Vertrauen ist besser

Das Hawala-System des Geldtransfers soll stärker kontrolliert werden, weil es angeblich von Terroristen missbraucht wird. Doch Kriminelle bedienen sich des legalen Bankensystems. von alfred hackensberger, beirut

Ein »Banksystem für den Terrorismus« nannte es das US-Magazin Time, ein Interpol-Bericht dagegen räumt ein, dass es »kostengünstig, effektiv, vertrauensvoll und völlig unbürokratisch ist«. Seit den Anschlägen vom 11. September wird den »Informal Money Transfer Systems« (IMTS) nachgesagt, dass sie der Finanzierung terroristischer Netzwerke dienen. Anfang April beschäftigte sich in Abu Dhabi zum zweiten Mal eine internationale Konferenz mit den IMTS und ihrer Kontrolle.

In Pakistan wird das System »Hundi« genannt, die Chinesen bezeichnen es als »Fei ch’ein«, und in Lateinamerika heißt es das »kolumbianische System«. Am bekanntesten aber wurde das »Banksystem der Armen« unter der in den meisten islamischen Staaten gebräuchlichen Bezeichnung »Hawala«.

Es wird von Emigranten genutzt, um unabhängig vom normalen Bankverkehr schnell, sicher und billig Geld zu überweisen. Für Arbeitsmigranten, die häufig Kleinbeträge überweisen, sind nicht nur die hohen Bankgebühren abschreckend. Illegalisierte können nicht die geforderten Papiere vorweisen, Analphabeten müssen für das Ausfüllen häufig mehrseitiger Formulare zusätzlich einen Schreiber bezahlen, und Banken sind in Entwicklungsländern oft nur in größeren Städten vorhanden.

Eine Hawala-Überweisung kostet in der Regel nur 0,5 bis 1,25 Prozent und berücksichtigt den günstigeren Devisenwechselkurs des Schwarzmarkts. Sie basiert auf Vertrauen und dem »Gewohnheitsrecht«. Der IMTS-Operator (Hawaladar) schickt ein Fax, eine E-Mail oder telefoniert mit seinem Kontaktmann und teilt ihm die Summe und das Codewort mit, das zum Empfang des Geldes berechtigt. Es kann schon eine Stunde später beim Lebensmittelhändler, im Goldgeschäft oder einem Elektroladen in der nächsten größeren Ortschaft abgeholt werden.

Der Kontaktmann kann aus der eigenen Familie oder aus einer Familie stammen, die seit Generationen im »Überweisungsgeschäft« tätig ist. In den rund 200 Jahren, in denen die IMTS in Asien und im Mittleren Osten bereits existiert, haben sich feste Strukturen entwickelt. Missbrauch, Korruption und Veruntreuung sind sehr selten. Nur ein einziger Betrug oder kleiner Fehltritt bedeuten für den Transfervermittler eine lebenslange Berufssperre.

Etwa 300 Millionen Menschen nutzen dieses System, die jährlich transferierte Summe wird von der Weltbank auf 90 Milliarden Dollar geschätzt, einem Bericht des Commonwealth zufolge sollen es zwischen 100 und 300 Milliarden Dollar sein.

Weniger Vertrauen als die Migranten hegen Ermittlungsbehörden. Al-Qaida soll diese Form der Geldüberweisung für ihre Zwecke nutzen. Diese Form der »Schattenwirtschaft« ist aber auch aus ganz anderen Gründen den Banken und den Finanzbehörden ein Dorn im Auge. Für die Banken sind die IMTS eine nicht zu schlagende Konkurrenz, für die Finanzämter ein Verlust an Steuern und für die Zentralbanken mit fixen Wechselkursen eine Absage an ihre Devisenpolitik.

In den letzten Jahren versuchte man, den IMTS immer wieder ein Ende zu bereiten. Die Western Union senkte ihre Gebühren um über 50 Prozent. Im Libanon, Ägypten und Jordanien reduzierten die Banken ebenfalls die allgemeinen Transferkosten und entwickelten einen Schlüssel speziell für »Gastarbeiter«. Doch alle Versuche, den riesigen Wirtschaftszweig zu übernehmen oder nur einen kleinen Teil des Kuchens zu bekommen, schlugen fehl.

Da kommt nun der Vorwurf des Missbrauchs durch Terrororganisationen gerade recht. Nach dem 11. September hieß es, das Hawala sei von den Flugzeugentführern benutzt worden. Doch auch der Commonwealth-Report bestätigt, dass die Attentäter ihr Geld über Western Union und andere ganz legale Bankwege verschickt und empfangen haben.

Eine Nutzung der IMTS durch Kriminelle ist im Einzelfall möglich, doch die Wahrscheinlichkeit, dass Hawaladars durch Terroristen oder Geldwäscher korrumpiert werden, ist gering. Jeder IMTS-Operator, der sich auf Dauer mit einer kriminellen Gruppe einlässt, wird früher oder später von seinen Kollegen mit einem faktischen Berufsverbot belegt. Man gibt ihm keine Aufträge mehr und nimmt auch von ihm keine mehr an.

Ohnehin benutzen kriminelle Organisationen bevorzugt legale Bankwege, um große Summen zu transferieren oder zu waschen. Regelmäßig ohne jegliche offizielle Referenz Millionen Dollar über die IMTS zu verschicken, ist wohl ein Ding der Unmöglichkeit. Selbst die Taliban haben es in Afghanistan nicht geschafft, das Hawala zu instrumentalisieren. Die IMTS operieren nicht im Untergrund, sie sind für jedermann zugänglich. Sie erfüllen eine wichtige ökonomische Funktion. Deshalb dürfte es kaum möglich sein, sie zu unterdrücken.

Diese Erkenntnis setzte sich auch in Abu Dhabi durch, wo die Erfahrungsberichte internationaler Institutionen diskutiert wurden. Auf der Konferenz »wurde die Bedeutung der IMTS als integraler Bestandteil des internationalen Finanzsystems hervorgehoben«, berichtete die Tageszeitung Gulf News. Es bedürfe größerer Transparenz und Kontrolle, eine »Überregulierung« aber müsse vermieden werden, da die Hawaladars sich dann jeglicher Überwachung entziehen würden.

Im Juni 2003 vergab die Zentralbank der Vereinigten Arabischen Emirate bereits über 60 Lizenzen für Hawala-Geschäfte, um einen möglichen illegalen Missbrauch zu verhindern. »Wir haben in nur 15 Monaten erfolgreich mehr als 100 Hawaladars unter regulative Kontrolle gebracht«, lobte Sultan bin Nasser al-Suweidi, Gouverneur der Zentralbank, auf der Konferenz seine Bemühungen.

Nicht ganz so optimistisch äußerte sich der IWF-Vertreter Barry Johnston: »Es ist zu früh und auch schwierig, den Erfolg dieser Maßnahmen zu beurteilen.« Es gibt jedoch neben der staatlichen Kontrolle im Hawala-System eine interne Selbstregulierung, die dem offiziellen Finanzsystem nicht selten fehlt.

J. Orlin Grabbe, ein ehemaliger Professor der Wharton School of Business, der heute in Dubai lebt, formulierte es so: »Im einem der Stockwerke der Citibank in Manhattan scheint niemand zu arbeiten, bis das Telefon plötzlich läutet. Dann werden Notizen gemacht, Instruktionen geflüstert, die Tastaturen der Computer klappern. Die Männer dort transferieren Geld zu Exporteuren, zu Drogenhändlern, Steuerflüchtlingen, an korrupte Politiker. Und an Terroristen. Ganz klar: es ist Zeit, die Citibank zu schließen.«