Highway to Ahaus

Vom sächsischen Rossendorf soll Atommüll auf der Straße nach Nordrhein-Westfalen rollen. Aber auch im Osten regt sich Protest. von normann bierbaum und michael siegel

Wenn wir ein Szenario mit 18 LKW-Transporten betrachten«, sagt Ludger Harmeier, Sprecher des nordrhein-westfälischen Innenministeriums, »dann bedeutet das neun Wochen Ausnahmezustand. Und das nicht nur für Ahaus, sondern republikweit.«

Der Abtransport der 18 Castorbehälter mit Atommüll aus dem ehemaligen DDR-Forschungsreaktor Rossendorf bei Dresden ins Zwischenlager Ahaus wird immer häufiger kritisiert. Hatten die Grünen in Nordrhein-Westfalen noch im Dezember erklärt, der Transport diene der Abwicklung der Atomenergie und sei unproblematisch, so nannte ihre Umweltministerin Bärbel Höhn ihn jetzt »sicherheitspolitisch gefährlich und finanziell unsinnig«.

Der erste große Straßentransport von Atommüll seit dem Verbot durch den damaligen Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) vor 15 Jahren steht bevor, weil die Rossendorfer Castoren nicht auf die Schiene gebracht werden können. In Dresden gibt es keine Gleisanbindung und keinen geeigneten Verladekran. Da in Deutschland nur ein geeigneter Transporter für die Straße vorhanden ist, würde sich die Aktion über Wochen hinziehen. NRW-Innenminister Fritz Behrens (SPD) prognostizierte Kosten von 50 Millionen Euro allein für den Polizeieinsatz in Nordrhein-Westfalen. In den Transitbundesländern Hessen und Thüringen sei mit ähnlich hohen Kosten zu rechen.

Mit Blick auf die Kommunalwahlen im Herbst forderte die nordrhein-westfälische Landtagsfraktion der SPD Bundesumweltminister Jürgen Trittin auf, den Transport »juristisch und politisch« zu verhindern. Trittin sagte dazu in den Westfälischen Nachrichten, er sei als »oberster Atomaufseher dieser Republik« an Recht und Gesetz gebunden. »Jeder tut seine Pflicht.«

Im Trittin unterstellten Bundesamt für Strahlenschutz wird in Kürze über den Antrag des sächsischen Umweltministeriums zum Transport entschieden. Gegenwärtig liegt der Entwurf den Länderbehörden zur Stellungnahme vor. Der gesamte Vorgang sei durch den Atomkonsens gerechtfertigt. »Im Atomkonsens sind die Betreiber von Forschungsreaktoren ausdrücklich von der Pflicht ausgenommen worden, standortnahe Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente zu errichten und zwar nicht auf Wunsch der Grünen«, sagt Trittin.

Ökologisch und gesundheitlich seien weder in Rossendorf noch in Ahaus Schäden zu erwarten, hatte der sächsische Umweltminister Steffen Flath im September 2003 auf eine Anfrage der PDS im Landtag geantwortet. »Kostengünstiger ist die Zwischenlagerung in Ahaus.« Sechs Millionen Euro sollen nach sächsischer Prognose Genehmigungsverfahren, Transport und 40 Jahre Miete in Ahaus kosten. Schon seit 1994 hat Sachsen dort Stellplätze für den Atommüll angemietet, zum Preis von etwa 75 000 Euro pro Jahr.

In Rossendorf wurden bereits 20 Millionen Euro in eine Transportbereitstellungshalle investiert, die von Gegnern der Transporte als faktisch baugleich zu der Lagerhalle in Ahaus bezeichnet wird. Das sächsische Ministerium für Umwelt und Landwirtschaft verlor zu diesem Thema folgende Worte: »Die Halle ist im derzeitigen Zustand nicht als Halle zur Zwischenlagerung genehmigungsfähig. Das betrifft vor allem die Festigkeit des Baukörpers.« Allerdings ist auch die Lagerung in Ahaus unsicher, weil die dortige Halle nicht über eine Barrierefunktion verfügt. Radioaktivität aus undichten Behältern würde nahezu ungehindert freigesetzt werden. Kritiker bezeichnen das Gebäude deshalb als »Turnhalle« oder »Kartoffelscheune«.

