Hausbesuch bei Liebichs

Proteste gegen den Doppelhaushalt

Vor dem U-Bahnhof Eberswalder Straße haben sich rund 500 Demonstranten versammelt. »Den Haushalt kippen – Alles für Alle«, steht auf einem Banner, »Eine andere Stadt ist machbar, Herr Nachbar« auf einem anderen.

An diesem Mittwoch wird gegen den für den nächsten Tag angesetzten Beschluss des Doppelhaushalts 2004/2005 protestiert. Denn der bringt weitere Einsparungen, insbesondere im Sozial- und Bildungsbereich, mit sich. Unter dem Motto »Haushalt kippen« wendet sich das »Berliner Bündnis gegen Sozial- und Bildungsraub«, zu dem Attac, der DGB, die GEW, die Antifa, das Sozialforum, die Initiative Berliner Bankenskandal und das Frauen-Netzwerk gehören, gegen die Kahlschlagpolitik des Senats.

Die Demo bewegt sich die Kastanienallee hinunter, über den Hackeschen Markt zum Roten Rathaus. Interessiert beäugen Passanten und Cafégäste die überwiegend jungen Teilnehmer. »Lasst den Kaffee, lasst die Sahne! Kommt herüber, schwenkt die Fahne!« tönt es aus den Lautsprechern.

Anschließen will sich jedoch kaum einer. »Wir haben in Deutschland einen Sozialabbau, der so gigantisch ist, dass kleinere Aktivitäten die Leute nicht mehr vom Hocker reißen. Sie haben nicht mehr die Hoffnung, dass sich dadurch etwas ändert«, erklärt ein Mitglied von Attac die geringe Teilnehmerzahl.

Hauptredner Peter Grottian, Mitbegründer der Initiativen Bankenskandal und »Ein Recht auf Mobilität – fahrt schwarz!« ruft die Berliner auf, in möglichst vielen gesellschaftlichen Bereichen Konflikte zu suchen. »Schwarz fahren, dass die Schwarte kracht!« feuert er die Demonstranten an. Die Frage der sozialen Mobilität müsse auf die Tagesordnung rücken.

»Wenn weiterhin solche Stadtpolitik gemacht wird, dann wird das neue Berlin geprägt sein durch Armut, durch Kriminalisierung von sozial Schwachen und durch ein zerstörtes Gemeinwesen!« Auf der Kreuzung am Rosa-Luxemburg-Platz wendet sich Benedikt Ugarte-Chacon von der Initiative Bankenskandal an die Menge und ruft auf, die »dumme« Politik des Senats nicht länger zu unterstützen.

Vor dem Roten Rathaus erinnert ein studentischer Vetreter an den rechnerischen Beweis dafür, dass die Einsparungen im sozialen Bereich sowie in der Bildung das Finanzloch der Stadt nicht verkleinern könnten. Doch für viele Einrichtungen bedeuteten sie das Aus.

Am nächsten Morgen steht Rainer Wals, Mitglied des Berliner Sozialbündnisses, in der Oderberger Straße. Hier wurde vor der Wohnung des Partei- und Fraktionsvorsitzenden der Berliner PDS, Stefan Liebich, demonstriert. Die Proteste vor den Privatwohnungen der Abgeordneten seien erfolgreich verlaufen, sagt Wals zufrieden. »Was wir wollten, war, ein Stück Anonymität aufzuheben. Hinter den Entscheidungen stehen schließlich Menschen.«

Matthias Kolbeck, der Pressesprecher des Finanzsenators Thilo Sarrazin, hält sowas für keinen guten politischen Stil. Die Einsparungen seien nötig, und zwar in allen Bereichen. Die soziale Lage in der Stadt solle schließlich langfristig verbessert werden.

Dass die Politiker bereit sind, ihren Beitrag zur Konsolidierung der Landeskasse zu leisten, zeigt sich gleich nach dem Beschluss des Doppelhaushalts am Donnerstag. Der übliche Stehempfang mit Bier und Buletten wird ersatzlos gestrichen.

sonja fahrenhorst