Folter ohne Grenzen

Neue Enthüllungen über Folter an Gefangenen bringen die Bush-Admnistration in Bedrängnis. Die US-Konservativen reagieren mit einer aggressiven Gegenstrategie. von william hiscott

Kaum war der Artikel »The Gray Zone« am Samstag auf der Website des New Yorker veröffentlicht, sorgte er auch schon für Reaktionen auf höchster Ebene. »Haarsträubend, verschwörerisch und voller Fehler und anonymer Spekulation« sei der Text, erklärte Pentagonsprecher Lawrence di Rita.

Dem Artikel des investigativen Journalisten Seymour Hersh zufolge haben US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Staatssekretär Stephen A. Cambone die Ausweitung eines Geheimprogramms autorisiert, das »harte« Verhörtechniken, die zunächst gegen hochrangige al-Qaida-Gefangene angewendet wurden, auch für irakische Gefangene im Gefängnis Abu Ghraib im Irak zuließ.

Begonnen hat die Geschichte des Skandals Hersh zufolge einige Wochen nach dem 11. September 2001. Rumsfeld habe zu jener Zeit ein hoch geheimes Programm (SAP, Special Access Program) etabliert, ausgestattet mit der Blanko-Vollmacht, »hochrangige« Ziele im war on terror zu töten oder gefangen zu nehmen und, wenn möglich, zu verhören. Kommandos aus US-Elitetruppen – Navy Seals, Delta Force, paramilitärische »Experten« der CIA – wurden gebildet, ein Büro im Pentagon wurde eingerichtet. Die Operation sollte die Bush-Administration befähigen, ohne Verzögerung auf neu gewonnene Informationen zu reagieren, schreibt Hersh. »Kommandos überquerten ohne Visa Grenzen und konnten des Terrorismus Verdächtige verhören, die für den Transfer zu den Militäranlanagen in Guantánamo, Kuba, für zu wichtig gehalten wurden. Sie führten in geheimen CIA-Haftzentren, die über die ganze Welt verstreut sind, sofortige Verhöre durch, bei denen sie Gewalt anwendeten, wenn nötig.«

Im Pentagon erkannten US-Offizielle nach den Terroranschlägen auf die jordanische Botschaft und das UN-Hauptquartier im August 2003, dass der Krieg gegen die irakische Insurrektion schlecht lief. »Rumsfeld und Cambone gingen einen Schritt weiter«, schreibt Hersh. »Sie weiteten den Umfang des SAP aus und brachten dessen unkonventionelle Methoden nach Abu Ghraib. Die Kommandos sollten im Irak operieren, wie sie es in Afghanistan getan hatten. Die männlichen Gefangenen sollten hart behandelt und sexueller Demütigung ausgesetzt werden können.«

Der Pentagonsprecher Di Rita dementierte die Vorwürfe Hershs gegen Rumsfeld und Cambone. Kein verantwortlicher Offizieller des Verteidigungsministeriums habe ein Programm gebilligt, das auf Misshandlungen von Gefangenen wie in Abu Ghraib abgezielt habe.

Aber auch solche Dementis können nicht verhindern, dass der Folterskandal täglich neue Enthüllungen nach sich zieht. Höchste Zeit also für eine mediale Gegenstrategie der Bush-Administration. Nicht zuletzt die traditionelle konservative Elite der USA muss beruhigt werden. »Ich werde nicht nachgeben, unseren Feinden gegenüber Gerechtigkeit zu schaffen. Ich werde Amerikas Sicherheit verteidigen, egal wie«, versicherte George W. Bush dem Publikum einer Wahlkampf-Gala der American Conservative Union, der ältesten konservativen Lobby-Organisation in den USA. Diesen Wahlspruch hat er sicherlich schon dutzende Male von sich gegeben. Doch derzeit klingen diese Worte fast wie eine Apologie der angewandten Foltermethoden.

