Kippa, Kreuz und Kopftuch), oder eine Regulation der Klassenzugehörigkeit (Krawatte, Rippenhemd oder Rollkragen).

Erstmal nichts gegen Symbole. Die Verwendung der Symbole in einem bestimmten Raum und in bestimmten Zusammenhängen bestätigt eine Zusammengehörigkeit, reguliert gewisse Riten, erleichtert Kommunikation und macht gute Laune. Der aufgeklärte Mensch mag sagen: Wenn es ihnen dann besser geht, dann sollen sie mit ihren Symbolen herummachen, wie sie wollen. Solange es niemandem weh tut.

Schwierig wird die Sache erst, wenn die Symbole aus ihrem Raum herausgetragen werden. Wenn zum Beispiel ein Mensch sagt: Ich kann ohne meine Symbole nicht sein, weil ich dann nicht vollständig bin, weil ich mich dann unterdrückt fühle, weil mein Symbol gerade verlangt, es zum Zeichen in die Welt zu tragen. Da müssten wir wohl schon zwischen aggressiven und regressiven Symbolen unterscheiden. Und die anderen sagen: Hey, kannst du deine Symbole nicht daheimlassen oder jedenfalls nicht in unseren (oder den gemeinsamen) Raum tragen?

Ein Mensch, der seine Symbole nicht ablegen kann, ist entweder peinlich oder unhöflich, im schlimmsten Fall so unerträglich, dass die Sache sozusagen automatisch zu einer Machtfrage wird. Wer mitsamt seinen Symbolen überall hereinpoltern kann, der hat entweder eine Menge Macht oder er bekommt eins auf die Nase. Ein Bild für den Faschismus, das wir alle kennen: Der schnarrende SS-Mann, der sich ganz mit seinen Symbolen identifiziert hat, bricht in die zivile Wohnung.

Wenn sich Symbole auf den Weg machen, bedeutet das meistens eine Art von Krieg. Manchmal bleibt er auf der Ebene der Zeichen (wir ruhen nicht, bis genau so viele 1860-München-Fahnen wie Borussia-Dortmund-Fahnen auf dem Bahnhof zu sehen sind), manchmal müssen sich die unterlegenen Symbolträger auch verziehen (etwa Krawattenträger von einer Rollkragenparty), doch in der Regel führen Symbole am falschen Ort zu körperlicher Gewalt.

Aber gibt es denn etwa nicht »Peace«-Zeichen? Ist das christliche Kreuz nicht ein »Zeichen der Liebe«? Braucht man nicht, um Frieden zu schließen, wieder Symbole wie meinethalben eine weiße Fahne? Nun, eine gewisse Heiligkeit verlangen auch die Friedenssymbole, man darf sie nicht beleidigen, im Zeichen des Kreuzes standen gewaltige Blutbäder, und die weiße Fahne ist ohnehin nur das Zeichen des Verlöschens von Zeichen. Die leere Fahne, die sich mit den Farben des Siegers zum Beispiel wieder füllen wird. So wie die schwarze Fahne der Anarchie das absolute Ende der Symbolfarben erhoffen lässt.

Gibt es denn so etwas wie Symbole der Freiheit? Freimaurerzeichen, Freiheitsstatuen, Hammer und Sichel, das Anarchy-A? Je genauer man sich die Symbole ansieht, desto weniger kann man dran glauben. Offensichtlich gibt es zwar eine Sprache der Gegensymbole (die Satanisten machen es sich leicht, wenn sie einfach das Kreuz auf den Kopf stellen) und es gibt Symbole der Befreiung (Zeichen, die ihre Bedeutung daraus erhalten, dass sie die Machthaber ärgern), aber in dem Augenblick, wo das Symbol einen Raum besetzt hat, wo es in der gemeinschaftlichen Praxis verwendet wird, da wird es auch schon wieder zum Instrument von Ordnung und Unterdrückung. So können auch Anarchy-A und Peace-Zeichen ihre Unschuld verlieren, wir kennen das, wenigstens als Witze aus unserem politischen Alltag.

Nur das Symbol, das seine eigene Abschaffung zum Inhalt hat, kann ein taugliches Symbol der Freiheit sein. Es ist leider noch nicht erfunden, es sei denn, man bezeichnete überhaupt »Kunst« als genau das System, dieses absurde Symbol als Tor zur Symbollosigkeit zu finden.

Demokratisiert wird ein Symbol allenfalls ein wenig dadurch, dass wir es zum Ikon herunterstufen. Das Zeichen präsentiert dann nicht die abwesend-anwesende Ordnung, die anwesend-abwesende Herrschaft (im Himmel und auf Erden), nicht mehr die anwesende Gewissheit, sondern es bezeichnet eine Haltung, einen Geschmack, eine Anschauung, einen Vorschlag. Vielleicht maskiert es auch einfach nur eine Leere: Besser ein zum Ikon heruntergestuftes Symbol bei sich zu haben, als gar nichts zu sein. Das Ikon spaltet sich, wo das Symbol nur die große terroristische Einheit verlangen kann, es wird zum Statement und zur Selbstidentifikation. Es will den Raum nicht besetzen, sondern durch ihn hindurch gehen. Es steht am Rande zur Privatsache.

