Leben mit Trips

Genmanipuliertes Saatgut und eine Ausweitung des Patentrechts sollen die Landwirtschaft Lateinamerikas unter die Kontrolle der Agrarkonzerne bringen. von till below

Das Projekt ist beendet«, verkündete Hugo Chavez knapp. In der vergangenen Woche annullierte der Präsident Venezuelas einen Vertrag mit dem Agrarkonzern Monsanto über die Aussaat gentechnisch modifizierter Sojabohnen auf mehr als 200 000 Hektar Anbaufläche. »Dies ist eine wichtige Sache für die Bauern und die indigene Bevölkerung Lateinamerikas und der Welt«, lobte ihn Rafael Alegria von der Bauernorganisation Via Campesina.

Es ist fraglich, ob die Regierung tatsächlich, wie Chavez behauptet, erst von Via Campesina darauf aufmerksam gemacht wurde, dass Monsanto gentechnisch veränderte Pflanzen anbauen wollte. Vermutlich witterte Chavez eine gute Gelegenheit, sich einmal mehr auf spektakuläre Weise als Vorkämpfer der Linken zu präsentieren. Doch die Entscheidung könnte ein Präzedenzfall werden und die lateinamerikanische Debatte über Gentechnik, Patentrecht und Biodiversität beeinflussen.

In El Salvador, wo die rechtskonservative Arena-Partei im März die Wahlen gewann, haben es die Gegner der Genmanipulation schwerer. »Es gibt keinen Grund, den Mut zu verlieren«, meint Dagoberto Gutiérrez, ein ehemaliger Abgeordneter der linken FMLN. Doch dieser Optimismus wird nicht von allen geteilt. »Vieles, wogegen wir kämpfen, wird jetzt realisiert«, glaubt Morena Murillo von der Umweltorganisation Unes. Nun sei es für die Regierung leicht, unpopuläre Vorhaben wie den Freihandelsvertrag mit den USA und die Öffnung des Landes für genmanipuliertes Saatgut durchzusetzen.

Seit drei Jahren klärt Murillo die Bevölkerung in den ländlichen Gemeinden über die Gefahren der Gentechnik auf. Ein schwieriges Vorhaben, denn ihre Zuhörerinnen und Zuhörer waren oft nur wenige Jahre in der Schule. »Was bedeutet für euch das Leben?« fragt die Aktivistin deshalb zu Anfang, und dann erklärt sie, wie Wissenschaftler den Bauplan für das Leben von einer Zelle in eine andere übertragen.

»Es gibt hier im Land wenig Informationen, deshalb können die Bauern und die Verbraucher gar nicht entscheiden, ob sie die Gentechnik wollen oder nicht«, erklärt Murillo ihr Engagement. Der Informationsmangel ist nur eines der Probleme. Es gibt keine Gesetze, die den Umgang mit Gentechnik regeln, kein Geld für ökologische Begleitforschung und oft nicht einmal Apparate, um zu untersuchen, ob eine Pflanze oder ein Lebensmittel genmanipuliert ist.

Bisher nutzen 95 Prozent der bäuerlichen Haushalte im Süden ihr eigenes Saatgut, das sie von der Vorjahresernte zurückbehalten. Für die Saatgutkonzerne wäre das ein lukrativer Markt, den sie mit Hilfe der neuen genmanipulierten Sorten erobern wollen. Doch den Bäuerinnen und Bauern brächte dies nur Nachteile, da das Saatgut patentiert ist und jedes Jahr neu gekauft werden muss. Die USA als führender Hersteller von genveränderten Pflanzen üben derweil weltweit einen starken Druck aus, Gentechnik zuzulassen, und exportieren genmanipulierte Lebensmittel im großen Stil – auch in Länder, wo deren Anbau bisher verboten ist.

In Mexiko wurde im Oktober 2003 bekannt, dass traditionelle Maissorten in weiten Teilen des Landes bereits mit veränderten Maisgenen verseucht sind. Der genmanipulierte Mais kam als Lebensmittel aus den USA, einige Leute säten die Körner aus und der Wind trug die Blütenpollen bis in die entferntesten Dörfer. Das ist nicht nur für Umweltfreaks ein Problem, denn Mexiko gilt als Ursprungsort des Mais. Wenn es hier keine Sortenvielfalt mehr gibt, geht den ZüchterInnen auf der ganzen Welt das Material für ihre Arbeit aus.

