Terror und Error

Für die einen ist es Terrorismus, für die anderen der geilste Widerstand der Welt. Überlegungen zum Verhältnis der Linken zu den Begriffen und dem, was hinter ihnen steht. von ivo bozic
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Nicht einmal der eingefleischteste Neo-Antiimperialist kam nach den Anschlägen auf die Twin Towers am 11. September 2001 in New York auf die Idee, von einer Widerstandsaktion zu sprechen. Mit gutem Grund. Als Linker kann man kaum ein Interesse daran haben, sich den Begriff des Widerstands durch irre Massenmörder klauen zu lassen. Der Diebstahl von Worten ist eines der einfachsten und effektivsten Mittel, um eine politische Bewegung zu derangieren. Als der damalige Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm in den achtziger Jahren als einer der ersten Christdemokraten positiv den Begriff Solidarität benutzte, war klar, dass er als linker Kampfbegriff ausgedient hatte. Ähnliches wurde in Westdeutschland seit der Kohl-Ära mit dem Begriff Widerstand versucht. Mit Widerstand soll nur noch eines verbunden werden: Der Attentatsversuch der national-patriotischen Hitler-Gegner um Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Schon dem sozialdemokratischen und kommunistischen Kampf gegen die Nazis will man die »Weihen« des Widerstandsbegriffs am liebsten vorenthalten. Dass gar eine heutige nicht parlamentarische Opposition Widerstand gegen die Regierungspolitik ankündigt, das kann erst recht nicht im Interesse der Herrschenden sein.

Der Begriff ist stark umworben, weil er ähnlich wie »Solidarität« eine grundsätzlich positive Ausstrahlung hat, und das nicht nur, weil der Gedanke an den historischen antifaschistischen Widerstand immer mitschwingt. Auch für die Linke besitzt der Begriff nach wie vor großes Potenzial. Er grenzt sich sowohl gegenüber Protest, als auch gegenüber Terror ab, und öffnet damit Raum für politische Interventionen. Der Ulrike Meinhof zugeschriebene Satz bringt dies auf den Punkt: »Protest bedeutet zu sagen, das und das passt mir nicht. Widerstand heißt, dafür zu sorgen, dass es nicht mehr geschieht.« Entscheidend ist heute jedoch vor allem die Abgrenzung gegenüber dem Begriff des Terrors bzw. des Terrorismus. Wenngleich es schwierig bis unmöglich ist, Widerstand eindeutig zu definieren, so ist es doch notwendig, ihn vor der endgültigen Übernahme durch wild gewordene Jihadisten aller Couleur zu retten. Und dazu ist es auch nötig, von Terror zu sprechen, wenn es sich um Terror handelt. Im Irak, in Israel, in Madrid.

Terror bedeutet etymologisch so viel wie Schrecken. Und darum geht es dem Terroristen. Seine Gewalt richtet sich zwar physisch gegen bestimmte Opfer, das eigentliche Angriffsziel sind jedoch nicht in erster Linie die Opfer selbst. Es geht ihm darum, eine Stimmung der Angst zu schaffen, aufgrund deren dann andere ihr Verhalten ändern sollen. Beispiel Madrid: Aus Furcht vor weiteren Anschlägen forderte die Mehrheit der Spanier den Abzug ihrer Truppen aus dem Irak. In anderen Staaten wächst ebenfalls die Angst vor willkürlichen Massakern der al-Qaida und nicht zufällig gleichzeitig der Wunsch, dass die eigenen Truppen wieder nach Hause kommen. Schrecken und Willkür sind die Schlüsselworte bei der Definition von Terrorismus.

