Mein Privatweg zum Ruhm

Die erste Band, der erste Ritter, das erste Album. jens friebe erzählt, wie er Popsänger wurde

Promigeil« ist ein hässliches Wort. Es reduziert die Euphorie, die man empfindet, wenn man wen kennen lernt, den man schon kannte, auf stumpfe Eitelkeit. Dabei ist sie das doch nur zur Hälfte. Zum anderen entspringt sie einem fröhlichen Schock, vergleichbar dem von Alice, als sie merkt, dass es hinterm Spiegel weitergeht – einer Begeisterung für den Moment, in dem eine Illusion zu Material wird.

»Guten Tag, hier ist Alfred Hilsberg«, hörte ich durchs Telefon und dachte »wow!« Einen Monat früher hätte ich gedacht »aha?«, aber Kommissar Zufall hatte mir soeben die gehypte Monografie »Verschwende deine Jugend« zugespielt, und so war mir neben der Neuigkeit, dass Slime gar nicht direkt vom Blues kommen, auch viel Interessantes über das Trüffelschwein der Bewegung bekannt geworden. Die Nachhaltigkeit, mit welcher der mittellose Punkmäzen Hilsberg durch dieses Buch voll wunderlicher Sagen spukte, versetzte ihn für mich ins Reich der Phantasie. Seine Fleischwerdung in meiner Lebenswelt war wie ein Clash der Dimensionen. Für mich war er von da an »Alfred Hitchcock«, in Anlehnung an den ebenfalls halbrealen, väterlich-telefonischen Auftraggeber der drei Fragezeichen.

Das Problem: Meine Mitstreiter waren tatsächlich Fragezeichen, offene Stellen, schwarze Löcher – und ich allein, ein fetter, unbeweglicher Justus Jonas; ein Neuling in Berlin, gekommen mit dem Plan, sich nach und nach per Rattenfängertechnik eine Band zu erspielen. Bei jedem Konzert ein neuer Musiker, so die Rechnung, bis man irgendwann eine ganze Armee hätte, so groß wie das James-Last-Orchester. Dass mich bei meiner ersten Show in Hamburg Jochen Diestelmeyer sehen und weiterempfehlen würde, hatte ich nicht hoffen können. Doch so war es gekommen, und jetzt saß ich im siebten Himmel in der Patsche. Hitchcock machte Druck.

»Wie lange brauchst du, um ein Album aufzunehmen?«

»Äh, ich weiß gar nicht, wie und mit wem und...«

»Ein halbes Jahr?«

»Oh Gott, na gut.«

Ich brauchte Hilfe.

Rückblende

Armin von Milch verehrte ich bereits, als ich noch sehr klein war. Meine Schule lag auf einem Hügel, von dem aus man die ganze schlechte Architektur unserer Mittelstadt überblicken konnte. Wegen ihr und des hohen Niederschlags hörten alle in meiner Klasse Metal. Als eher neurasthenischer Typ konnte ich Musik, die sich anfühlt, als werde man von Catchern vergewaltigt, aber nicht richtig verarbeiten. Statt in einer Höllenkutsche wollte ich dem bleiernen Alltag auf den goldenen Schwingen der Extravaganz entkommen. Ein älterer Junge, mit dem ich meine erste Band nach dem Stimmbruch gründete, half mir dabei, indem er mir Sachen wie The Fall und Half Man Half Bisquit vorspielte. Von ihm hatte ich auch die zweite Milch-Platte »Frauenhände« (1992). Sie war krank und zärtlich, kitschig und catchy, dabei trotzdem irgendwie Underground. Das fand ich super, und ich liebte auch die expressionistischen cut-up-lyrics, die Kerstin Grether damals in der Spex mit den Worten nachaäffte: »Nerven meine mich verlassen, immer weiter weg vom Weg.«

Nach Köln zog ich 1996, genau als Milch das Achtziger-Revival erfanden, was kaum einer merkte, denn ihr Album »Socialpark« erschien aus bösen Gründen erst 2000 – zu spät für ihren Ruhm als Avantgardisten, aber gerade rechtzeitig für mich und meine Clique. Wir lebten von Vegetarismus und dem Liebestrank Red Bull-Jägermeister. Drei Stunden lang dachten wir, wir könnten die Welt verändern – drei Stunden an jedem Wochenende. Das machte u.a. die gute Musik, und wenn in 20 Jahren jemand mit einer »Sofort bestellen!«-Compilation Geld aus der Nostalgie meiner Midlife Crisis zu schlagen plant, sollte er/sie nicht vergessen, die Songs »Modern Talking« und »Es gibt kein geregeltes Leben« draufzupacken.

