Über die Runden

Volker Kluge schreibt faktenreich über das 98jährige Leben von Max Schmeling. Aber mit einem Urteil über den früheren Boxweltmeister hält er sich zurück. von martin krauss

Mit einer gewissen Spezies Mensch, die gerne in der Rubrik großer Deutscher geführt wird, verhält es sich irritierend: Es gibt keine oder kaum kritische Bücher über sie. So war es, um nur ein Beispiel zu nennen, mit Heinz Rühmann, der erst tot und hundert werden musste, ehe sich unabhängige Biografien ihm widmeten, und so ähnlich ist es auch mit Max Schmeling.

Volker Kluge, ein Berliner Autor, der in der DDR zu den renommiertesten Sportjournalisten zählte, hat nun die erste kritische Biografie des früheren Boxweltmeisters vorgelegt.

Die erste? Die erste seit 72 Jahren! Denn 1932, Max Schmeling hatte gerade seinen WM-Titel im Schwergewicht gegen Jack Sharkey verloren, legte Rolf Nürnberg sein Buch »Max Schmeling. Die Geschichte eines Kämpfers« vor, in dem er den wohl vor Boris Becker ersten sportlichen Weltstar, den Deutschland hervorbrachte, als großen Opportunisten und eiskalten Karriereplaner darstellte.

Nürnberg, ein linksliberaler Sportjournalist, war Jude und floh vor den Nazis in die USA. Volker Kluge hat ihm, er nannte sich in den USA Ralph Nunberg, das neue Buch gewidmet.

Das ist eine vielleicht übertrieben, vielleicht auch nobel wirkende Geste, um einen vergessenen Sportjournalisten zu ehren, aber mit dieser Geste begibt sich Kluge in die Konkurrenz zu Nürnberg, der seine Sicht auf Schmeling schon vorgelegt hatte, als die Nazis noch nicht an der Macht waren.

Nürnbergs Buch, das nur noch antiquarisch zu haben ist, zeichnet sich zwar durch etliche kleinere Rechercheschlampereien, aber vor allem durch ein einfühlsames, sprachgewaltiges, gleichwohl nicht undifferenziertes Urteil über Schmeling aus.

Volker Kluge hingegen macht es eher andersherum. Sein Buch ist gründlich, zum Teil gar penibel recherchiert. (Ich weiß, wovon ich schreibe, denn ich arbeite gegenwärtig selbst an einer Biografie über Max Schmeling, die im Frühjahr 2005 erscheint.) Aber anders als das große Vorbild Nürnberg/Nunberg gelangt Kluge nicht zu einem sicheren Urteil über den großen Sportler. Kluge bleibt da eher schwankend, was sich auch im mitunter hölzernen Stil niederschlägt, der sich schon im Inhaltsverzeichnis andeutet: Es gibt leider kaum ein Boxbuch, das ohne die Umbenennung der Kapitel in Runden auskommt, und ohne Not hat Kluge diesen, sagen wir: früheren Gag nicht nur auch benutzt, ihn gar in den Untertitel des Buches aufgenommen, sondern sogar noch das Vorwort als »Warm-up«, das Nachwort als »Cooling down« daherkommen lassen, also mit Begriffen bezeichnet, die nicht unmittelbar dem Boxsport, sondern der Trainingslehre entspringen. Das klingt dann doch ein wenig zu gewollt.

Doch es wäre noch durchgegangen, enthielte dieses »Cooling down« wenigstens ein klares, gleichwohl differenziertes Urteil über Schmeling. Stattdessen findet man Sätze wie diesen: »Wie man zu ihm auch steht, gilt es anzuerkennen, dass er glänzend über all die Runden kam, selbst wenn ihm das Auf und Ab des Lebens nicht erspart blieb.« Und als Gesamtfazit seines Buches bietet Kluge an: »Für eine solche Jahrhundertkarriere kann es deshalb eigentlich nur ein gerechtes Urteil geben: ›Max Schmeling, Deutschland – Sieger nach Punkten!‹« Wen auch immer Kluge da als imaginären Gegner im Auge hat, der mit einer Punktniederlage davonschleichen muss.

