Weiter Teilung ist die Lösung

Die Griechen sagten Nein, die Türken sagten Ja zur Wiedervereinigung Zyperns. Nun wird sich ein Teil eines EU-Mitgliedstaates unter militärischer Besatzung der Türkei befinden. von ralf dreis, thessaloniki

Das Derby der beiden größten Fußballvereine Nikosias, Apoel und Omonia, ist zugleich auch immer ein Schlagabtausch der größten politischen Parteien im griechischen Südzypern. Die Apoel-Fans schwenken griechische Nationalfahnen und wählen zumeist die konservative Demokratische Sammlungsbewegung (Disy). Omonia wird mit Che-Guevara-Fahnen angefeuert. Ihre Anhänger wählen überwiegend die kommunistische Akel, die größte Partei Südzyperns. Eine Woche vor den Volksabstimmungen über den Wiedervereinigungsplan von UN-Generalsekretär Kofi Annan erschienen die Apoel-Fans mit einem großen »Nein« auf den T-Shirts im Stadion; entgegen der Parteilinie der Disy, die sich zuvor auf ein »Ja« festgelegt hatte. Die Fankurve von Omonia trat dagegen mit »Ja«-T-Shirts auf, auch sie gegen die Akel-Parteilinie, welche eine Verschiebung der Abstimmungen anstrebte. Am vergangenen Samstag zeigten sich jedoch die Zyperngriechen weniger gespalten als die Fußballfans und lehnten mit einer Mehrheit von 75,8 Prozent den Plan zur Wiedervereinigung ab. Im türkischen Nordzypern befürworteten ihn dagegen 64,9 Prozent der Bevölkerung.

Der griechisch-zyprische Präsident Tassos Papadopoulos hatte nach den Verhandlungen in Luzern als erster seine Ablehnung verkündet (Jungle World, 15/04). Die Diskussion im griechischen Südzypern verlief quer zu traditionellen Parteibindungen, wobei der Streit vor allem emotional geführt wurde. Fünf Tage vor den Abstimmungen gaben 70 Prozent der Bevölkerung an, nicht genau über den Annan-Plan informiert zu sein. Bei der Mehrheit überwog das Gefühl, von »England und den USA verkauft« zu werden, da diese beiden Staaten eigene militärstrategische Interessen verfolgten. Wohlstandschauvinismus und rassistische Vorurteile taten ihr Übriges. Nachdem man von griechischer Seite über Jahrzehnte die Internationalisierung des Konflikts gefordert hatte, um endlich die verschiedenen UN-Resolutionen seit der türkischen Invasion von 1974 zu realisieren, war nach Luzern die Ernüchterung gefolgt. Kaum jemand hatte sich mit dem Gedanken befasst, dass eine Wiedervereinigung nach 30 Jahren mit schmerzhaften Kompromissen verbunden sei. Auch die Taktik der Parteien, auf die Ablehnung aller Vorschläge durch Rauf Denktas und die türkische Armeeführung zu fokussieren, anstatt eine offene Diskussion in der Gesellschaft zu starten, trägt daran Mitschuld. Übersehen wurde dabei, dass sowohl die USA als auch der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan und die türkische Armeeführung die Zukunft der Türkei in der EU sehen. Dieses Ziel ist jedoch ohne vorherige Lösung des Zypernkonflikts nicht zu erreichen. So konnte die Armeeführung zum Stillhalten gezwungen werden, Erdogan schob Denktas aufs politische Abstellgleis und erzielte in Luzern großen Verhandlungserfolg.