Die Aktionen der Roten Armee Fraktion (RAF) wurden nur von der Guerilla selbst und ihren Anhängern als Widerstand bezeichnet, für den Staat war das, ganz klar, Terrorismus. Mit dem Terrorismus-Stempel sollte aber nicht in erster Linie die Politik der RAF charakterisiert, sondern die gesamte revolutionär denkende Linke diskreditiert und letztlich auch juristisch und polizeilich verfolgt werden. Zu Recht hat die Linke insistiert und sich gegen die Zuschreibung als Terroristen oder Sympathisanten des Terrorismus gewehrt. Zwar gab es bei einigen Aktionen der RAF tatsächlich deutliche Ansätze von Terrorismus, und auch wenn man über die gesellschaftliche Wirkung von Aktionen der RAF spricht, wäre es unredlich so zu tun, als sei der Schrecken, also zum Beispiel die Angst einiger Wirtschaftsbosse und Politiker davor, abends allein mit ihrem Hündchen Gassi zu gehen, wie es Hermann Gremliza einmal beschrieb, gar nicht gewollt gewesen. Auch mit dem Versuch, Forderungen zum Beispiel nach der Freilassung von Gefangenen durch Geiselnahme oder den Mord an für die Gefangenenfrage völlig unverantwortlichen Personen erfüllt zu bekommen, wurde die Grenze zum Terrorismus erreicht. Allerdings, und das zumindest unterscheidet die RAF-Aktionen neben dem politisch-inhaltlichen Konzept vom Terrorismus der al-Qaida, waren die Opfer der RAF meist Personen, die selbst für Verbrechen die Verantwortung trugen, Mächtige, Täter, sehr gezielt ausgesucht und ebenso gezielt liquidiert.

Dabei fällt auf: Werden heute von Israel gezielt Verbrecher der Hamas liquidiert, sprechen deutsche Neo-Antiimperialisten empört von Terror. Gezielte Hinrichtungen übler Schurken, das ist für die neue antiimperialistische Bewegung offenbar das höchste Maß an moralischer Verwerflichkeit. Willkürlicher Terror gegen Tausende Zivilisten in Hochhäusern, Selbstmordattentate in Schulbussen und Anschläge auf vermeintliche Kollaborateure im Irak sollen dagegen Widerstand sein.

Wir sehen, es geht bei der Zuschreibung einer politischen Tat als Widerstand, Terrorismus, Verbrechen oder Freiheitskampf immer auch darum, wer gegen wen aktiv wird. Staaten haben dafür eine einfache Regel: Nur eine Gewalt ist legitim, nämlich die Staatsgewalt, also die Gewalt von oben nach unten. Ähnlich sehen das auch Neo-Antiimperialisten, nur umgekehrt: Überharte Gewalt des Staates ist Staatsterrorismus, alles, was dagegen gerichtet ist, nennen sie Widerstand. Aber wer die Begriffe so ideologisch einsetzt, darf sich nicht beklagen, wenn die Gegenseite solches auch tut. Man kann nicht darüber streiten, ob etwas Widerstand oder Terrorismus ist, wenn für einen der Diskutanten alles das Widerstand ist, was politisch in seinem Sinne, und alles Terror, was in seinen Augen böse ist.

Natürlich ist es ein Unterschied, ob Unterdrückte gegenüber Unterdrückern aktiv werden oder anders herum. Allerdings ist nicht jeder strukturell oder physisch Unterdrückte automatisch ein Widerstandskämpfer, wenn er sich politisch einmischt. Diesem Denkfehler erlag auch der Philosoph Herbert Marcuse, der – allerdings vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus – von einem »Naturrecht auf Widerstand« für »unterdrückte und überwältigte Minderheiten« sprach. Doch auch die Minderheit der Naziskins gehört in diesem Land nicht zu den Mächtigen, muss regelmäßig mit Repression rechnen und nennt folgerichtig ihren Kampf ebenfalls Widerstand. Haben Nazis ein Naturrecht, gegen die angeblich ausländerfreundliche Politik der Regierung auf die Straße zu gehen oder Juden, die angeblich die Weltherrschaft an sich reißen wollen, zu attackieren? Selbstverständlich nicht. Zumal berücksichtigt werden muss, dass die meisten politischen Interventionen von Unterdrückten nicht gegen die Unterdrücker gerichtet sind, sondern gegen noch schlechter gestellte Gesellschaftsgruppen.

