Einheit vor Klarheit

Auf einer Solidaritätskonferenz für den »irakischen Widerstand« in Paris wurden Widersprüche konsequent beiseite geschoben. von bernhard schmid, paris

In die Fratze der eigenen Geschichte blicken Franzosen und Französinnen derzeit, wenn sie die Folterbilder aus dem Irak betrachten. Vorige Woche wurde auf dem Filmfestival in Cannes der 1966 in Venedig preisgekrönte und danach in Frankreich verbotene Film »La bataille d’Alger« (Die Schlacht um Algier) aufgeführt. Der Film des italienischen Regisseurs Gillo Pontecorvo behandelt jene Periode des algerischen Unabhängigkeitskrieges gegen die Kolonialmacht Frankreich, in der die FLN (Nationale Befreiungsfront) 1956/57 auf Methoden des urbanen Terrorismus setzte und die französische Herrschaft mit dem massiven Einsatz von Folter antwortete. Dass der Film, in dem vorwiegend algerische Laiendarsteller auftreten, gerade jetzt in Cannes zu neuen Ehren kommt, ist keinem historischen Zufall zu verdanken.

Im September 2002 wurden zwei US-Diplomaten in Algier in der Villa des Hauptdarstellers Yacef Saadi vorstellig, der in dem Film seine eigene historische Rolle interpretierte. Sie baten ihn, den Film in Nordamerika zu zeigen und auch für Diskussionen zur Verfügung zu stehen. So kam es am 27. August 2003 zu einer Sondervorstellung im Pentagon, organisiert von der »Direktion für besondere Operationen und low intensity conflicts«. Auf dem Einladungskarton hieß es: »Kinder schießen aus nächster Nähe auf Soldaten. Frauen legen Bomben in Cafés. Bald wird die gesamte arabische Bevölkerung von einem verrückten Fieber erfasst sein. Erinnert Sie das an etwas?« Und: »Die Franzosen haben einen Plan. Sie erzielen einen taktischen Erfolg, aber erleiden eine strategische Niederlage. Um zu verstehen warum, kommen Sie zu dieser seltenen Vorführung!«

Dieser »Plan«, das war die Folter. Sie ist in dem Film deutlich zu sehen. Die bei der Vorführung anwesenden Zivilisten und Militärs interessierten sich besonders dafür, wie ihr Einsatz einerseits effizient sein konnte, andererseits aber auch Märtyrer und Helden des Unabhängigkeitskampfes hervorbrachte. Nachdem die Experten des Pentagon instruiert worden waren, kam der Film im Januar 2004 dann auch in die US-Kinos. Von diesem Mittwoch an wird ihn erstmals auch das französische Publikum sehen können.

Die Rezeption der eigenen französischen Geschichte und die Bewertung des Vorgehens von US-Militärs im Irak vermengen sich unweigerlich in den Köpfen von Linken und Rechten. Problematisch ist, dass so mancher der Beteiligten politisch und theoretisch bestenfalls auf dem Stand des Algerienkriegs stehen geblieben ist. Diesen Eindruck jedenfalls konnte man bei der »Ersten internationalen Konferenz zur Solidarität mit dem irakischen Volk im Kampf« gewinnen, die am vergangenen Samstag in einem Kongresszentrum im 14. Pariser Bezirk stattfand.

150 bis 200 Teilnehmer vertraten dort vor allem den orthodox-realsozialistischen oder neostalinistischen Flügel mehrerer kommunistischer Parteien, vor allem aus Frankreich, Italien, Spanien und Portugal. Hinzu kamen aus Frankreich einige Repräsentanten der PT (Partei der Arbeiter), einer autoritären Politsekte trotzkistischen Ursprungs, die heute eher nationalistisch-etatistisch ausgerichtet ist. Aus Deutschland und Österreich waren Vertreter der Antiimperialistische Koordination (AIK) und des Bremer Antiimperialistischen Forums angereist. Französische Nationalrevolutionäre hatten im Vorfeld im Internet für die Konferenz geworben, tauchten dann allerdings nicht dort auf.

