Theoretiker des McDschihad

in die presse

»Was will Europa?« – eine brennende Frage, kurz vor der Ost-Erweiterung. Am Donnerstag zierte sie als Überschrift einen Text in der SZ, ein Philosoph aus einem Beitrittsland suchte sie zu beantworten. Das förderte Seltsames zu Tage. Zum Beispiel »eine simple und harte Erkenntnis: Sämtliche slowenischen Künstler von Bedeutung mussten ihre ethnischen Wurzeln irgendwann verraten, entweder indem sie sich vom offiziellen Kulturbetrieb in Slowenien absonderten oder indem sie ihr Land verließen …« Verrat an der ethnischen Wurzel – das wäre ein origineller Vorwurf, hätte es die berühmte Wurzeltheorie völkisch-romantischer Herkunft nicht gegeben. Ähnlich einer Steckrübe im Boden wurzelt demnach der gemeine Bürger in seinem autochthonen Volk, in dessen seit Urzeiten überlieferter, unveränderlicher Kultur.

Wird die Rübe aber entwurzelt, verliert sie ihre Identität. Ähnlich verhält es sich sogar mit ganzen Ländern: »Die ex-kommunistischen Länder, die den US-Krieg ›gegen den Terror‹ am vehementesten unterstützen, sind zugleich die, die am meisten um ihre kulturelle Identität fürchten und um ihr Überleben als Nation bangen. Den Ansturm kultureller ›Amerikanisierung‹ als Preis für ihre Integration in das globale kapitalistische System empfinden sie als Bedrohung.«

Und, schlimmer noch, besteht nicht gar ein »gespenstischer Pakt zwischen dem postmodernen globalen Kapitalismus und den vormodernen Gesellschaften zu Lasten der eigentlichen Moderne«? Denn: »Für das multikulturelle amerikanische Weltimperium ist es ein Leichtes, vormoderne lokale Traditionen zu integrieren – der Fremdkörper, den es tatsächlich nicht assimilieren kann, ist das moderne Europa. Der Dschihad und McWorld sind die beiden Seiten einer Medaille. Der Dschihad ist bereits jetzt McDschihad.«

Postmoderne (global, kapitalistisch, amerikanisch) plus Vormoderne (Jihad) versus Moderne (Europa) – ein brillanter Gedanke. An welche »Moderne« der Autor denkt, hat er 2003 in der Zeit erklärt. Die »Wiederbelebung der Werte Kerneuropas« als »Gegengewicht zur amerikanisierten neuen Weltordnung« sah er in Bayreuth, in Richard Wagners germanischen Mysterienspielen. Wer so was schreibt? Slavoj Zizek, der große postmoderne Kreuz- und Querdenker, der Star des letztjährigen Kommunismuskongresses in Frankfurt.

carlos kunze