Odyssee im Museum

Im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt/Main wird beinahe alles über den Regisseur Stanley Kubrick ausgestellt. Etwas über den Menschen wäre auch nicht schlecht gewesen. von ulrike mattern

Ein bisschen erinnerte die Pressekonferenz zur Eröffnung der Stanley-Kubrick-Ausstellung in Frankfurt/Main Ende März an Thanksgiving. Alle hatten sich um den Tisch versammelt: die lieben Verwandten, vertreten durch Christiane Kubrick, die Ehefrau des 1999 verstorbenen Regisseurs, und Jan Harlan, Schwager und ausführender Produzent seiner Filme, sowie frühere Mitarbeiter, unter anderem der Set-Architekt Ken Adam. Dann waren da die guten Freunde, Direktoren, Kuratoren und Geldgeber – Kulturstiftung des Bundes, Städtisches Dezernat für Kultur und Freizeit – sowie der Archivar des Museums, Bernd Eichhorn, der acht Monate lang das filmische Erbe im Haus der Familie Kubrick gesichtet hatte.

Es muss ein sehr großes Anwesen sein, in dem der seit 1961 dort nahe London beheimatete, 1928 in New York geborene Regisseur mit seiner Familie bis zu seinem Tod kurz vor der Filmpremiere von »Eyes Wide Shut« gewohnt hatte. Es bot in unzähligen Räumen Platz für Regale, Kisten, Schränke voll mit Kostümen und Utensilien oder Karteikästen mit Zetteln, auf denen akribisch die Recherchen zu Filmprojekten notiert wurden. Die aufgeschaufelten Berge aus vorsortierten Exponaten – Filme, Fotos, Zeichnungen, Briefe, Drehbücher und Produktionspläne, Requisiten, Kameras und mehr – sprengten die räumlichen Kapazitäten des Deutschen Filmmuseums. So war es praktisch, dass am Frankfurter Museumsufer das Deutsche Architekturmuseum gleich nebenan liegt. Nur eine Verbindungstür im Untergeschoss des Filmmuseums musste aufgeschlossen werden, um den Nachlass in seiner Fülle und Raum greifenden Inszenierung in beiden Häusern gleichzeitig präsentieren zu können.

Wie bei solchen Zusammentreffen üblich gab es nicht nur Harmonie, sondern auch das Bewusstsein, an etwas Außergewöhnlichem beteiligt zu sein. Die Frankfurter konnten die Ehre noch immer nicht fassen und betonten, welch eine Auszeichnung es sei, dass sie die Ausstellung über den vor fünf Jahren verstorbenen Regisseur ausrichten dürften. Dort wird sie bis zum 4. Juli verbleiben und danach von Januar bis April 2005 in Berlin zu sehen sein: teils im Martin-Gropius-Bau, teils im Filmmuseum am Potsdamer Platz.

Die Familie Kubrick, welche die Arbeitsräume des Regisseurs an seinem letzten Wohnsitz bei London für die museale Erfassung geöffnet hatte, freut sich, dass sie mitwirken und, wie zu seinen Lebzeiten der Regisseur, Einfluss auf die Präsentation des Œuvre nehmen konnte. Zur Einstimmung zeigte man einen kurzen Zusammenschnitt aus der Dokumentation »Stanley Kubrick: A Life in Pictures« von Jan Harlan mit Hymnen von Zeitgenossen. Danach folgten Anekdoten aus dem Familienalbum: »Seine Begeisterung war wie die eines Fünfjährigen«, berichtet Christiane Kubrick von ihrem Mann. Der Schwager Jan Harlan plauderte aus, dass er und Kubrick sich Pausen mit Tischtennis vertrieben hätten.

Man begann also gerade damit, sich richtig heimelig und wohl zu fühlen zwischen all den großzügigen und von ihrer Mission erfüllten Menschen am Tisch, die den auf seine Autonomie bedachten und als Perfektionisten bekannten Regisseur würdigten. Dann wurde es Zeit, zum Hauptgang, also in diesem Fall zur Ausstellung überzugehen. Und für das, was dort gezeigt wurde, konnte man sich trotz guter Stimmung nicht richtig erwärmen.

