Deutsches Fernsehen

Eine mediensoziologische Studie zeigt, wie nationale Identität im Fernsehtalk konstruiert wird. von jens thomas

Dorothee von Bose will es jetzt wissen. Die Moderatorin fragt in ihrer Sendung »Doppel-Pass – Pro und Contra neues Ausländergesetz« ihren deutschtürkischen Talkgast Bülent Arslan, der gerade die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen hat: »Was sind Sie denn jetzt?« Bose stellt ihn dabei vor die Wahl: Türke oder Deutscher. Seinen Status jedoch stellt sie gleich selbst mit den Worten fest: »Sie sind jetzt kein Türke mehr. Jetzt haben Sie ihren türkischen Pass abgegeben, Sie haben den deutschen Pass.« Arslan aber gibt zu verstehen, dass die Frage kultureller Identität für ihn nichts damit zu tun habe, dass er sich für irgendeinen Staat zu entscheiden habe. Das aber will Dorothee von Bose nicht gelten lassen: »Nun sind Sie mal nicht so politisch. Sind Sie jetzt Türke oder sind Sie Deutscher?« Arslan soll sich doch bitte positionieren.

Derartige Diskussionen in Talkshows lassen sich in »Deutsch-Stunden. Zur Konstruktion nationaler Identität im Fernsehtalk« von der Medienwissenschaftlerin Tanja Thomas nachlesen. Thomas hat sieben Talkshows wie »Fliege«, »Sabine Christiansen« oder »Bärbel Schäfer« nach gängigen Nationalismen und Rassismen untersucht. Ihre Erkenntnis: Seit den neunziger Jahren boomen Themen um ein Nationalbewusstsein, die mit Schlagworten wie »Nation«, »Wir« und »nationale Identität« bestückt werden.

1999 mit der Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft hatten diese Themen ein Hoch. Schon die Showthemen wie »Ich bin Türke und deutscher als die Deutschen« (»Bärbel Schäfer«) oder »Fremd im eigenen Land – der Islam auf dem Vormarsch« (»Sabine Christiansen«) gaben hier die Stoßrichtung vor. Zusätzlich manipulierend wirkten dazu entsprechende Anmoderationen, in denen Begriffe wie »Überfremdung« oder »Multikulti-Unsinn« fielen.

Die Untersuchung von Thomas ist eine gute Ergänzung zu der Studie »Deutsch-Sein« von Jens Schneider. Außerdem verdeutlicht sie das, worauf schon Martina Drescher in »Zur Konstruktion von Selbst- und Fremdbildern in der interkulturellen Kommunikation« hinwies: Kategorien von Identität werden in einem wechselseitigen Prozess gebildet. An die Nennung von bestimmten Kategorien wie etwa Ethnie oder Nation sind Erwartungen bestimmter Eigenschaften und Handlungen gekoppelt. Dieser Prozess unterliegt jedoch – und das ist eine Erkenntnis des Buches – keineswegs mehr vorrangig direkten negativen Zuschreibungen, vielmehr werden sie recht subtil vermittelt.

So zum Beispiel, wenn sich Talkgäste deutlich von rechten Inhalten distanzieren, im nächsten Moment aber über nationale und rassistische Brocken stolpern, wie Talkgast Maik in der Sendung »Ich schäme mich, Deutscher zu sein« (»Bärbel Schäfer«). Zunächst erzählt er, dass er mit rechten Gruppen nichts zu tun haben will. Im Anschluss räumt er dann ein, dass man sich mal die Frage stellen sollte, warum »auf dem Bau genauso viel Ausländer beschäftigt sind, wie wir arbeitslose deutsche Leute haben«. Man solle jetzt auch mal schauen, so Maik, dass man den Deutschen »auch mal hilft«, und: stolz auf Deutschland sein solle man auch, schließlich hätten die Deutschen das Telefon und das Auto erfunden. Deutsche Kulturprodukte dienen hier nicht nur als identifikationsstiftend, eine Wir-Gruppe wird auch über den Zugang zum Arbeitsmarkt konstruiert. Schließlich soll dieser nur den Deutschen vorbehalten sein.

Die Liste solcher Beiträge ließe sich beliebig fortsetzen. Über 400 Seiten füllt Thomas mit zahlreichen Diskussion und entsprechenden Analysen. Im Grunde spiegeln die Wortwechsel nur das wider, worauf schon der britische Soziologe Stuart Hall hinwies: Eine Konstruktion der Differenz ist immer auch eine Konstruktion der eigenen Identität.

Selten finden sich in »Deutsch-Stunden« Beiträge, in denen den Sprechenden klare Rassismen und Nationalismen über die Lippen kommen, wie etwa dem Pfarrer Roland Reuter, der in »Fremd im eigenen Land – der Islam auf dem Vormarsch« behauptet, dass es zwischen der islamischen und christlichen Welt (am Beispiel Koran und Bibel) einen »riesen Qualitätsunterschied« gebe. Meist werden Kulturen einfach als unvereinbar (inkommensurabel) erklärt, und der Ausschluss einer Gruppe erfolgt dann gar durch ihren Einschluss, ein Aspekt, den schon der Kölner Publizist Mark Terkessidis in seinem Buch »Psychologie des Rassismus« unter dem Stichwort »Rassifizierung« hervorhob.

Dies geschieht etwa dadurch, dass immer wieder darüber debattiert wird, wie wertvoll Migration heute für die Deutschen aufgrund des hiesigen Geburtenrückgangs ist. Die Umkehrfrage aber, was es so genannten »Ausländern« nützt, nach Deutschland zu kommen, wird nicht diskutiert. Zudem verhandelt man immer wieder darüber, wer überhaupt zur Nation gehört und wer nicht. Das setzt letztendlich voraus, dass es ein nationales »Wir« überhaupt gibt. Und zu dieser »Wir«-Konstruktion gehören auch immer die »Anderen«, diejenigen, die eben nicht dazugehören.

In der »Nachtcafé«-Sendung »Typisch deutsch – respektiert und unbeliebt« antwortet beispielsweise Marie-Luise Marjan, die Mutter Beimer aus der »Lindenstraße«, auf die Frage des Talkgastes Henryk M. Broder, ob sie eine typisch Deutsche sei, mit »neinnein.« Sie fühle sich eher »europäisch«, da ihre Mutter aus Russland käme. Im ersten Moment mag ihr Einwurf durch den Verweis auf »europäisch« weltoffen klingen. Doch eine nationale Identität wird ja gerade dadurch, durch das Anführen des Abstammungsprinzips, festgemacht. Schließlich denkt Frau Marjan, dass sie keine Deutsche sein kann, da ihre Mutter schließlich russisch ist.

Tanja Thomas hat mit »Deutsch-Stunden« ein analytisch wirklich gutes Werk verfasst, und ihre Interpretationen werden meist adäquat mit Belegen unterfüttert. Selbst dann, wenn es mal etwas belanglos klingt, wenn etwa über die Currywurst als deutsches Symbol diskutiert wird. »Die deutsche Currywurst hat den Kulturkampf gegen Gyros längst verloren«, stellt Broder fest. »Die deutsche Currywurst. Ich will sie nicht verlieren«, gibt Marjan daraufhin zu verstehen. Es geht in Deutschland also immer noch um die Wurst.

Tanja Thomas: Deutsch-Stunden. Zur Konstruktion nationaler Identität im Fernsehtalk, Campus Verlag, Frankfurt/M 2003, 438 S., 45 Euro