Besatzer im Paradies

Die Friedensbewegung vor dem Aktionstag am 20. März von jörn schulz

Eigentlich könnte die Friedensbewegung zufrieden sein. »Stoppt die Besatzung des Irak!« ist in verschiedenen Formulierungen die Hauptparole der Veranstaltungen, die am Jahrestag des Kriegsbeginns am 20. März in etwa 60 deutschen Städten geplant sind. Und schon am 30. Juni wollen die US-Besatzer diese Forderung erfüllen und die Souveränität offiziell an eine irakische Regierung übergeben.

Offenbar haben die vor dem Krieg heftig bestrittenen, nun aber kaum noch zu bezweifelnden Bemühungen der USA, im Irak bürgerlich-demokratische Verhältnisse zu schaffen, die Friedensbewegung in Argumentationsnöte gebracht. Vergebens sucht man nach einer empirischen Bewertung der US-Politik. Man behilft sich mit der Forderung nach der »Selbstbestimmung des irakischen Volkes«, ohne sich sonderlich dafür zu interessieren, was die real existierenden Irakis tatsächlich wollen.

Im vergangenen Jahr propagierte die Mehrheit der Friedensbewegung als Alternative zum Krieg ein dem »Völkerrecht« entsprechendes Vorgehen, das die irakische Diktatur auf unabsehbare Zeit konserviert hätte. Liest man die diesjährigen Aufrufe, so gewinnt man den Eindruck, die US-Soldaten zertrampelten gerade das Paradies. »Statt Friede herrscht Chaos und Gewalt«, heißt es beispielsweise im Augsburger Aufruf. Selten fehlt die nicht belegte Behauptung, den Irakis gehe es seit dem Krieg schlechter, und der Bundesausschuss Friedensratschlag erläutert: »Die desaströse Lage im Irak ist zuallererst Resultat eines völkerrechtswidrigen und politisch verheerenden Krieges.«

Dass womöglich das Regime Saddam Husseins eine gewisse Vorarbeit in Sachen Chaos und Gewalt geleistet hat, entgeht der Aufmerksamkeit. Zwangsläufig muss so auch die gesellschaftliche Entwicklung im Irak aus dem Blick geraten, der Jahrzehnte der Diktatur vorangingen. Priorität hat für die meisten Irakis nicht der möglichst schnelle Abzug der Besatzungstruppen, sondern die Demokratisierung und die Verbesserung der sozialen Lage. Doch die Debatte um eine demokratische Verfassung, die Organisierung von Parteien und Gewerkschaften, die Kämpfe in den Fabriken und die Proteste der Frauenbewegung werden in fast allen Aufrufen der deutschen Friedensbewegung konsequent ignoriert.

»Die Macht Washingtons in Bagdad wird täglich schwächer, während die prodemokratischen Kräfte im Land immer stärker werden«, stellt dagegen die kanadische Globalisierungskritikerin Naomi Klein fest. Nach der Widerlegung aller Kriegslügen sei George W. Bush nur noch die Demokratisierung des Irak als Rechtfertigung geblieben, und diese politische Schwäche könne genutzt werden, um eine Demokratisierung ohne die vorgesehenen Bindungen an US-Interessen und die Segnungen des »freien Marktes« zu erkämpfen.

Auch der kurdische Aufstand in Syrien (siehe Seite 19) orientiert sich am Vorbild der Demokratisierung im Irak. Die Chancen zu nutzen, die der Sturz Saddam Husseins der Bevölkerung des Irak und der gesamten Region eröffnet hat, ist keine nachträgliche Rechtfertigung des Krieges. Doch hinter der bürokratischen Fixierung auf das »Völkerrecht« verschwindet jede Perspektive der Befreiung. Faktisch verteidigt die Friedensbewegung jenen Status quo der autoritären Herrschaft, den eine wachsende Zahl von Menschen im Nahen Osten nicht mehr akzeptieren will.