An der Ostseeküste

Die Diskussion um Offshore-Windkraftanlagen resultiert vor allem aus unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen. von anke schwarzer

Schon ab Oktober 2005 sollen 21 Windräder den ersten deutschen Ostsee-Windstrom liefern, geht es nach dem Willen der Planer. Komme es nicht zu Verzögerungen, so könne im Frühjahr 2005 der Bau der Pilotanlage beginnen, sagt Mecklenburg-Vorpommerns Umweltminister Wolfgang Methling (PDS). Doch der Plan ist umstritten.

Für die Offshore-Windanlage in der Ostsee, nördlich der Halbinsel Darß soll in Kürze das Genehmigungsverfahren eröffnet werden. Die Windräder mit einer Höhe von 125 Metern und Rotoren von 90 Metern Durchmesser sollen 14 bis 19 Kilometer vor der Küste auf dem Meeresgrund in 17 Metern Tiefe installiert werden. Antragsteller ist die Offshore Ostsee Wind AG mit Sitz in Börgerende. Noch größere Anlagen sind in den Projekten Kriegers Flak und Sky 2000, an der auch der Energiekonzern Eon beteiligt ist, geplant. 50 Windräder sollen an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste bzw. 70 bis 93 Stück nördlich von Rügen aufgestellt werden.

Nach Angaben des Bundesverbands Windenergie (BWE) stehen in Deutschland mittlerweile 15 387 Windräder, vor allem in den nördlichen Bundesländern. Da die geeigneten Standorte auf dem Land mittlerweile als ausgereizt gelten, geraten nun die Küsten der Nord- und Ostsee in den Blick. Hier weht der Wind zudem beständiger und kräftiger als im Binnenland. Die geplanten Offshore-Projekte würden emissionsfreien Strom in großer Menge liefern und die von der Bundesregierung angestrebte »Energiewende« voranbringen. Danach soll bis zum Jahr 2020 eine dezentrale Energieversorgungsstruktur entstehen, die mindestens 20 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien bereitstellt und die übrigen 80 Prozent zwar auf der Basis fossiler Brennstoffe, jedoch aus sehr viel effizienteren Kraftwerken als heute.

Rund 40 Offshore-Projekte sind insgesamt geplant, vor allem in der Nordsee, bislang jedoch nur vier Pilotvorhaben genehmigt worden: Butendiek bei Sylt sowie drei weitere nördlich von Borkum. Rund 15 Prozent des deutschen Strombedarfs sollen bis 2030 auf hoher See erzeugt werden; das entspricht etwa der Hälfte der heutigen Atomstromproduktion. Nach Angaben des BWE hat die Windstromindustrie derzeit einen Marktanteil von sechs Prozent. »Dank des neuen Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) wird sich dieser Anteil in den nächsten zehn Jahren verdoppeln«, vermutet Peter Ahmels, der Präsident des BWE.

Den großen Stromerzeugern, die auf Atomkraft und Kohle setzen, bereitet die Konjunktur der Windkraft Bauchschmerzen, da sie um ihren Marktanteil fürchten. Doch auch andere Kräfte machen dagegen mobil (Jungle World, 48/03). Bürgerinitiativen gehen in die Offensive, der Spiegel schimpft über den »Windmühlenwahn«. In Mecklenburg-Vorpommern stehen vor allem Tourismusverbände und die Naturschutzorganisation World Wide Fund For Nature (WWF) der geplanten Offshore-Anlage am Darß kritisch gegenüber. Die Tourismusbranche befürchtet drastische Umsatzrückgänge, Schiffsunfälle in der nahe gelegenen, viel befahrenen Kadetrinne sowie Wertverluste bei Immobilien, wenn die Windräder die Sicht auf die Ostsee beeinträchtigen. »Warum wird Landschaftszerstörung gefördert, die der Tourismusbrache ein Minus von bis zu 19 Prozent bringt?«, fragt Fried Krüger, der Geschäftsführer des Tourismusverbands Fischland-Darß-Zingst.

Um Gegenaktionen zu koordinieren, wurde ein »Bündnis gegen Offshore« gegründet, dem Ostseekommunen in Mecklenburg-Vorpommern, Landkreise entlang der Küste und Hotels zwischen Usedom und Boltenhagen angehören. »Wir haben das Gefühl, dass das Projekt generalstabsmäßig durchgezogen werden soll. Wir wollen uns in Schwerin Gehör verschaffen«, sagt Krüger. Am 12. Mai soll ein Autokorso zum Protest gegen den »Windwahnsinn auf dem Meer« durch die Landeshauptstadt rollen. Keine einzige Offshore-Anlage an der deutschen Ostseeküste, lautet die Forderung des Bündnisses.

