Die Schwarzen sind bereit

Kompetent, liberal, gemütvoll und brutal: Die Union ist wieder regierungsfähig. von winfried rust

Nach dem überwältigenden Wahlsieg von Ole von Beust in Hamburg und angesichts der verheerenden Umfrageergebnisse für die rot-grüne Bundesregierung scheint die Union auf dem besten Weg, die Regierungsmacht zurückzuerobern. Die Nominierung Horst Köhlers zum Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten befestigt den wirtschaftsfreundlichen Diskurs, die Konservativen scheinen nur noch auf den Zusammenbruch der kriselnden Regierung warten zu müssen.

»Bei Rot-Grün spürt man die Sehnsucht nach Opposition«, stellt der Generalsekretär der CDU, Laurenz Meyer, fest. Während die Regierung mit ihren Reformen in der Kritik steht – die Betroffenen empfinden das Ganze als unsozial, die weniger Betroffenen finden es unentschlossen –, stehen die CDU und die CSU allein schon durch ihr Unbeteiligtsein gut da. Ihre Kritik konzentriert sich auf handwerkliche Schwächen der Regierung, an denen sie selbst durch ihre Blockadepolitik im Bundesrat beteiligt ist, und auf den Vorwurf der »Halbherzigkeit«. Die Union hingegen will mit ihrer »Reformkompetenz« überzeugen.

Ihre Pläne zu einer Arbeitsmarkt- und Steuerstrukturreform legten die Konservativen in der vorigen Woche vor, als handelte es sich um das künftige Regierungsprogramm. »Weichen stellen für Deutschland« will man, und so soll das aussehen: Die Union will den Spitzensteuesatz weiter senken, der Staat würde mittelfristig 30 Milliarden Euro weniger im Jahr einnehmen. Hierfür müsste kräftig umverteilt werden, selbstverständlich von unten nach oben. Einnahmeverluste bei den höheren Steuersätzen führen üblicherweise zu einer Verringerung der Sozialausgaben.

Die geplante Arbeitsmarktreform der Union ist ein Katalog von Verschlechterungen für die ArbeitnehmerInnen. Ihre Rechte sollen weiter eingeschränkt, die Arbeitszeit soll verlängert, der Niedriglohnsektor ausgeweitet werden, und die Tarifverträge sollen über betriebliche Abmachungen umgangen werden können.

Alles in allem folgt die Union den Spuren der Regierung von Gerhard Schröder. Die Sozialausgaben und Renten sinken ohnehin, gleichzeitig steigt die Zahl der Armen kontinuierlich an, was mit der hohen Arbeitslosenrate und demnächst mit der Senkung der Arbeitslosenhilfe im Arbeitslosengeld II zu tun hat. Die Union will diesen Prozess weiter verstärken. So soll der Kündigungsschutz bei einer Neueinstellung in den ersten vier Jahren ausgesetzt werden. Über 50 Jahre alte Arbeitslose scheinen für die CDU jenseits der menschlichen Art zu stehen. Für sie kann ein eigens gesenkter Lohn bezahlt werden.

Die Union und die SPD zeigen auf jeweils ihre Art, was als soziale Marktwirtschaft die Bundesrepublik stets ausmachte. Zeiten, in denen die SPD regiert, gelten als Zeiten der Reformierung des Systems. Gerade anhand des Begriffs Reform lässt sich zeigen, dass sich doch ab und zu etwas Neues in der sozialen Marktwirtschaft ereignet. Galten in den siebziger Jahren Reformen als demokratisierend und sozial, so sind sie heute ein Synonym für Sozialabbau geworden.

Diese Begriffsverwandlung wird zu Recht mit der rot-grünen Bundesregierung verbunden. Die SPD und die Grünen haben den Kündigungsschutz verschlechtert, die Spitzensteuern gesenkt, Sozialleistungen gekürzt, die Rechte der Arbeitslosen eingeschränkt und beharren nun darauf, dass dies alles alternativlos sei und damit fortzufahren sei, bis die Probleme behoben seien, was so nie der Fall sein wird.

Denn die Finanz- und Arbeitsmarktkrise wird strikt im Rahmen der marktwirtschaftlichen Sachzwänge als Staatsausgaben- und Lohnkostenkrise betrachtet. Behauptet wird, dass wir über »unsere Verhältnisse« lebten und dass die weltweit steigende Produktivität und der private Reichtum damit nichts zu tun hätten. Immerhin sind die SPD, die Grünen und die PDS erkennbar in ihren Job als Elendsverwalter eingebunden. Das hat aufklärerischen Wert. In der Opposition dürften sie dann versuchen, als Hoffnungsträger wiederzukehren.