Das Publikum war durchaus mit unterschiedlichen Erwartungen gekommen. Angehörige der Gewerkschaft CGT berichteten von Delegationsreisen nach Bagdad, bei denen sie Kontakt zu unterschiedlichen Gewerkschaften und der Arbeitslosenbewegung aufzunehmen versuchten. Andere wiederum bezogen sich eher auf den bewaffneten Kampf. Ein junger Iraker berichtete auf dem Podium, wie er im März 2003 sein Studium in einem europäischen Land abgebrochen habe, um eilig in den Irak zurückzukehren und dort in einer Freiwilligeneinheit unter Kontrolle des ba’athistischen Regimes zu kämpfen. Unvermittelt standen die verschiedenen Ansätze nebeneinander.

Als prominenter Gast aus dem Irak saß Subhi Toma auf dem Podium, der als Angehöriger einer dissidenten Fraktion der Ba’ath-Partei zeitweise im europäischen Exil lebte, aber bereits vor Kriegsbeginn wieder seinen Frieden mit dem amtierenden Regime machte. Viele Zuhörer fand auch Thierry Meyssan, der früher als ehrbarer Investigativjournalist galt, aber dann durch seine wilden Verschwörungsgeschichten zu den Anschlägen des 11. September 2001 eine zweifelhafte Bekanntheit erlangte (Jungle World, 38/02). Sein Vortrag zu den juristischen Grundlagen der Besatzung im Irak war zwar seriös vorbereitet, doch als Teilnehmer einer ernsthaften Diskussion dürfte sich Meyssan längst nachhaltig diskreditiert haben.

Alle aufkommenden Widersprüche wurden von den irakischen Teilnehmern mit dem Anspruch einer »Einheit im Kampf« abgebügelt. Die Antwort auf kritische Nachfragen etwa zum Problem des Islamismus lautete stets, »das gesamte irakische Volk« stehe »hinter dem Widerstand«. Und in dessen Reihen seien sich, »ob Islamisten, Kommunisten, Ba’athisten oder Nationalisten«, alle über das gemeinsame Ziel, einen unabhängigen Irak, einig.

Einen solchen im Französischen als »Monolithismus« bezeichneten Anspruch auf widerspruchslose Einheit erhob auch die algerische FLN im Befreiungskrieg der fünfziger Jahre. Damals gab es jedoch tatsächlich eine strukturierte politische Organisation. Und wenn die FLN von den europäischen Linken eine pauschale Solidarität einforderte, so gab es doch in seinem Inneren auch heftige Kontroversen. Marxisten und liberale Nationalisten benutzten die Notwendigkeit, auf die linken Europäer Rücksicht zu nehmen, geschickt als Argument, um die islamisch-konservativ ausgerichteten Kräfte zu bekämpfen. Der politische Islamismus als anziehungskräftige, regressive »Alternative« bestand damals, anders als heute, nicht.

Die Abschlusserklärung der Konferenz bewegt sich auf dem Niveau eines Steinzeit-Antiimperialismus, der zu realsozialistischen Zeiten mit der Konzeption einer in »zwei Lager« eingeteilten Welt noch eine gewisse Vitalität hatte, nach dem Motto: Der Feind meines Feindes US-Imperialismus ist mein Freund, zumindest aber darf ich nichts Hässliches über ihn aussagen. Neben Kuba werden auch Nordkorea, der Iran und Syrien als von der US-Kriegspolitik bedrohte Regime bezeichnet – zu denen nicht weiter Stellung genommen wird, außer mit der Aussage, sie seien gegen diese Drohung zu verteidigen. Das führte zu einer kurzen Kontroverse im Publikum, wo dann doch ein paar Bedenken gegenüber dem nordkoreanischen Regime angemeldet wurden. Die Abschlusserklärung erwähnt diese Debatte allerdings nicht.