Verhaftetes Leben

Gabriele Rollnik, Mitglied der Bewegung 2. Juni, erzählt ihre Geschichte des bewaffneten Kampfes. von gottfried oy

Banküberfälle, Politiker- und Industriellenentführungen, Gefängnisausbrüche: Gabriele Rollniks Zeit im Untergrund war alles andere als ereignislos. Obwohl keine der Baader-Meinhof-Berühmtheiten, hat das ehemalige Mitglied der Bewegung 2. Juni im Gespräch mit dem Schriftsteller und Journalisten Daniel Dubbe einiges zu erzählen. Schließlich sind die Aktionen des 2. Juni – von der Lorenz-Entführung bis zu den »Negerkuss«-Banküberfällen – Legende, eine ganze Bibliothek der Beteiligten weiß darüber zu berichten: Nicht nur die als Renegaten gebrandmarkten Michael »Bommi« Baumann und Till Meyer, auch Fritz Teufel, Ralf Reinders, Ronald Fritzsch, Inge Viett und jetzt Gabriele Rollnik nehmen ausführlich Stellung.

Rollnik erzählt von ihren Eltern, die für sie wegen der Verstrickung der Deutschen in den Nationalsozialismus keine Autorität mehr besaßen, von »68« als medialem Ereignis, das sie im elterlichen Wohnzimmer wahrnimmt. Es folgt ein Soziologiestudium in Bochum, später in Berlin. »Da kommen sie ja genau in die richtigen Kreise«, sagt ihre Zehlendorfer Vermieterin sorgenvoll. Sie hört Vorlesungen von Johannes Agnoli und Richard Löwenthal, engagiert sich in einer trotzkistischen Gruppe. Noch während der Diplomarbeit beschließt sie, ihr Studium abzubrechen, ihr Professor ist entsetzt. »Ich wollte alle Brücken in eine Mittelschichtsexistenz abbrechen.« Sie geht zunächst mit falscher Vita zu Telefunken ans Fließband und beteiligt sich an der Vernetzung von Frauengruppen aus der Betriebsarbeit, beim spontanen nächtlichen Abreißen von Fahndungsplakaten kommt sie jedoch in Kontakt mit militanten Kreisen.

Eine Freundin nimmt sie mit zu einem Besuch bei Till Meyer in der JVA Castrop-Rauxel, 1973 steht eben jener flüchtige Meyer vor ihrer Tür, sie gibt ihm Quartier und schließt sich der Bewegung 2. Juni an. Ihre Idee ist es, wie in Italien und Frankreich Proteste und Streiks durch bewaffnete Aktionen zu unterstützen: »Uns ging es ja darum, durch unser praktisches Beispiel andere zu mobilisieren, sich auch zu organisieren und zu kämpfen. Indem wir zeigen, dass man sich wehren kann, dass man gewisse Sachen durchsetzen und den Staat zu Zugeständnissen zwingen kann.« Theoretische Grundlage bildet dabei eine bunte Mixtur aus Guevaras Focus-Theorem und italienischem Operaismus. Während es anfangs auch regen Kontakt zu legal agierenden politischen Gruppen, vor allem in Berlin, gab, und aus den zahlreichen Banküberfällen auch »Gelder an andere geflossen« sind, gestaltete sich das Verhältnis zur RAF immer schwierig: »Sie waren mir zu starr in Bezug auf ihre Linie«, von Arroganz und Überheblichkeit ist die Rede, wenn auch immer wieder Bewunderung für deren Konsequenz durchscheint.

Folgenreich ist die Zusammenarbeit mit palästinensischen Gruppen, erste Kontakte reichen bis in die Sechziger zurück und bestimmen die Entwicklung über das ganze folgende Jahrzehnt, viele Aktionen sind nur mittels palästinensischer Unterstützung möglich. Auch Rollniks Flucht aus dem Gefängnis 1976 führt sie in ein Palästinenser-Camp. Grundlage der Zusammenarbeit waren gemeinsame antikapitalistische Vorstellungen: »Der Gruppe, zu der wir Kontakt hatten, ging es um ein einiges sozialistisches Palästina, in dem Israelis und Palästinenser zusammen leben sollten. Das hat unseren Vorstellungen entsprochen.« Zudem sahen die Deutschen bei den Palästinensern einen internationalistischen Ansatz und dachten, dass es um mehr als die nationale Sache ging. Rollnik stört sich an den hierarchischen Strukturen in den Ausbildungslagern, über den politischen Unterricht und die Ideologie verliert sie allerdings kein Wort. So bleibt nur, sich auf die Bekennerschreiben zu einzelnen Anschlägen zu beziehen, und die sprechen nicht gerade die Sprache der Versöhnung zwischen Palästinensern und Israelis. In einer kruden Gleichsetzung nationalsozialistischer Verbrechen und israelischer Politik wird der Holocaust kurzerhand in den Nahen Osten verlegt.

1978, nach der Befreiung Till Meyers und der gemeinsamen Flucht über die DDR nach Bulgarien, wird Rollnick verhaftet und an die BRD ausgeliefert. »Jetzt geht’s heim ins Reich«, kommentieren die Beamten die Gefangennahme der Flüchtigen. Es beginnen über 14 Jahre Gefängnis. Rollnik beschreibt den zermürbenden Gefängnisalltag: Gespräche mit Besuchern wurden mitstenografiert, zum Teil auch illegaler Weise auf Tonband aufgezeichnet. Mehr als zehn Jahre waren Besucherkontakte nur durch die Trennscheibe und in Anwesenheit zweier Staatsschützer und eines Gefängniswärters möglich.

Die Situation der mehrfach hungersteikenden Gefangenen hatte sich schließlich so zugespitzt, dass 1982 der Medizinaldirektor Volker Leschborn, Chef der inneren Abteilung und stellvertretender Leiter des Krankenhauses der Berliner Strafvollzugsanstalten, Selbstmord verübte, weil er aus medizinischer Sicht nicht mehr verantworten konnte, wie mit den hungerstreikenden Gefangenen umgegangen wurde. Gleichgewichts- und Sehstörungen als Spätfolgen der Hungerstreiks erinnern Rollnik bis heute an ihre Haftzeit.

Auch die immer wieder eingeforderte Formel, mit der die Gefangenen abschwören sollten, kann sie noch heute auswendig aufsagen: »Im Knast hätte man sagen müssen: So, ich möchte jetzt mit dem Verantwortlichen sprechen. Dann hätte man sagen können: Ich will jetzt erstmal weg von meinen Genossen, raus aus dem Trakt. Ich habe mit dem bewaffneten Kampf nichts mehr zu tun. War falsch, war ein Fehler, und ich bereue. Das wäre das Abschwören gewesen.« Sie hat es nicht gemacht und stattdessen ihre Haftstrafe komplett abgesessen. Selbstkritisch bezeichnet sie heute ihre Biografie als ein »im Alten verhaftetes« Leben und verlässt damit für kurze Zeit ihre Rolle als Zeitzeugin der Siebziger. Leider hat es sich dieses Buch nicht zur Aufgabe gemacht, die Reflexion zu unterstützen.

Gabriele Rollnik, Daniel Dubbe: Keine Angst vor niemand. Über die Siebziger, die Bewegung 2. Juni und die RAF. Edition Nautilus, Hamburg 2004, 127 S., 9, 90 Euro