Achse des Betriebsfriedens

Mit dem Aktionstag am 3. April will sich der DGB an die Spitze der Protestbewegung setzen. Stärkerer Widerstand gegen den Sozialabbau ist davon nicht zu erwarten. von felix baum

Als Gerhard Schröder im März 2003 den härtesten Angriff auf die Lohnabhängigen und die Erwerbslosen in der Nachkriegsgeschichte ankündigte, drohte der DGB-Vorsitzende Michael Sommer mit Massenprotesten. Im Mai folgte ein Aktionstag, zu dem der DGB keine zwei Prozent seiner 7,4 Millionen Mitglieder bewegen konnte, am Ende des gleichen Monats erklärte Sommer, »die gröbsten Klötze« seien aus der Agenda 2010 gestrichen, und verkündete eine Protestpause bis zum Herbst. Einzelne Gewerkschafter murrten, doch auch zur Demonstration gegen den Sozialabbau am 1. November in Berlin rief der DGB nicht auf.

Nun tritt er im Rahmen eines europäischen Aktionstages am 2. und 3. April als maßgeblicher Organisator von Demonstrationen in Stuttgart, Köln und Berlin an, gemeinsam mit Attac, Sozialforen und anderen Initiativen.

Der vom Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) initiierte Aktionstag steht unter dem Motto: »Unser Europa – frei, gleich und gerecht«. Dieser europäische Sozialpatriotismus konkretisiert sich hierzulande in der Reklame für das Modell Deutschland, in dem Einheitsgewerkschaft, Mitbestimmung und staatliche Sozialpolitik für einen geregelten Ablauf sorgen.

Unverhohlen werben die Gewerkschaften mit ihrer Ordnungsfunktion, die den Betriebsfrieden sichert, und bringen damit das Wesen ihrer Organisation offen zum Ausdruck. Am 3. April geht es laut Reiner Hoffmann, dem stellvertretenden Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), um den »Unterschied zwischen amerikanischem und europäischem Sozialmodell«. Die »deutsche Besonderheit der Mitbestimmung« könne »ein Segen für die Unternehmen« sein: »General Motors hat zum Beispiel 1998 3,2 Milliarden Dollar in den Sand gesetzt durch einen verlorenen Streik. Wenn die Arbeitnehmerseite eingebunden gewesen wäre, hätte dieser Streik leicht vermieden werden können.«

Auch die Flächentarifverträge, die in letzter Zeit von einigen Unternehmen und der CDU/CSU verstärkt unter Beschuss genommen wurden, empfiehlt der Gewerkschafter als Standortvorteil. Sie bieten den einzelnen Kapitalisten Planungssicherheit. Und »nicht umsonst hat Deutschland neben der Schweiz, Österreich und Japan die wenigsten streikbedingten Arbeitsausfälle in der industriellen Welt«, wie Hoffmann erklärt.

Aus ihrer Stellung zwischen Lohnabhängigen, Unternehmern und Staat erklärt sich das Lavieren der Gewerkschaften angesichts der gegenwärtigen Verschärfung der Ausbeutungsbedingungen. Ihre Existenzberechtigung beruht auf der Artikulation von Arbeiterinteressen, aber diese Interessen müssen in das kapitalistische Getriebe eingepasst werden, das fraglos vorausgesetzt wird. Entsprechend falsch ist die linke Schelte, mit ihrer Orientierung am Standort Deutschland verstießen die Gewerkschaften gegen ihren eigentlichen Auftrag, denn dieser besteht vielmehr in eben dieser Vermittlung und Versöhnung und gestaltet sich um so schwieriger, je weniger das kriselnde Kapital anzubieten hat.

Das Ergebnis sind Gewerkschaftsführer wie Sommer, die der Hartz-Kommission gratulieren, »ganze Arbeit« geleistet zu haben, oder Hubertus Schmoldt von der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), der angesichts der Agenda 2010 meinte, »die Richtung, die der Kanzler vorgibt, stimmt«. Vor dem 3. April fordern sie nun »Korrekturen« an der jüngsten Politik, die zu »einseitig« ausgefallen sei. Die Verzichtsbereitschaft der eigenen Klientel soll mit Zugeständnissen der Gegenseite erhöht werden.