Nach Wolfgang Köhnlein von der Strahlenschutzkommission ergibt sich durch den Transport nach Ahaus kein Sicherheitsgewinn. Der Müll kann dort nur für 40 Jahre gelagert werden. Gibt es bis dahin kein genehmigtes Endlager für Atommüll in Deutschland, muss das Land Sachsen seine Altlasten wieder zurücknehmen; dazu hat es sich verpflichtet. Das Lager in Ahaus wiederum ist bislang nur bis ins Jahr 2036 genehmigt. Und die Herstellerfirma der Castorbehälter, die Gesellschaft für Nuclearservice, konnte nur einen Sicherheitsnachweis für eine Lagerzeit von 15 Jahren erbringen. Allerdings soll der Anstrich der Castoren noch verbessert werden. Der Verschluss von Lüftungsklappen in der zukünftigen Lagerhalle biete zusätzliche Sicherheit.

Kritiker bezweifeln, dass eine Sicherheitsgarantie für die Castoren über 40 Jahre möglich ist. Für eventuell anfallende Reparaturen müssten die Müllbehälter in die Pilotkonditionierungsanlage nach Gorleben gebracht werden, weil in Ahaus die dafür nötige »heiße Zelle« fehlt.

Umweltschützer fordern deshalb, dass der Atommüll dort bleibt, wo er ist, in Rossendorf. Der Betreiber des Forschungszentrums, der Verein für Kernverfahrenstechnik und Analytik Rossendorf (VKTA), könnte einen entsprechenden Antrag stellen. Auf Anfrage der Jungle World erklärte der VKTA, die Frage der Vermeidung des Transports stelle sich nicht, da ein Zwischenlager für Brennelemente in Rossendorf nicht vorgesehen sei. Die sächsische Landesregierung rechnete aus, der Umbau der Rossendorfer Halle zu einem Zwischenlager und 40 Jahre Lagerung des Atommülls würden 90 Millionen Euro kosten.

Die 18 Castoren befinden sich in einem Hochsicherheitstrakt. In einem weiteren Gebäude des Traktes lagern 4,5 Tonnen stark strahlendes Thorium, über fünf Tonnen Uran in hoch angereicherter, angereicherter, abgereicherter und natürlicher Form sowie weitere 2 000 Restposten gebundener Kernmaterialien.

Ziel des VKTA sei es, den Müll loszuwerden. »Wenn die Castoren und das Uran aus Rossendorf verschwunden sind, kann das Sicherheitsniveau heruntergefahren werden«, sagt Andreas Eckert von der Grünen Liga in Dresden.

Das strahlende Material, das jetzt dabei stört, Rossendorf zu einem sauberen Forschungszentrum zu machen, stammt aus dem Betrieb des 1957 gegründeten Zentralinstituts für Kernforschung der DDR und gehört heute dem Freistaat Sachsen. Am 16. Dezember 1957 wurde in Anwesenheit des damaligen Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl, ein Forschungsreaktor in Betrieb genommen und als »erster deutscher Reaktor« gefeiert. Tatsächlich aber hatte die BRD schon am 30. Oktober des gleichen Jahres in Garching bei München den ersten Versuchsreaktor in Betrieb genommen.

Im Jahr 1991 wurde der Neuaufbau des Dresdner Forschungsreaktors zugunsten des Projekts Garching 2 abgelehnt. Auch die Münchner haben ohne Transportgenehmigung Stellplätze für ihren Atommüll in Ahaus angemietet. Die dortige Bürgerinitiative sieht die Lieferung aus Rossendorf als Modell für die geplanten Transporte des hochgradig waffenfähigen Materials aus Garching.

Zuständig für die Castortransporte ist die Gesellschaft für Nuclearservice, zu 55 Prozent auch Betreiberin des Zwischenlagers Ahaus. Wenn die Genehmigung erteilt wird, könnten die Castoren schon im nächsten Monat über die Autobahn rollen.

An den möglichen Strecken gab es schon Ende Februar Proteste. Hunderte Atomkraftgegner blockierten Autobahnauffahrten, seilten sich von Kränen ab, protestierten in den betroffenen Städten. Auf einer von der Bürgerinitiative Ahaus direkt gegenüber dem Zwischenlager angemieteten Wiese wird seit dem vergangenen Wochenende gegen die Atommülltransporte gecampt. Andreas Eckert ist optimistisch: »Wenn der Protest laut wird, können wir die Transporte verhindern.«