Erst mal blockieren

Auf der Frühjahrskonferenz der Anti-Atom-Bewegung blieben die großen Fragen unbeantwortet. Aber der Widerstand gegen den nächsten Castortransport wächst. von heiko balsmeyer

Die Szene ist modisch heterogener geworden. Auf der Frühjahrskonferenz der Anti-Atom-Bewegung am vergangenen Wochenende im Berliner Mehringhof trafen junge Aktivisten in Trainingsjacken auf ergraute Linksradikale in Schwarz und Bartträger mit Tüchern und Batikhemden. Die bürgerlichen Standortinitiativen aus dem Süden Deutschlands, die sich auf den Kampf gegen die Zwischenlager vor der eigenen Haustür beschränken wollen, hatten kurzfristig abgesagt.

Etwa 50 Aktive waren der Einladung des Antiatomforums Berlin gefolgt, eines Aktionszusammenschlusses zweier lokaler Gruppen. Die Offensive der Atomwirtschaft auf europäischer Ebene, die derzeitige Dominanz sozialer Fragen, der Umgang mit möglichen Terrorangriffen auf Atomanlagen sowie die Vorbereitungen für den Widerstand gegen die anstehenden Atomtransporte lieferten ausreichenden Gesprächsstoff für die Konferenz.

Die Erweiterung der Europäischen Union am 1. Mai bringt auch der Atomindustrie eine Erweiterung ihres Absatzmarktes. Insbesondere der Euratomvertrag und die in Brüssel damit befassten Institutionen sorgen für die kontinuierliche Modernisierung sowie für den Ausbau der europäischen Atomindustrie. Das Abkommen aus dem Jahr 1957 verpflichtet alle EU-Staaten zur Förderung der zivilen Nutzung der Atomenergie.

»Mit Polen wird bereits über den Start eines Atomprogramms gesprochen und der Kreditrahmen für Euratom wurde von vier auf sechs Milliarden Euro erhöht«, berichtete Dieter Kaufmann vom Frankfurter Arbeitskreis für die Stilllegung aller Atomanlagen. In Finnland hat die französische Framatome, an der Siemens beteiligt ist, den Auftrag zum Bau eines Europäischen Druckwasserreaktors erhalten. Am 26. April, dem Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wird es in Helsinki Proteste gegen ihn geben. Auch in Frankreich soll an der Atlantikküste ein solcher Prototyp gebaut werden, um so international Aufträge für den Neubau von Atomreaktoren akquirieren zu können. In der Diskussion wurde deutlich, dass Europa eine wichtige Handlungsebene der Anti-Atom-Bewegung werden muss, Interventionen aber allein schon wegen der intransparenten Struktur von Euratom erschwert werden. Da lag der Beschluss nahe, sich künftig gegenseitig über die Aktivitäten auf europäischer Ebene auf dem Laufenden zu halten.

Selbstkritik übten die Atomkraftgegner hinsichtlich ihres Vorhabens zu vermitteln, dass es sich beim so genannten Atomausstieg um ein Abkommen zwischen der Bundesregierung und den Atomkonzernen handelt, welches den von gesellschaftlichen Störungen befreiten Weiterbetrieb der Atomanlagen garantiert. Das könne sich aber mit dem bevorstehenden Castortransport aus dem sächsischen Rossendorf ändern. Schließlich handele es sich dabei um Atommüll aus einem Forschungsreaktor, in dem sicherlich nicht am Ausstieg aus der Atomenergie geforscht werde.

Eine von der Marburger Initiative für eine atomkraftfreie Zukunft präsentierte Analyse der rot-grünen Energiepolitik ergab ein eindeutiges Bild. Ob die Energiemärkte allgemein liberalisiert werden, ob die Ökosteuer, eine Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung, die Bestandsgarantie für Atomkraftwerke oder der Emissionshandel beschlossen werden: »Immer finden sich auf der Seite der Profiteure die großen Vier der Stromversorgung in Deutschland: Eon, RWE, EnBW und Vattenfall«, fasste einer der Marburger die Ergebnisse zusammen. Profitieren würden ansonsten noch die reicheren Schichten der Gesellschaft, während die Armen immer verlieren. Deshalb bestehe für die Anti-Atom-Bewegung die Möglichkeit, Verbindungen zu anderen sozialen Bewegungen zu knüpfen.