Also kommt es auf den Standpunkt an und auf die Motive, auf die Form und auf das Ziel der Intervention. Es geht nicht um eine Definition von Widerstand, aber darum, dass die Benutzung des Begriffs alles andere als selbstverständlich ist. Will man ihn als flexiblen, positiv besetzten »Kampfbegriff« für die Linke erhalten, dann muss man sorgfältig alles davon abspalten, was ihn desavouiert.

Das Wort »Terrorismus« ist zumeist im Zusammenhang mit al-Qaida in aller Munde. Oder mit dem Irak. Linke Antiimperialisten, Friedensfreunde, Neonazis und auch die deutschen Mainstreammedien sprechen allerdings zunehmend von Widerstand, den die Irakis gegenüber den Besatzern leisteten. Widerstand? Was haben die US-Amerikaner oder die Briten, die italienischen oder japanischen Soldaten den Irakern, die jetzt mit Bomben und Raketen »Widerstand« leisten, genommen? Weder Wohlstand, noch Freiheit und Selbstbestimmung. Denn von Freiheit und Selbstbestimmung kann im Hinblick auf die 40jährige Diktatur der faschistischen Ba’ath-Partei wohl kaum die Rede sein, genauso wenig von Wohlstand. Natürlich hat der Krieg vor einem Jahr Menschenleben gekostet und jede Menge kollaterale Schäden angerichtet, doch das sind nicht die Motive der jetzt revoltierenden Iraker. Das einzige, was sie neben ein paar religiösen Dingen fordern, ist die nationale Selbstbestimmung. Die jedoch kann, ohne dass ein emanzipatorischer Gehalt erkennbar ist, wohl kaum ein Grund für linke Solidarisierung sein. Die NPD bietet die gleiche Solidarität auf.

Aber vermutlich ist denen, die im Irak besonders unbeirrt kämpfen, sehr wohl etwas weggenommen worden: Nämlich ihre Privilegien, die sie als treue Vasallen der Ba’ath-Faschisten Jahrzehnte lang gewohnt waren. Es ist unverkennbar, dass die für die Koalitionstruppen derart verlustreichen Kämpfe nicht von ein paar steinewerfenden Intifada-Kids getragen werden, sondern zumindest im Kern von Saddams ehemaliger Armee, und vor allem von seinen Republikanischen Garden, die eben mitnichten vor einem Jahr kapituliert, sondern sich lediglich zurückgezogen haben. Auf der anderen Seite heizen schiitische Islamisten den Kampf an, und auch bei ihnen ist es eine ausgebildete Miliz, die die Gewalt forciert. Nicht Widerstand, sondern Krieg herrscht hier. Wer diesen »Widerstand« hochleben lässt, dem fehlt die moralische Rechtfertigung, andere des Bellizismus zu beschuldigen.

Dennoch ist unverkennbar, dass es inzwischen einen Stimmungsumschwung im Irak gibt und die oftmals spontanen Revolten, die Protestaufmärsche und auch spontane Übergriffe auf ausländische Angehörige von Hilfsorganisationen, aber auch auf Soldaten der Koalitionstruppen nicht undifferenziert als Terrorismus bezeichnet werden können. Die Phase, da im Irak nur geplante Terroranschläge von organisierten Gruppen verübt wurden, ist vorbei. Dennoch ist nicht alles, was kein Terrorismus ist, gleich Widerstand. Und nicht alles, was Widerstand ist, ist auch politisch zu unterstützen. Im Irak gibt es genug Dinge, gegen die sich zu Recht Protest und Widerstand entwickeln, etwa das restriktive Arbeitsrecht, Arbeitslosigkeit, die fortgesetzte Frauenunterdrückung usw. Linke sollten die Motive für diese Auflehnung auf ihren emanzipatorischen Gehalt untersuchen und davon allein ihre Unterstützung abhängig machen.

Für Linke stellt sich hierzulande jedoch neben der Frage, mit wem man solidarisch ist, auch die, wie man sich zur Repression, zur juristischen oder polizeilichen Verfolgung von islamistischen oder auch nationalistischen arabischen Terroristen verhält. Eine Debatte, ähnlich der zum NPD-Verbot vor vier Jahren, ist überfällig.