Von Nachbar zu Nachbar

Bin Ladens Botschaft an Europa von jörn schulz

Der Mann kann auch höflich sein. Nicht als Kreuzfahrer oder Ungläubige spricht Ussama bin Laden in seiner jüngsten Botschaft die Europäer an, sondern als »unsere Nachbarn nördlich des Mittelmeers«. Unter Nachbarn gibt es manchmal Streit. Aber das muss nicht sein. Und großmütig offeriert bin Laden eine »Versöhnungsinitiative«, obwohl es doch die Europäer waren, die in seinem Vorgarten herumgetrampelt sind.

»Die Europäer wurden getötet nach ihrer Invasion Iraks und Afghanistans, und die Amerikaner wurden in der Schlacht von New York getötet nach ihrer Unterstützung für die Juden in Palästina und ihrer Invasion der Arabischen Halbinsel.« Die Kenianer wurden getötet nach ihrer Invasion, nun, immer kann diese Logik nicht überzeugen, aber für die Europäer wird es genügen, mag sich bin Laden gedacht haben. Seine schlichte Botschaft: Zieht euch aus der islamischen Welt zurück, löst das Bündnis mit den USA und Israel, und ihr habt eure Ruhe.

Die europäischen Politiker haben das Angebot einstimmig zurückgewiesen. »Wir sollten uns dies gar nicht anhören und ihm keine Beachtung schenken«, sagte der spanische Außenminister Miguel Angel Moratinos, nachdem er beides getan hatte. Bin Laden verlangt nicht nur einen Truppenrückzug aus der islamischen Welt, sondern auch ein Ende der »Einmischung in ihre Angelegenheiten«. Die EU hat ihre Nachbarn südlich des Mittelmeers über den Barcelona-Prozess in eine Freihandelszone eingebunden und ihre Militärpräsenz auf islamische Staaten in Afrika und Asien ausgeweitet. Da möchte man sich von al-Qaida nicht hineinreden lassen.

Bin Laden spricht offiziell zwar die Regierungen an, gerichtet ist seine Botschaft jedoch an die Bevölkerung. »Dieser Krieg bringt den großen Konzernen Milliarden Dollar Profit«, doziert der Multimillionär in Anknüpfung an die Parole »Kein Blut für Öl«. Ihm geht es nicht um ein politisches Bündnis, sondern um eine Akzeptanz seiner Logik vor allem durch die Friedens- und Antiglobalisierungsbewegung. Und seine Chancen stehen nicht schlecht, denn die Ideologie der kulturellen Apartheid hat in diesen Kreisen längst Fuß gefasst.

»Wenn Wertvorstellungen – geklont als Muster – auf Regionen mit anderen Kulturen und Traditionen übertragen werden sollen, kann das im Grunde genommen nur zu Unverständnis und Abwehr führen. Die davon ausgehende Demütigung löst möglicherweise einen Hass aus, der in Anschläge mündet«, meint Hans-Joachim Gießmann, stellvertretender Direktor des Hamburger Friedensforschungsinstituts. Statt den heißblütigen Muslim durch ungewohnte Ideen, die er ohnehin nicht kapiert, zum Äußersten zu treiben, muss er durch den »Dialog« besänftigt werden. Genügt das nicht, bedarf es einer Anti-Terror-Politik, die »nicht auf militärische Optionen verengt« sein darf.

Nicht zufällig liegen die Ratschläge der so genannten Friedensforschung, die die institutionelle Schnittstelle zwischen Friedensbewegung und Sozialdemokratie bildet, auf einer Linie mit der offiziellen Strategie des »alten Europa«. Ein Teil der Friedens- und Antiglobalisierungsbewegung unterstützt sie aus Überzeugung oder akzeptiert sie als »kleineres Übel«. Bin Ladens Botschaft ist nicht, wie der stellvertretende SPD-Fraktionschef Gernot Erler behauptet, ein »plumper Versuch, einen Keil in die internationale Gemeinschaft zu treiben«. Das haben längst andere erledigt. Bin Laden nutzt die Widersprüche zwischen der Ideologie des Dialogs und der realen europäischen Machtpolitik, um die Basis des »alten Europa« gegen dessen Führung aufzubringen.