Als Erklärung für die Durchsetzungsmacht der Stromkonzerne verwiesen die Referenten aus Marburg auf die engen Kontakte zu anderen Großunternehmen und zur Politik. So sind im Deutschen Atomforum neben den Atomkonzernen auch die großen Banken sowie die Allianz-Versicherung vertreten. Der heutige Wirtschaftsminister Wolfgang Clement hatte bis 1992 einen Aufsichtsratsposten bei der RWE-Tochter Rheinbraun inne, Bundeskanzler Gerhard Schröder bis 1998 bei der Preussen-Elektra AG, welche heute zu Eon gehört.

An der Frage, ob das Sitzen auf Straßen und Schienen den polit-ökonomischen Atomkomplex tatsächlich angreife oder ob dieser damit gut leben könne, entspann sich die wichtige Diskussion um die Ziele, das Selbstverständnis und die Aktionsformen der Zukunft. »Wir sind keine Gefahr mehr, wir sind auch ideologisch keine Gefahr mehr und wir haben kein attraktives Lebensmodell anzubieten«, lautete die nüchterne Feststellung eines weißhaarigen Aktivisten aus dem Norden. Andere, darunter der Vertreter der BI Lüchow, wollten sich auf solche grundsätzlichen Fragen nicht einlassen, sondern lieber den Widerstand gegen den nächsten Transport vorbereiten. Ein Berliner Aktivist schlug vor, das Stromnetz anzuzapfen und sich so der Umsonst-Kampagne anzuschließen. Schließlich einigte man sich darauf, erstmal den Widerstand gegen die jetzt anstehenden Atomtransporte zu organisieren.

Ein weiteres brisantes Thema war der Umgang mit der heraufbeschworenen Gefahr eines Terrorangriffs auf Atomkraftwerke, Atommülllager oder andere Atomanlagen (Jungle World, 11/04). Auf die Tagesordnung gesetzt wurde es von der Hamburger Anti-Atom-Gruppe. Peter Kurz (Name geändert) kritisierte: »Dieses Thema ist Teil des Diskurses um innere Sicherheit, der dem Abbau von Bürgerrechten dient. Diesen Diskurs können wir nicht bestimmen, diesen Tiger können wir nicht reiten.« Dagegen sehen insbesondere die Standortinitiativen die Möglichkeit, mit dem Hinweis auf die Terrorgefahr in juristischen Auseinandersetzungen den Bau von Zwischenlagern zu blockieren. Dem wurde entgegengehalten, es sei widersprüchlich, die Einschränkung der Bürgerrechte bei Castortransporten zu beklagen und gleichzeitig dem Terrordiskurs argumentativ Nahrung zu geben. Mit »Hausbesuchen, auch ohne Rezept« wollen die Hamburger mit den Standortinitiativen ins Gespräch kommen.

Nun aber wird gegen die Castortransporte von Rossendorf nach Ahaus mobil gemacht (Jungle World 13/04). Walter Kern (Name geändert) vom Widerstand gegen Atomanlagen in Ahaus vermutet: »Die Transporte werden voraussichtlich nach Pfingsten beginnen, denn die Transportgenehmigung gilt ab 27. Mai.« Weil 18 Castoren auf der Straße rollen sollen, aber nur eine, maximal zwei Spezialfederungen dafür vorhanden sind, stehen neun oder 18 Transporte an. Somit ist nachts mit einem Pendelverkehr zwischen Dresden und Ahaus zu rechnen. Die Atomkraftgegner wollen den gesamten Autobahnabschnitt von 600 Kilometern in eine Aktionsfläche verwandeln.

Die Diskussionen um Veränderungen des gesellschaftlichen Umfelds, des politischen Handlungsrahmens sowie Utopien wurden damit verschoben. Bis zur Herbstkonferenz im Wendland – vor dem nächsten Castortransport.

www.nixfaehrtmehr.de; www.wigatom.de