Die Rückkehr des Legionärs

Serbien: Politik und Verbrechen von boris kanzleiter, belgrad

Gerade haben die Kandidaten für die serbischen Präsidentschaftswahlen am 13. Juni erste gegenseitige Bezichtigungen ausgetauscht, mit der Mafia zusammenzuarbeiten oder Kriegsverbrecher zu protegieren, da wirbelt Milorad Lukovic, genannt Legija (Legionär), das politische Establishment ein weiteres Mal durcheinander. Der mutmaßliche Drahtzieher des Mordes an Premierminister Zoran Djindjic, der im März 2003 erschossen worden war, stellte sich Anfang Mai freiwillig der Polizei und verspricht mit seinen Aussagen eine Abrechnung mit Freund und Feind.

Bereits der Hergang der unerwarteten Verhaftung deutet an, wie tief die Krise des Institutionengefüges in Serbien ist. Nachdem Lukovic über ein Jahr lang steckbrieflich gesucht worden war, spazierte er am Abend des 2. Mai vor die Tür seines Einfamilienhauses in einem Belgrader Nobelvorort und erklärte dort den schockierten Polizisten, er würde sich gerne der Justiz stellen. Zur Überraschung der Öffentlichkeit erklärte Lukovics Rechtsanwalt, der offiziell meist gesuchte Mann Serbiens habe sich seit den tödlichen Schüssen auf Djindjic, also 14 Monate lang, zu Hause aufgehalten – auf Anraten der Polizeiführung. Ob diese unglaubliche Erklärung richtig oder falsch ist, bleibt vorerst ungeklärt. Dass sie in der Öffentlichkeit für plausibel gehalten wird, zeigt indes, wie tief das Misstrauen gegenüber den Ermittlungsbehörden sitzt.

Die Grund dafür ist einfach: Niemand weiß heute, wer sich in Serbien an der Macht befindet. Natürlich sind die Namen der Minister bekannt, aber ungewiss ist, über welchen Einfluss im Hintergrund der Mafia-Geheimdienst-Polizei-Komplex verfügt, der in den vergangenen Jahren die Geschicke des Landes maßgeblich steuerte. Das beste Beispiel dafür ist Lukovic selbst. Seine Karriere begann der 35jährige »Experte«, so die Berufsbezeichnung in seinem Reisepass, als Fremdenlegionär, daher der Spitzname. Seine militärischen Fähigkeiten stellte er ab 1992 der irregulären Truppe des Paramilitärführers Zeljko Raznjatovic, alias Arkan, zur Verfügung. Wie dieser verband Lukovic das Brandschatzen und Plündern mit kriminellen Geschäften in der Belgrader Unterwelt. Diese führte er auch weiter, als er 1996 zum Chef der Polizei-Elitetruppe »Einheit für Spezielle Operationen« (JSO) ernannt wurde, mit der er im Kosovo auf »Terroristenjagd« ging.

Ein Deal mit dem Oppositionsführer Zoran Djindjic sicherte Legija seine Position in der JSO auch über den Sturz Slobodan Milosevics im Oktober 2000 hinaus. Im Gegenzug für eine faktische Straffreiheit beim groß angelegten Einstieg in das lukrative Drogengeschäft verhielt sich die JSO loyal zur neuen Regierung. Die Einheit koordinierte 2001 sogar die Verhaftung von Milosevic. Offensichtlich allerdings brach die Djindjic-JSO-Allianz auseinander. Denn auch wenn Lukovics Rolle beim Mord noch unklar ist, hat der Vizekommandant der Einheit, Zvezdan Jovanovic, gestanden, der Ausführende gewesen zu sein.

Die Frage, welche die serbische Öffentlichkeit jetzt bewegt, lautet: Warum drängelt sich ein agiler Multimillionär mit verschiedenen Reisepässen sowie besten Beziehungen zum Sicherheitsapparat und der Mafia auf die karge Anklagebank im Djindjic-Prozess, statt mit einer neuen Identität, einem Kaltgetränk auf den Bahamas im Whirlpool zu sitzen? Am 10. Juni dürfte es eine Antwort geben. Dann will Lukovic im Gericht seine Erklärung abgeben. Drei Tage vor den Präsidentschaftswahlen.