Unterdessen profiliert sich die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer als Reformerin und drängt auf die zügige Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe: »Wer Langzeitarbeitslosen Leistungskürzungen zumutet, muss alles dafür tun, dass sie schnellstens wieder in existenzsichernde Arbeit kommen. Nur so sind auch nachhaltige Entlastungen für die öffentlichen Haushalte und Sozialversicherungen zu realisieren.«

Nicht eine Kampfansage an die Regierung, die Unternehmer und die Verhältnisse, die sie verwalten und exekutieren, ist am 3. April zu erwarten, sondern ein PR-Spektakel für den DGB, der seit 1991 rund ein Drittel seiner Mitglieder verloren hat und nicht mit der SPD in den Abgrund gerissen werden will. Allerdings reagiert die Gewerkschaft auf die Talfahrt der Sozialdemokratie nicht mit einer Distanzierung, sondern verweist auf das größere Übel im Wartestand.

Gegenüber den jüngsten Versuchen der CDU/CSU, die Tarifautonomie auszuhebeln, erscheint die SPD schon wieder als Anwalt der Lohnabhängigen. Sommer erkannte auf dem letzten Parteitag der SPD »gute Signale« und äußerte in einem Atemzug mit dem Aufruf zur Demonstration seine Freude über die Erkenntnis der Regierung, »dass nur eine auf Innovation gepolte Wirtschaft in Zusammenarbeit mit hervorragend ausgebildeten Beschäftigten eine Chance hat, ihren Spitzenplatz als Exportweltmeister zu sichern«.

Vor diesem Hintergrund erweisen sich die Auseinandersetzungen vor den Demonstrationen als Scheingefechte. Einige Sozialforen, Erwerbslosen- und Anti-Hartz-Gruppen, die an der Vorbereitung der Demonstration vom 1. November beteiligt waren, sehen sich vom DGB ausgebootet, der die Organisation für den 3. April an sich gerissen habe. Nachdem man ohne Unterstützung des Gewerkschaftsapparates am 1. November 2003 über 100 000 Menschen versammelt hat, sieht man den DGB nun als »Erbschleicher«, wie der Express, die »Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit« es ausdrückt. Für Aufregung sorgte insbesondere die Einladung an Norbert Blüm (CDU), als Redner auf der Kölner Demonstration aufzutreten, mit der sich nach Ansicht des Anti-Hartz-Bündnisses NRW die Lage »grundsätzlich geändert« habe. Die Absurdität dieser Empörung belegt das Bündnis jedoch selbst, wenn es daran erinnert, dass der DGB in Nordrhein-Westfalen schon vorher eine schnelle Durchsetzung der Hartz-Gesetze forderte.

Dem DGB geht es selbstredend um seine eigene Position, wenn er an die Demonstration vom November anknüpft, an der sich viele Leute spontan beteiligten. Wie gut er dabei mit dem Gros der damaligen Organisatoren, insbesondere mit Attac, zusammenarbeiten kann, wirft allerdings ein Licht auf das Erbe, das er sich vermeintlich erschleicht. Zwischen der gewerkschaftlichen Beihilfe zur Durchsetzung der Leiharbeit und der vollständigen Ablehnung aller Reformgesetze durch einige Basisgruppen besteht zweifellos ein Unterschied.

Abgesehen davon wies der 1. November 2003 jedoch keinen Millimeter über die Ideologie der Gewerkschaften hinaus. Appelle an den Staat, warme Worte über die soziale Gerechtigkeit und allerhand Geschimpfe auf die reichen Steuerdrückeberger bestimmten die Reden. Die Krise, die das Kapital gegenwärtig nur durch einen umfassenden Angriff auf Löhne und Arbeitsbedingungen überwinden kann, wurde auf ein Finanzierungsproblem des Staates reduziert, das mit einigen pfiffigen Steuerrezepten ohne weiteres zu beheben sei. Weil der 1. November mehr mit Bürgerprotest als mit Klassenkampf zu tun hatte, wurde von Verwertung geschwiegen, um bloß von Verteilung zu reden.

Über diesen trüben Horizont wollen am 3. April wenigstens in Köln und Berlin linksradikale Gruppen hinausweisen. Unter dem Slogan »Wir wollen alles« ruft der linke Zusammenschluss »ACT!« in Berlin auf, gleichzeitig organisiert die anarchosyndikalistische Freie ArbeiterInnen Union (FAU) einen schwarz-roten Block. In Köln will ein Bündnis zahlreicher linksradikaler Gruppen angesichts der gewerkschaftlichen Farce von der Demonstration abbiegen und eine eigene Abschlußkundgebung durchführen.