Freilich macht das Ikon misstrauisch. Lauert es nicht auf den passenden Moment, wieder zum Symbol zu werden? Ergibt nicht eine Anzahl von Ikonen zusammengenommen wieder ein Symbol? Und sind die Ikonen nicht in kleiner Münze genauso streitsüchtig und terroristisch wie die Symbole? Um sie also weiter zu demokratisieren und semantisch abzurüsten, müsste man sogar noch die Ikonen weiter aufspalten. Sie müssten zum Beispiel Pop werden, sich selber auffressen, sich unentwegt verwandeln. Das ist einerseits kindisch und andererseits auch zu fest in kapitalistischer Hand: Das Ikon als Ware hat ganz gewiss seine Tücken.

Also nimmt man, an sehr verschiedenen Stellen der Gesellschaft und mit sehr verschiedenen Absichten, gleichzeitig mit der Auflösung der Symbole auf dem Markt eine Refundamentalisierung vor. Die Heraufstufung eines Geschmackszeichens zum Ikon, die Heraufstufung des Ikons zum Symbol, die Heraufstufung des politischen Symbols zum religiösen Symbol. So zum Beispiel wird aus einem Kopftuch ein kultureller Kriegsgrund. Darüber müssten wir einfach nur lachen, wenn wir nicht selbst knietief in eben diesem Diskursdilemma stecken würden.

Nehmen wir einmal an, die Ordnung der Welt sei eine der Symbole und der Räume. Dann stellt sich die Frage, was von beiden wichtiger ist: Bestimmt der Raum über die Symbole (Wenn Sie in eine Kirche gehen, nehmen Sie gefälligst Ihren Hut ab) oder bestimmen die Symbole den Raum (Das Empire ist da, wo die Fahne des Empires weht)? Offensichtlich geht unser derzeitiger Bilderkrieg genau um diese dialektische Einheit von Symbol und Raum. Bei euch daheim könnt ihr mit euren Symbolen machen, was ihr wollt. Aber Moment mal, wer ist denn hier wo zuhause?

Ein Kopftuch kann man, wenn ich religionswissenschaftlich richtig informiert bin, unter Fremden durchaus abnehmen, wenn es deren Brauch ist. Wenn man es nicht abnimmt, heißt das auch so viel, dass man nicht mehr »Gast« ist, sondern einen Anspruch auf »Heimat« in genau diesem Raum stellt. Und schon verstehen wir die Hysterie der Leitkultur-Chauvinisten gleich viel besser. Nicht von der »Meinung« und schon gar nicht von der Unterdrückung, die sich vielleicht in dem Symbol ausdrückt – wie gesagt: das Unterdrückerische haben Symbole so an sich! – fühlen sie sich bedroht, sondern von dem, nun ja, symbolischen Anspruch auf den Raum.

Dass die Kippa und das Kreuz etwas weniger bedrohlich empfunden werden, hat nicht nur mit der Geschichte der Zeichen zu tun, sondern auch mit ihrer Flexibilität. Sie werden nicht so vollständig Teil des Körpers (Wir erinnern uns: Bei den »Naturvölkern« wurden die politischen und religiösen Symbole gleich buchstäblich in den Körper eingebrannt und geritzt, weshalb es bei ihnen auch keinen großen Unterschied zwischen Zeichen und Schicksal gibt). Neben aggressiven und regressiven müssten wir also nun auch zwischen den intimisierten und den veräußerten Symbolen unterscheiden, und es ist klar: Die Intimisierung kann uns nicht gefallen. Deshalb haben wir das Fernsehen.

Aber wie in der Herabstufung des Symbols zum Ikon kann man auch das Intimisierte und das Veräußerte kräftig und lustvoll durcheinander bringen. Dieser Zeichengebrauch war eine Zeit lang die große Errungenschaft des Punk, ein manieristischer, inflationärer, negativer Gebrauch, der eines nicht zuließ: das Symbol als Zeichen abwesend-anwesender Herrschaft, als Verpflichtung zu einer gemeinsamen Ordnung, als Schicksal zu missbrauchen. Anders gesagt, das Symbol hatte seine einzige Berechtigung darin, genau am falschen Ort aufzutauchen.

Doch die moralische Restauration hat das Symbol restauriert. Mit fatalen Folgen, wie wir nun sehen. Daher taugt, ganz nebenbei gesagt, wieder einmal eine liberale Reaktion auf den Zeichenstreit unserer Gegenwart ganz und gar nichts.

Der zweite Teil erscheint in Jungle World 13/04.