Der von den Zyperngriechen nun abgelehnte Plan erkennt die nach 30 Jahren veränderten Gegebenheiten an. Die türkische Armee würde von einer Besatzungs- zur Garantiemacht, Klagen von Vertriebenen gegen die Türkei sollen zurückgezogen, Entschädigungen vom vereinten Zypern bezahlt werden. Ein Großteil der 90 000 türkischen Siedler soll die zyprische Staatsbürgerschaft erhalten. Neben der gemeinsamen Bundesregierung, die Zypern außenpolitisch repräsentieren soll, sieht der Plan die Entstehung zweier Teilstaaten vor, welche über eine eigene Verfassung und ein eigenes Parlament verfügen sollen. Für wichtige politische Entscheidungen würden beide Seiten über ein Vetorecht verfügen. Zudem soll sich Zypern darauf festlegen, den türkischen EU-Beitritt zu unterstützen. Von den 40 000 türkischen Besatzungssoldaten dürfen in der ersten Phase des Vereinigungsprozesses 9 000 auf Zypern bleiben. Bis 2011 sollen sowohl Griechenland als auch die Türkei über 6 000 Soldaten verfügen, und auch nach einem eventuellen EU-Beitritt der Türkei würden türkische Truppen auf der Insel bleiben.

Vor allem territorial hatte sich der griechische Süden mehr erhofft. In einem Zeitraum von dreieinhalb Jahren würden die Städte Famagusta und Morfou sowie mehrere Dutzend Dörfer an den griechischen Teil zurückgegeben. Circa die Hälfte der 180 000 Vertriebenen könnte in ihre Häuser zurückkehren. Heute sind 37 Prozent der Insel türkisch besetzt, 29 Prozent sollen unter türkischer Verwaltung bleiben. Großbritannien und die Nato würden dauerhaft über die zwei existierenden Militärbasen verfügen, die acht Prozent des Territoriums entsprechen. Das höchste Gericht soll als Verfassungs- und Schiedsgericht funktionieren. Vertreter beider Seiten hätten in dem Gremium das gleiche Stimmrecht, das durch drei ausländische (vermutlich britische) Richter ergänzt werden soll. So wuchs das Misstrauen, es gehe nicht um ein geeintes, unabhängiges Zypern, sondern um die Installierung eines britisch-amerikanischen Protektorats.

Diskutiert wurde das »nationale Thema« Zypern auch in Griechenland. Die sozialdemokratische Pasok und die Allianz der radikalen Linken hatten sich trotz starken Widerspruchs innerhalb der Parteien auf ein »Ja« zur Vereinigung festgelegt. Die konservative Regierungspartei Nea Dimokratia hielt sich alle Möglichkeiten offen und die Kommunistische Partei blieb bei einer entschiedenen Ablehnung des Annan-Plans. Sie forderte auf Demonstrationen die Verwirklichung der UN-Resolutionen von 1977–79, ein »freies, vereintes Zypern zweier Gemeinschaften, ohne Besatzungsmächte, Nato-Stützpunkte und imperialistische Einmischung«. Aus dem Hochsicherheitsknast Korydallos hatte sich auch ein ehemaliges Mitglied der Guerillagruppe 17. November, Dimitris Koufodinas, in die Diskussion eingeschaltet. Der Annan-Plan orientiere sich weder an den Interessen beider Volksgruppen noch respektiere er internationales Recht. Er bediene allein »die militärisch-strategischen Interessen der USA und Englands, für die Zypern ein unversenkbarer Flugzeugträger im östlichen Mittelmeer darstellt«. Nach dem zustimmenden Votum der türkischen Seite geht es für Griechenland und die Republik Zypern nun vor allem um Schadensbegrenzung. Noch vor den Referenden hatte Papadopoulos angekündigt, alle im Annan-Plan vorgesehenen wirtschaftlichen Verbesserungen für den türkischen Norden, unabhängig vom Ergebnis der Abstimmungen, durchzusetzen. Als erstes sollen 260 Millionen Euro gesperrter EU-Gelder für den wirtschaftlichen Aufbau freigegeben werden. Am Abend nach der Abstimmung richtete er sich in einer Ansprache an die türkischen Zyprer und versprach, »auf der Basis des Annan-Plans für eine gerechte, lebensfähige Vereinigung« weiterkämpfen zu wollen. Griechenland versucht unterdessen durch diplomatischen Druck auf moslemische Länder, die Anerkennung der international geächteten türkischen Republik Nordzypern zu verhindern. Ab 1. Mai wird sich ein Teil eines EU-Mitgliedstaates unter militärischer Besatzung der Türkei befinden.