Aber das steht am Ende des Buches, und während sich der Biograf an solchen Stellen vor einer Meinung zu drücken scheint, dürfte sich der Leser seine über Schmeling schon gebildet haben: Denn Kluge geht gründlich und auch schonungslos durch das Leben des mittlerweile zurückgezogen in der Nähe von Hamburg lebenden Schmeling. Er schildert materialreich, wie Schmeling Anfang der zwanziger Jahre zum Boxen kam, 1924 Profi wurde, aber inmitten der vielen damaligen großen deutschen Berufsboxer nicht richtig auffiel, obwohl er recht bald Deutscher Meister und sogar Europameister im Halbschwergewicht wurde. Großes Augenmerk legt Kluge auf den Kampf, den Schmeling 1927 gegen den Kölner Hein Domgörgen in Leipzig absolvierte: Zwei technisch exzellente, aber nicht allzu populäre Kämpfer traten in den Ring, und erst durch den Sieg über Domgörgen, der damals Deutscher Meister im Mittelgewicht war, erhielt Schmeling einen ersten Popularitätsschub.

Kluge berichtet vom Umstieg Schmelings ins Schwergewicht, von seinen 1929 beginnenden Versuchen, in den USA zu reüssieren, und von den eher zurückhaltenden Reaktionen, als Schmeling 1930 durch Disqualifikation seines Gegners Jack Sharkey den vakanten WM-Titel im Schwergewicht errang. Den Titel verlor er 1932 wieder, erneut gegen Jack Sharkey, und dann fiel Schmeling in eine große boxerische Krise, aus der er sich so richtig erst 1936 durch seinen K.o.-Sieg über Joe Louis befreien konnte. Während Kluge diesen Kampf, wie auch Schmelings Niederlage gegen Louis im Jahr 1938, die sowohl boxerisch als auch durch die symbolische Bedeutung, den die zwei Kämpfe des »arischen Übermenschen« gegen das »Lehmgesicht aus Alabama«, wie die NS-Presse schrieb, besaßen, ausführlich analysiert, hat ein anderer Kampf bei Kluge erstaunlicherweise nur eine untergeordnete Bedeutung.

Am 8. Juni 1933 nämlich, nur wenige Monate nach dem Machtantritt der Nazis in Berlin, verlor Schmeling gegen den US-Boxer Max Baer, und was diesem Kampf die große Symbolik gab, ist ein Umstand, der in Deutschland weitgehend vergessen ist, bei vielen älteren Juden hingegen bis heute eine größere Bedeutung als Louis’ K.o.-Sieg in der ersten Runde 1938 besitzt: Baer, selbst katholischer Herkunft, trat mit einem auf die Trousers gestickten Davidstern an und bezwang Schmeling durch K.o. in der zehnten Runde.

Wie ambivalent sich Schmelings Leben nach 1938 entwickelte, ist wiederum bei Kluge sehr informativ nachzulesen: Etwa, wie Schmeling zwei jüdische Jungen in der so genannten Reichskristallnacht vor den Nazihäschern versteckte, aber auch, wie er immer wieder die Nähe zu den Nazioberen suchte. Erstaunlicherweise geht Kluge dabei kaum auf die in etlichen Schriften von Schmeling selbst formulierten Heroisierungen ein, er sei ja eigentlich ein Widerstandskämpfer gewesen etc., und belässt es bei einer in der Tendenz eher wohlwollend gehaltenen Aufzählung von Schmelings Aktivitäten.

Ähnlich verhält es sich mit der Schilderung der Zeit nach 1945, als Schmeling endgültig zum Jahrhundertdeutschen avancierte: als einer, der in jedem politischen System Erfolg habe, und als einer, der auch in schwerer Zeit anständig geblieben sei.

Volker Kluges großer biografischer Entwurf über Max Schmeling lässt kaum einen wichtigen Aspekt aus. Das unterscheidet sein Buch von all den anderen Büchern über Schmeling, die, außer Nürnbergs Werk aus dem Jahr 1932, allesamt Auftragsarbeiten waren, wobei Schmeling selbst mit vier Autobiografien (!) den Rekord hält. Schon deshalb gehört es zu den wertvolleren Sportbüchern, die gegenwärtig zu haben sind.

Max Schmeling wird im September 2005 seinen hundertsten Geburtstag feiern, und spätestens da – das Beispiel Rühmann hat es gezeigt – sollte auch die deutsche Öffentlichkeit mal mit einer kritischen Betrachtung ihres Helden beginnen.

Volker Kluge: Max Schmeling. Eine Biografie in 15 Runden. Aufbau-Verlag, Berlin 2004, 560 S., 24,90 Euro