Bei ihrer Annäherung an den Stoff unternehmen die Kuratoren nämlich keine Experimente. Die Ausstellung führt klassisch-chronologisch durch das Leben und Werk Stanley Kubricks. Den Anfang machen die ersten beruflichen Gehversuche als Fotoreporter (1945 bis 1950), in denen sich der zukünftige Regisseur durch die Inszenierung seiner Bildmotive als »bewusster Manipulator« ausweist. Danach geht‘s weiter zu den frühen, selten gezeigten Kurz- und Spielfilmen (»Fear and Desire«, »Killer‘s Kiss«, »The Killing«), um auf der nächsten Geraden im Ausstellungsraum bei den Produktionen »Paths of Glory«, »Spartacus«, der einzigen Auftragsarbeit als Regisseur, und der damaligen Skandal-Verfilmung von Nabokovs Roman »Lolita« zu landen.

Briefe und Zeitungsartikel dokumentieren die politischen Kontroversen um diese Filme wie zum Beispiel bei »Paths of Glory« von 1957, der erst 1975 in Frankreich ins Kino kam. Ein Sittenwächter der »Christian Action« schreibt gleich zweimal im März 1961 aufgebracht an Kubrick und droht damit, die Aufführung von »Lolita« zu verhindern – ohne den Film je gesehen zu haben. Die schriftliche Reaktion des Regisseurs ist gleichfalls dokumentiert. Produzent und Hauptdarsteller Kirk Douglas identifizierte sich wiederum so stark mit seiner Rolle als Gladiator in »Spartacus«, dass er einen Brief an Kubrick 1959 mit diesem Namen unterschrieb.

Die Gliederung der insgesamt 20 thematischen Bereiche ist immer identisch: Man steigt mit einem Zitat des Regisseurs ein und arrangiert in diesem Kontext Gegenstände und Bilder, etwa die rotweiße Toga eines römischen Senators aus »Spartacus«. Darüber hinaus werden Motive aus den Filmen in Showrooms verdichtet: zum Beispiel in Form eines intimen Séparées (»Barry Lyndon«) oder als Horrorkabinett mit Geräusch- und Bildcollage (»The Shining«). Die Originalrequisiten hinter Glas werden Fans des Regisseurs wie Pretiosen vorkommen – etwa die Rüschenkleider der Zwillingsmädchen, die Axt, das Messer und ein Modell des Labyrinths (»The Shining«), oder die beiläufig arrangierten fat-free-Schokokekse neben einem Glas Milch und einem aufgeschlagenen Telefonbuch auf dem Esszimmertisch (»Eyes Wide Shut«).

Von den Häppchen zum Menü: Mit Installationen wie dem war room aus »Dr. Strangelove«, der Zentrifuge aus »2001: A Space Odyssey« oder dem Innern des Hal-9000-Computers schuf man begehbare Erlebnisräume. Kameras und Objektive zeigen die handwerkliche Raffinesse sowie die einfallsreiche Tricktechnik des Regisseurs. Gerade in den Räumen des Architekturmuseums kann man sich vor Events kaum retten. Die Gestaltung geriet jedoch hausbacken: In dem knallroten Kern des Computers Hal fühlt man sich wie in einer grell ausgeleuchteten, futuristischen Umkleidekabine. Dagegen fesselt die gleich daneben laufende konventionelle Dia-Show über die Kostümprobe des Hauptdarstellers ebenso wie die Bilderschau zur Arbeits- und Lebensbiografie des Regisseurs.

Es mangelt der Ausstellung nicht an Schau- und Sehenswertem. Den »reflexiven Anspruch«, den die Kuratoren im Katalog propagieren, vermisst man in der überbordenden Fülle an Gegenständen, spektakulären Inszenierungen und Bezügen. Den Regisseur hat man in Frankfurt endgültig ins Pantheon der Filmemacher gehoben. Dabei wäre man lieber an einigen Stellen dem Tischtennis spielenden Stanley statt dem unantastbaren Mythos Kubrick begegnet.

Bis 4. Juli. Stanley Kubrick. Deutsches Filmmuseum und Deutsches Architektur Museum. Eintritt: 8 Euro (ermäßigt 6 Euro). Katalog 29,90 Euro. Infos unter www.stanleykubrick.de