Auf dem Meer tummeln sich Sportboote, auf den Inseln werden Hotels gebaut und die neue Ostsee-Autobahn A 20 fräst sich durch die schöne Landschaft. Direkt an der Küste des Greifswalder Boddens steht das stillgelegte Atomkraftwerk Greifswald/Lubmin mit acht Hallen zur Zwischenlagerung radioaktiven Mülls, daneben entsteht eine Kernfusionsanlage. »Wir haben hier unberührte Natur«, sagt Krüger. Naturschutzverbände sehen Kraniche und andere Zugvögel sowie Schweinswale in Gefahr. Der WWF befürwortet Offshore-Anlagen zwar generell, lehnt aber den Windpark vor dem Darßer Ort ab. Zu groß sei das Gefahrenpotenzial, erklärte Jochen Lamp vom WWF-Fachbereich Küsten und Meere in der Ostsee-Zeitung.

Sven Teske, Klima- und Energieexperte bei Greenpeace, nimmt die Gefährdung der Fauna und Flora ebenfalls ernst. Einige Studien hätten aber auch gezeigt, dass die Beeinträchtigung für Zugvögel nicht so groß sei wie befürchtet. Offshore-Anlagen in Naturparks seien selbstverständlich tabu. Aber man müsse von der Atomenergie und den Kohlekraftwerken wegkommen: »Ohne Offshore-Anlagen ist der dringend nötige Energiewandel nicht zu machen.«

So stehen in Mecklenburg-Vorpommern die Interessen der Tourismusunternehmen den Expansionswünschen der Windkraftbranche gegenüber. Mit vielerlei Argumenten wird versucht, die Offshore-Projekte schlecht zu machen. Dass die Landschaft verschandelt und die Natur gefährt wird, sind zwei davon. Dabei kann man über Geschmacksfragen streiten, und die Naturschutzaspekte werden ohnehin geprüft. Über 15 Gutachten sind in Arbeit.

So wichtig ein behutsames Vorgehen in empfindlichen Biotopen auch ist, zeugen doch viele Argumente der Windkraftgegner eher von grundsätzlichen Vorbehalten gegenüber dem Energiewandel oder von eigenen wirtschaftlichen Interessen. Etwa wenn behauptet wird, die Windkraft sei zu teuer und nutzlos. »Das Offshore-Pilotprojekt ist vor allem eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Werftindustrie und Windkraftanlagenhersteller. Es ist Mehrfachsubvention und Protektionismus«, meint Krüger, dessen Tourismusbranche ebenfalls in den Genuss von Förderprogrammen gekommen ist. Dabei wird Windenergie nicht mit Steuergeldern gefördert. Ganz im Gegensatz übrigens zur Kohle- und Atomindustrie. In dem Erneuerbare-Energien-Gesetz ist lediglich ein fester Abnahmepreis für den Strom aus Windenergie festgeschrieben, der auf alle Stromkunden gleichmäßig verteilt wird.

Abgesehen vom politischen Gegenwind gibt es aber auch noch einige technische Unwägbarkeiten bei den Offshore-Projekten. So müssen die Windräder in großen Wassertiefen verankert und durch lange Seekabel mit dem Stromnetz verbunden werden. Auch die Wartung der Anlagen auf See, vor allem im Winter, ist eine Herausforderung. Und ohne einen Ausbau des Stromnetzes drohen viele Offshore-Anlagen auf ihrem Strom sitzen zu bleiben, da das Netz auf die heutigen Kraftwerk- und Verbraucherstandorte ausgerichtet ist. Für die gewaltige Offshore-Einspeisung, die zudem je nach Wetterlage schwankt, müssen die thermischen und dynamischen Grenzen des Stromnetzes ausgelotet und neue Kapazitäten geschaffen werden.

Was vor Jahrzehnten, als Atomkraftwerke auf der grünen Wiese gebaut wurden – etwa in Lingen im strukturschwachen Emsland –, kein Thema war, ist heute ein Problem. Denn die Netzbetreiber sind die großen Stromkonzerne, die am Windstrom kaum etwas verdienen und deshalb die Kosten für den Ausbau des Netzes scheuen.