Anschlagswelle in Taschkent

Schießereien und Selbstmordattentate erschüttern die usbekische Hauptstadt. Die Behörden verdächtigen al-Qaida. von peter böhm, taschkent

Ulugbek (Name geändert) trinkt Wodka wie der sprichwörtliche Russe, tanzt wie Michael Jackson und grüßt so lang und ausschweifend wie in Usbekistan üblich. Damit unterscheidet sich der 23jährige Student der Betriebswirtschaft aus Taschkent nicht von anderen jungen Leuten hierzulande. Usbekistan ist ein säkulares Land, vergleichbar etwa mit der Türkei, auch wenn fast alle außer der rund eine Million Menschen aus dem europäischen Teil der ehemaligen Sowjetunion, die noch hier leben, Muslime sind. Seit der Welle von Anschlägen der vergangenen Woche, die mehr als 50 Menschenleben gefordert haben, sagt Ulugbek jedoch, er habe Angst. »Mir ist, ehrlich gesagt, schon durch den Kopf gegangen, dass die Islamisten an die Macht kommen könnten«, gibt er zu. »Das wäre schrecklich. Ich will auf keinen Fall, dass sich die Frauen verschleiern müssen oder dass ich von jemandem gezwungen werde, täglich in die Moschee zu gehen. Deshalb müssen wir uns wehren.«

Genauso viel Angst jedoch, sagt er, hat er davor, dass die Regierung ihre ohnehin schon repressive Politik verschärfen wird. Deshalb will er seinen Namen auf keinen Fall in einer Zeitung wissen. »Dafür wurden schon Studenten von der Uni geworfen.« Und viel mehr reden will er über die Anschläge eigentlich auch nicht.

Ulugbeks Reaktion ist typisch. Obwohl viele Usbeken zumindest in privater Runde in den vergangenen zwei, drei Jahren angefangen haben, sich freimütig über Politik zu äußern, findet sich dafür nun kaum jemand mehr. Niemand will zwischen die Fronten der moslemischen Extremisten und der Regierung geraten. Denn die ist in der Vergangenheit mit unerbittlicher Härte gegen alle islamistischen Organisationen im Land vorgegangen.

Wohl deshalb haben sich die Anschläge vor allem gegen die Polizei gerichtet. Die größte Schießerei fand am Dienstag in Jalangatsch, einem Vorort der Hauptstadt Taschkent, statt. Nach Augenzeugenberichten verschanzten sich hier am Morgen 20 Angreifer, und die Polizei brauchte bis 15 Uhr, um die Lage unter Kontrolle zu bringen. Am Tag danach sind am Boden noch mehrere große, ausgetrocknete Blutflecke zu sehen, in einem schmutzig-roten Abwassergraben schwimmt ein Frauenschuh. Auf dem Weg daneben liegen ein paar schwarze Fetzen glänzenden Stoffes, wie ihn Frauen oft für einen Schleier benutzen.

Rund zehn Kilometer nordöstlich des Stadtzentrums gelegen, stehen in Jalangatsch die typischen weiß getünchten, einstöckigen Häuser und vereinzelte Plattenbauten. In den Gärten wächst Wein, bauen die Leute Gemüse an oder halten Hühner, in den Straßen sieht man Mädchen mit kurzen Röcken.

Doch am Tag zuvor war über diese vermeintliche Idylle ein Kommando einheimischer »Wahhabiten« gekommen, so sagen zumindest die Anwohner. Wahhabiten – das ist die in Usbekistan gebräuchliche Bezeichnung für Islamisten. Frauen und Männer trugen schwarz, die Frauen den Hijab, so dass nur ihre Augenpartie zu sehen war. Vor einem nahe gelegenen Polizeiposten ließen sie eine Autobombe detonieren. Dann flüchteten sie in einen Wohnblock. Vier Frauen trugen Sprengstoffgürtel am Körper und jagten sich, ohne jemanden mit in den Tod zu nehmen, in die Luft. Auch die Männer schienen, wie bei allen Anschlägen der Woche, ihren Tod eingeplant zu haben.