Potenziell haben jene Länder des Südens, die Zentren der biologischen Vielfalt sind, große Macht. Mit dem Boom der Gentechnikbranche Anfang der neunziger Jahre wurde vielen Akteuren die Bedeutung dieser Ressourcen bewusst. Dies führt zu der paradoxen Situation, dass die großen Agrar- und Pharmakonzerne auf »marginalisierte« Bevölkerungsgruppen im Süden angewiesen sind, um Zugang zu diesen Ressourcen zu bekommen. Ob das der lokalen Bevölkerung im Süden irgendetwas bringt, ist strittig. Bisher führte es zu neuen Abkommen für den internationalen Austausch von genetischen Ressourcen.

Es gibt drei Modelle zur Regelung der Verfügung über Genressourcen. Das älteste stammte von der FAO, der Landwirtschaftsorganisation der Uno, und ursprünglich erklärte diese die genetischen Pflanzenressourcen damit zum Welterbe der Menschheit, das für die züchterische Arbeit offen zugänglich sein sollte. Beim Umweltgipfel von Rio de Janeiro 1992 wurde dann die Biodiversitätskonvention verabschiedet. Mit ihr fallen genetische Ressourcen unter die Souveränität der einzelnen Nationalstaaten. Firmen können mit Einverständnis der Staaten Zugang zu den Ressourcen erhalten, aber die Staaten sind verpflichtet, die Interessen der traditionellen Gemeinden zu berücksichtigen. Darüber hinaus muss die Nutzung von genetischen Ressourcen mit Technologietransfer und einem benefit sharing, das die lokalen Gemeinden an den Gewinnen beteiligt, verbunden sein. Kritiker wie Joscha Wullweber von der Buko-Kampagne gegen Biopiraterie weisen auf die fragwürdige Annahme hin, dass die Natur nur geschützt werden kann, wenn private Eigentumsrechte an ihr vergeben werden.

Auch das Abkommen über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums (Trips) beansprucht, den Zugang zu genetischen Ressourcen zu regeln. Es ist seit 1995 für alle WTO-Mitgliedsstaaten verpflichtend, und die hier getroffenen Regelungen stehen zum Teil in einem krassen Kontrast zur Biodiversitätskonvention. Das Trips-Abkommen ebnet den Weg für die Privatisierung von genetischen Ressourcen, da es die Staaten verpflichtet, einen Rechtsschutz von Pflanzensorten entweder durch Patente oder durch ein eigenes, schwächeres System zu garantieren. Besonders abgesichert sind gentechnologische Produkte und Verfahren. Für diese darf kein anderes System als der Patentschutz gelten.

Das Trips-Abkommen ist in jeder Hinsicht bestimmt von den Annahmen der neoklassischen Ökonomie. Die darin enthaltenen Regelungen für Patente auf Leben stoßen auch bei gemäßigten NGO und einigen Regierungen auf starke Kritik. Über Jahrhunderte haben Bauern die Vielfalt der Kulturpflanzen geschaffen, nun soll die molekulargenetische Bestimmung einer Gensequenz ausreichen, um einen Organismus zu patentieren. Fest steht, dass für die Konzerne Patente die bequemste Art darstellen, ihre Gewinne zu sichern, denn sie geben ihnen Monopolrechte auf die Nutzung ihrer Erzeugnisse. Klar ist auch, dass beim Übergang vom selbst vermehrten zum patentierten Saatgut eine Veränderung des Verhältnisses zwischen Gesellschaft und Natur stattfindet. Der Zugang zu Saatgut unterliegt dann nicht mehr einer gesellschaftlichen, sondern einer ökonomischen Regulation, das Saatgut wird zur Ware.

Wenn Dagoberto Gutiérrez von den neuen Entwicklungen des geistigen Eigentums und von der Welthandelsorganisation spricht, bekommt seine Stimme einen beschwörenden Tonfall. Er bezeichnet die Entwicklung als »private Expropriation der Natur«. Anders als Marx möchte er allerdings keine Prognose darüber abgeben, wann es zur Expropriation der Expropiateure kommt. Der Widerstand wachse glücklicherweise, meint Gutierréz: »Wir wollen keine anderen Spielregeln, wir wollen ein anderes Spiel.«