Mein lieber Schwan

in die presse

Seit nunmehr 35 Jahren bestimmt alle fünf Jahre wieder eine Diskussion das Werteland Deutschland. Ein Ruck müsse her, der neue Bundespräsident solle endlich eine Frau werden. Was mit Annemarie Renger anfing, hörte mit Dagmar Schipanski nicht auf. Und auch jetzt ereilt die Staatsoberhäupter wieder ein offizieller Differenzfeminismus, obwohl die Geschlechterfrage in den Jahren zuvor nirgendwo Thema war.

Gesine Schwan heißt Schröders Neue, die sich vor allem dadurch auszeichnet, dass sie gegen den Strom schwimmt. Schwan lebt, so erfuhr man letzte Woche in ihrem ersten und bisher einzigartigen Interview mit der Frankfurter Rundschau, irgendwie immer noch in den sozialdemokratischen Kontroversen der achtziger Jahre. Wie sonst ist es zu erklären, dass sie an zentraler Stelle den Nato-Doppelbeschluss verteidigt, weil »diese Strategie des Kanzlers Helmut Schmidt, diesen Raketen als Antwort auf die Aufrüstung der Sowjetunion zuzustimmen, richtig war«? Dass Schwan nach eigener Aussage stets Antikommunistin war und auch bleibe beruhigt natürlich ebenso, wie ihre klare Absage an den Feminismus: »Ich selbst war und bin keine Feministin und habe mich auch nie auf einem so genannten Frauenticket gesehen.« Was ihrer Meinung nach wirklich Not tut, sei eine »Grundsolidarität« in der Gesellschaft. Und die werde natürlich in der gegenwärtigen Regierungspolitik als »Versuch, die Grundwerte der Sozialdemokratie zu bewahren«, am besten vertreten.

Also Schwan oder Köhler? Wie angenehm, dass sich diese Frage so nicht stellt, dass man sich keine Gedanken machen muss, ob man den einen verhindert und damit gleichzeitig die andere pusht. Denn die Bundespräsidentenwahl macht diesem Taktieren einen Strich durch die Rechnung: Die Bundesversammlung besteht nur aus Mitgliedern des Bundestags, den Ländern und, man höre und staune, einigen nominierten Prominenten.

Dass wir nicht dabei sein müssen, dafür möchten wir uns an dieser Stelle herzlich bedanken.

jessica zeller