Dieses Muster der Angriffe bestätigte auch der usbekische Generalstaatsanwalt Rashid Kadyrow auf einer Pressekonferenz am Freitagabend. Seinen Angaben zufolge sind in den vier Tagen der Gewalt 16 Polizisten umgekommen und 33 militante Islamisten. Viele von ihnen haben sich selbst in die Luft gesprengt, vor allem Frauen, und viele waren offenbar auch miteinander verwandt. Außerdem sollen sich nach Angaben Kadyrows unter den 33 toten Islamisten auch sechs Kinder befinden, die die Mütter, als sie sich selbst in die Luft sprengten, mit in den Tod nahmen. Eine Frau tötete sich und ihre zehnjährige Tochter in einem Dorf außerhalb von Buchara, als die Polizei kam, um sie festzunehmen. Am Vortag seien ihre Schwester und deren Mann umgekommen. Eine andere Frau soll sich zusammen mit ihrem sechsjährigen Sohn in der Nähe eines Polizeipostens auf dem Taschkenter Chorsu-Basar in die Luft gesprengt haben.

Kadyrow präsentierte am Freitagabend auch die Waffen, die bei den militanten Islamisten sichergestellt wurden: ein paar alte Kalaschnikows, Pistolen, verrostete Munition, die aus Aluminiumpulver, Düngemittel, Plastikflaschen und Klebeband zusammengebastelten Sprengkörper und die selbst genähten Gürtel, die am Körper getragen werden – alles Sachen, die man in einem Nachbarland der langjährigen Bürgerkriegsländer Tadschikistan und Afghanistan wohl ohne Schwierigkeiten bekommen kann.

Wie zuvor schon Präsident Islam Karimov und Außenminister Sadik Safajew erklärt Kadyrow, dass die Islamisten ihre Anschläge ohne Hilfe aus dem Ausland nicht hätten ausführen können. Aber das vorgestellte Arsenal von selbst gebastelten Bomben und alten Gewehren lässt Kadyrows Thesen fragwürdig erscheinen. Auch die Behauptung der Regierung, dass al-Qaida in die Anschläge verwickelt sei, erscheint daher zunächst zweifelhaft, auch wenn sich die usbekische Regierung im »Krieg gegen den Terror« an der Seite der USA platziert hat.

Dass die Islamisten vor allem die Polizei angegriffen haben, hat bei Ulugbek, wie er nach einer Weile zugibt, zu einiger Schadenfreude geführt. Denn die in Usbekistan an den Straßen allgegenwärtigen Polizisten, die von den Autofahrern Bestechungsgelder kassieren, sind das markanteste Zeichen, dass in der Politik des Landes schon ziemlich schnell nach der Unabhängigkeit etwas schief gelaufen ist.

Bereits 1992 verbot die aus der Kommunistischen Partei hervorgegangene Regierung alle Gruppierungen, die ihr hätten gefährlich werden können. Dadurch wurde schnell klar, dass nur eine auf der neu erwachenden Glaubensbewegung basierende Partei die Kraft haben könnte, um Präsident Karimov gefährlich zu werden. Und die, durch die Repression aus dem legalen politischen Spektrum gedrängt, radikalisierte sich schnell. Zuerst kämpften usbekische Islamisten im tadschikischen Bürgerkrieg und nach seinem Ende in Afghanistan.

Nach den Bombenanschlägen im Februar 1999 in Taschkent, für die die usbekische Regierung die von den Taliban geförderte Islamische Bewegung Usbekistans (IMU) verantwortlich machte, verlor sie jedoch schließlich jedes Maß. Zwar griff in den zwei folgenden Sommern die IMU Usbekistan aus Afghanistan und Tadschikistan an, die Regierung war jedoch nie ernsthaft in Gefahr. Aber seitdem war auf einmal jeder schon deshalb verdächtig, weil er sich zu seinem Glauben bekannte. Wer einen Bart trug, musste damit rechnen, auf der Straße von der Polizei kontrolliert zu werden. Wer eine islamische Schrift zuhause hatte, riskierte Gefängnis. Und wer in die Moschee ging, verschwieg es oft sogar den Verwandten, weil sie ihn nach einem Streit hätten denunzieren können.

Die Regierung schuf einen riesigen Polizeiapparat, den sie nicht bezahlen kann, und da den Polizisten Quoten vorgegeben werden, wie viele Leute sie festnehmen müssen, erpressen sie oft »Geständnisse« durch Folter. 7 000 politische Gefangene sitzen nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen in usbekischen Gefängnissen. Die meisten von ihnen haben sich wohl nichts weiter zu Schulden kommen lassen, als praktizierende Muslime zu sein.

Ulugbek will deshalb weg, am liebsten in Europa oder den USA studieren. »Ich glaube nicht, dass sich bei uns etwas zum Besseren verändert«, sagt er resigniert. »Auf jeden Fall nicht nach diesen Anschlägen.«