Nach der Rückblende

Wir sehen Berlin wieder im Jahr des Pferdes und mich auf der Suche nach einem Ritter. Ich fahndete, grübelte, befragte Orakel. Bis eines Tages etwas Telepathisches passierte: Ich und mein Freund Linus aus Köln kamen unabhängig voneinander auf die Idee, den einstmaligen Befeuerer unserer Eintracht für meine Sache einzuspannen. »Zwei Dumme, ein Gedanke können nicht irren«, dachte ich und ging ins WMF, um Armin zu treffen. Tatsächlich war er da. »Du bist doch Armin von Milch, oder?«, fragte ich. »Ja, möchtest du Drogen nehmen?«, fragte er zurück. »Das läuft ja sehr gut«, dachte ich, lehnte aber ab, als klar wurde , dass mir hier nicht ein gemeinsamer Rausch, sondern ein Job als Vorkoster von halluzinogenen Dragees angeboten werden sollte. Er hingegen nahm mein Demo an, und ein paar Wochen später saßen wir bereits im fast unmöblierten, nur von einem schlecht ziehenden Ofen angewärmten Chateau de Milch vorm Rechner und nahmen meine Stücke auf.

»Vorher Nachher Bilder« war das erste und schlimmste. Kein elektronischer Beat funktionierte bei diesem gottverfluchten Rock’n’Roll-Stück, entweder es ging nicht ab, oder es war zu voll. Wir hörten es bestimmt 1 000 Mal, und kurz nachdem wir angefangen hatten, das Lied und einander zu hassen, beschlossen wir einfach, mit was anderem weiterzumachen. Die Arbeit wurde umgehend leichter und erfolgreicher, die Atmosphäre wandelte sich rapide zum Guten, beinahe zum sehr Guten. Zwar loderte hinter der ruhigen Art meines Produzenten eine virile Wildheit, die es ihm verbot, mich durch positive Psychologie zu verweichlichen, aber als Trost bekam ich Whiskey und Tiernamen. Mein Gesangsstil brachte mir »Katzencasanova« ein; wenn ich fror, obwohl doch die »Heizung« an war, hieß ich »Gaszentralkätzchen«. Ging ich aber nervös auf und ab, war ich ein »autistischer Tiger«. Alles irgendwie mit Katze. Seltsam!

Am meisten Spaß hat das Lied »Star« gemacht, weil Armin am wenigsten Respekt davor hatte. Er meinte irgendwie, es habe keine vernünftige Struktur, und deswegen packten wir es mit so viel Trash wie möglich voll, zum Beispiel dem »Delay Lama«, einem Tool, mit dem man singende Buddhistenmönche simulieren kann. Das Ergebnis war bunt und verwegen. Als kurz nach Silvester bei einem unfachmännischen Eingriff Armins Festplatte in Flammen aufging, waren all seine Daten gelöscht. Nur meine Songs blieben unbeschädigt. Ich glaube nicht an Zeichen.

Ende

Leider war am Ende der Aufnahmen (Armin musste sich auch mal wieder um seinen eigenen Laden kümmern) noch etwas Platte übrig. Zu zwei Stücken waren wir nicht mehr gekommen, und der Titeltrack ging ja so nicht. Ich brauchte also wieder Hilfe, aber diesmal hatte Alfred schon eine Idee. Als Produzent meines Endspurts suchte er den großen und deshalb viel beschäftigten Tobias Levin für mich aus. Als ich zu ihm vorgelassen wurde, war es bereits Sommer. Mit unendlicher Leutseligkeit und als sei er gar nicht mit ruhmvollem Tun überlastet, begrüßte mich Levin schließlich in seinem Studio. Ich mochte ihn auf Anhieb, zumal er mich sehr lustig zu finden schien. Erst lachte er nur über meine Witze, dann über dezent scherzhafte Bemerkungen und am Schluss auch über völlig ernst gemeinte Sätze. Das verstand ich dann zwar nicht mehr, nahm es aber durchaus begeistert mit.

Auch um meine Kunst kümmerte er sich so reizend wie verständig und nahm sich bei jedem Schritt Zeit wie Heu. In den wenigen Fällen, in denen sein Perfektionismus, statt Gutes zu erreichen, das Erreichte zu vernichten drohte, gab es den sympathischen Assistenten Thorsten, der dann sagte: »Es ist gut so. Wie bitte? Nein, das machen wir nicht mehr, es ist wirklich gut so!« Vielen Dank dafür und vielen Dank vor allem auch an Christoph Leich von den Sternen, der so aufopferungsvoll und gut trommelte, immer im Wettlauf mit der von Levin sinnvoll verbrauchten Zeit, denn »ab 16.00 Uhr werde ich untight«, so sein banger Wahlspruch. Wenn man ihn mit allen anderen in diesem Artikel erwähnten Personen in einen Sack steckte und ungezielt drauf los streichelte, es träfe immer den Richtigen. Das Gegenteil gilt für den Booking-Agenten, der mir die Zusammenarbeit verweigerte mit der Begründung, er könne nicht hinter dem Text des Liedes »Deutsches Kino« stehen, da es die heimische Filmindustrie schlecht macht. Der wird schon noch sehen! Wie schlecht er in meinen Erinnerungen wegkommt.