Zudem erinnerte Bush an die Größen der modernen Republikanischen Partei, an Ronald Reagan, der mit der Iran-Contra-Affäre ebenfalls einen hausgemachten Skandal hatte, und an den »Vater« des modernen Konservatismus, Barry Goldwater. Letztlich handelt es sich dabei um einen Versuch, die Ideologie des Kalten Krieges an die neuen Bedingungen anzupassen. »Die Konservativen«, so Bush, »hatten Recht, dass der Kalte Krieg ein Wettkampf zwischen Gut und Böse war. Ich bin stolz darauf, diese Überzeugungen und Prinzipien voranzutreiben, wenn ich 2004 für die Wiederwahl kandidiere.«

Der Verweis auf Barry Goldwater, ein bislang von Bush selten erwähntes Vorbild, gilt als Zeichen für die Härte der Auseinandersetzung. Der Rechtsaußen Goldwater, langjähriger republikanischer Senator von Arizona und Präsidentschaftskandidat im Jahr 1964, hatte den Einsatz von Nuklearwaffen im Vietnamkrieg und einen schonungslosen Totalangriff auf Nord-Vietnam gefordert. »Extremismus in der Verteidigung der Freiheit ist kein Laster, Mäßigung im Streben nach Gerechtigkeit keine Tugend«, war Goldwaters Slogan vor 40 Jahren.

Aus diesem ideologischen Rückgriff braucht der Stammtisch nur die Schlüsse zu ziehen, die in der medialen Öffentlichkeit vermieden werden. Die New York Post, das führende Boulevardblatt von Rupert Murdochs konservativem Medienkonzern News Corporation, veröffentlichte einen Artikel mit Zitaten voller Gewaltphantasien aus dem »gemeinen Volk«. Anschließend schrieb der Post-Kolumnist Deroy Murdock: »Es ist Krieg, nicht Schwanensee. Ja, Exzesse sollen bestraft werden, und sie werden bestraft. Aber wenn ba’athistische Handlanger und Killer von al-Qaida dadurch zum Singen gebracht werden, dass man sie in stockdunklen Räumen in Frauenunterhosen steckt, dann vergebt mir bitte, wenn ich nicht in Tränen ausbreche.«

Aber auch in anderen Kreisen scheinen die Nerven blank zu liegen. William Kristol griff im neokonservativen Weekly Standard die »quietschenden« Kritiker der Folter mit dem klassischen Schulhofbullyspruch an: »Bist du ein Mann oder eine Maus?« In der National Review Online warnt Victor Davis Hanson mit Blick auf die Enthauptung Nicholas Bergs eindringlich vor »atomarem Gesichtsverlust« und »radioaktivem Jihad«.

Die »moralische Rechte« hingegen verweist sofort auf die üblichen, ihr genehmen Verdächtigen: Gewalt in den Medien, Quentin Tarantinos Filme, Pornographie, Homosexuelle, die liberalen Medien, linke Akademiker, Journalisten, Videospiele oder die »kranke Gesellschaft« selbst tragen in den Augen diverser Kommentatoren die Schuld an den Folterexzessen. Elaine Donnelly, Präsidentin des Center for Military Readiness, erklärte: »Das weltweit verbreitete Photo einer US-Soldatin, die einen nackten irakischen Gefangenen an der Leine hält, ist genau das, wovon Feministinnen seit Jahren träumen.«

Politisch wichtiger für die Republikaner als Attacken der Kulturkrieger aber dürfte die Runderneuerung der Ideologie des Kalten Krieges durch die Blätter der News Corporation und die altehrwürdigen Medien des traditionellen Konservatismus sein. Nicht zuletzt könnte diese Ideologie auch effektiv gegen prominente Querschläger im republikanischen Spektrum wirken, die damit drohen, das leck geschlagene Schiff vorzeitig zu verlassen. Darunter befinden sich George Will, der konservative Kommentator der Washington Post, der Kolumnist Peter Novak von der Chicago Tribune und diverse Kongressabgeordnete wie John McCain, langjähriger Kriegsgefangener und republikanischer Senator aus Arizona, sowie Henry Hyde, republikanischer Kongressabgeordneter aus Illinois und Elder Statesman der Partei.

Doch nicht allein in den republikanischen Reihen wachsen die Widersprüche. Das Militär will nicht den alleinigen Sündenbock spielen. Die Military Times, eine Zeitschrift des Gannett-Konzerns, schreibt: »Der Folterskandal war nicht nur ein Versagen der Führung auf der lokalen Kommando-Ebene. Er war ein Versagen, das bis in die obersten Etagen ging. Verantwortung hier ist notwendig, selbst wenn sie bedeutet, dass oberste Kommandanten in Zeiten des Krieges aus der Pflicht entlassen werden müssten.«

Eine implizite Forderung nach Rumsfelds Rücktritt? Sein Abgang wäre insbesondere für den Apparat hinnehmbar. Letztlich entscheidet Bush selbst, ob Rumsfeld bleibt oder geht. Sein Verbleib im Amt aber wird wie alles andere vom Wahlkampf diktiert.