Für die Union ist der rot-grüne Reformdiskurs jedoch eine ideale Grundlage für das eigene Reformkonzept. Die Arbeitsmarkt- und Finanzreformer in der Union sind derart selbstbewusst, dass sie mit ihren Ideen sogar die Gegenstimme des sozialpolitischen Flügels der Konservativen provozieren. Vor allem Peter Müller aus dem Saarland und Jürgen Rüttgers aus Nordrhein-Westfalen betonten, das sei alles mit ihnen nicht zu machen. Hermann-Josef Arentz von der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) nannte die Pläne den Versuch, »nach Art eines Überfallkommandos den Charakter der sozialen Marktwirtschaft massiv zu verändern«. Dass das Ganze alternativlos sei, hörte man von der Unionsführung hingegen noch nicht.

Trotz der Widersprüche ist die Stimmung im Moment noch prächtig. Steuererklärungen sollen, geht es nach Friedrich Merz (CDU), bald »auf einen Bierdeckel passen«, und der Generalsekretär der CSU, Markus Söder, erklärt: »Sozial ist, was Arbeit schafft.« Hier spricht die Stimme des Gemüts. So gewann die Union nach der Niederlage bei der Bundestagswahl 1998 und dem Tief der Spendenaffäre wieder Kraft. Mit Kampagnen wie der von Jürgen Rüttgers unter dem Motto »Rinder statt Inder«, mit den Protesten gegen die »Abzocke« an der Zapfsäule, mit der von Friedrich Merz agestoßenen Debatte um die »deutsche Leitkultur«, mit Laurenz Meyers Spruch: »Ich bin stolz, Deutscher zu sein«. In der Opposition entdeckte die CDU die populistische Kampagne.

Mit Erfolg sammelten elitäre Konservative auf der Straße Unterschriften und interessierten sich plötzlich für die »Sorgen und Nöte des kleinen Mannes«, griffen sein autoritäres Nörgeln und sein Ressentiment auf. Zwar ist die CDU zu sehr an ihrem nachhaltigen Regime interessiert, als dass sie einen reinen Populismus oder Neoliberalismus praktizieren wollte. Aber eine Symbiose einer vom Ressentiment geleiteten Ordnungspolitik und wirtschaftsliberaler Ausgrenzung scheint nicht unmöglich, vor allem, wenn sich die Wirtschaftskrise verschärft.

Hinzu kommt die konservativ grundierte Weltoffenheit, für die Personen wie etwa Michel Friedman, Peter Müller oder die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan stehen. Eine Frau als Parteivorsitzende oder Ole von Beust mit seinem homosexuell-urbanen Image zeigen, dass der gesellschaftliche Wandel auch an der CDU nicht vorübergeht. Auch wenn die Arbeitsmarkt- und Finanzreformen ein Kernstück der konservativen Politik sein werden, verfügt die Union über alle Eigenschaften, die sie braucht, um ein breites Spektrum der Bevölkerung anzusprechen. Die Weltoffenheit wird keinem Zuwanderungswilligen nützen, aber darum geht es auch nicht. Es geht darum, dass vorherrschende Stimmungen im Land repräsentiert und auf die gemeinsame Ideologie bezogen werden.

Dass Lohnarbeit und kapitalistische Rentabilität bereits religiös verfestigte Koordinaten sind, spiegelt sich in der evangelisch und katholisch geprägten Bundesrepublik in der Existenz zweier Volksparteien wider. Die C-Partei ist dabei in ihrer Exegese marktwirtschaftlicher Sachzwänge strenger, doch sie bietet einen sicheren Schoß in Christenheit, Familie und Vaterland. Hierin liegt der künftige Erfolgder Union begründet.

Die Union gibt kein Schäfchen verloren und profiliert sich im neuen Mainstream, der nach liberaler Repräsentation verlangt, aber mit der Option auf eine sichere Heimstatt versöhnt werden will. Dass dabei vieles künstlich ist, verkehrt sich stets zu einer Stärke und erleichtert die Distanz zum realen Elend ebenso wie die Koexistenz von Stammtisch und Sushi-Bar.