Gewalt für den Gottesstaat

Was Terrorismus und was Widerstand ist, blieb im internationalen Recht immer umstritten. Auf die Legitimität der antikolonialen Befreiungskämpfe können islamistische Terroristen sich jedoch nicht berufen. von wahied wahdathagh

Nicht nur die Linke streitet über den Begriff des Terrorismus. Auch die Vertreter der »internationalen Gemeinschaft« haben sich bisher nicht auf eine allgemein gültige Definition einigen können. In verschiedenen, von westlichen Staaten nicht akzeptierten UN-Resolutionen, wurde die Gewaltanwendung durch antikoloniale Bewegungen legitimiert. Allgemein akzeptierte politische und humanistische Kriterien für die Unterscheidung zwischen Widerstand und Terrorismus gibt es nicht.

Seinen Terrorismusbegriff brachte der iranische Präsident Mohammad Khatami in den wohl von ihm propagierten »Dialog der Zivilisationen« ein, als er ein Gebet für den vom israelischen Militär getöteten Hamas-Führer Abdel Aziz Rantisi sprach: »Ich bitte den erhabenen Gott um die höchsten Ränge für diesen großzügigen Märtyrer Dr. Rantisi und für alle Märtyrer im Widerstand und im palästinensichen Kampf.« Aus Khatamis Sicht ist der »Staatsterrorimus« des »zionistischen Regimes« das Problem, und nicht der gezielte Mord an Zivilisten im Rahmen einer Strategie, die die Zerstörung eines demokratischen Staates anstrebt.

Rantisi wurde nach dem Tod Sheikh Yassins zum Leiter der Terrororganisation Hamas in Gaza ernannt. Er lehnte jeden Kompromiss mit Israel ab und rief zur totalen Zerstörung des »zionistischen Gebildes« auf. Rantisi war einer der Gründer der Hamas und einer der Hauptverantwortlichen für die Politik der Attentate auf israelische Zivilisten. Er sprach sich immer wieder vehement gegen einen Waffenstillstand sowie eine friedliche Verständigung zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde aus.

Das Gebet für einen Märtyrer der Hamas ist eine Verherrlichung der Gewalt und eine Ermutigung für zukünftige Terroristengenerationen. Auch der iranische Außenminister Kamal Kharazi hat mehrfach die perfideste Form des »Märtyrertums«, den bewaffneten Kampf der totalitären islamistischen Organisationen, als Widerstand legitimiert. Die libanesische Hizbollah wurde von Ali Akbar Mohtashemipur, einem der Führer des reformislamistischen Khatami-Flügels, aufgebaut. Andere islamistische Terrororganisationen genießen die Unterstützung der iranischen Islamisten. Für sie war Rantisi der Garant eines zukünftigen »Gottesstaates« in Palästina, in dem, wie im Iran, die Herrschaft der Sharia errichtet werden soll.

Die Politik des totalitären Gottesstaates und der islamisch legitimierte Terrorismus sind antisemitisch und antidemokratisch. Die Demokratie gilt ihnen als gottlos, da sie den menschlichen Willen über das religiöse Gesetz der Sharia stellt. Ein jüdischer Staat auf angeblich islamischem Boden ist für sie inakzeptabel, und jede Form der Gewalt im Namen Gottes und des Widerstandes zur Zerstörung Israels wird unterstützt.

Auch die in der PLO organisierten palästinensischen Nationalisten hatten sich ursprünglich die Zerstörung Israels zum Ziel gesetzt. Unter internationalem Druck strich die PLO 1988 die entsprechende Passage aus ihrer Charta und distanzierte sich vom Terrorismus. Dies war jedoch kein wirklicher Trost für die Israelis, denn die PLO nahm für sich in Anspruch, eine Befreiungsbewegung und somit zu Angriffen auf militärische Ziele legitimiert zu sein. Der Kriegszustand zwischen Palästinensern und Israelis blieb damit faktisch erhalten.

Es sollte nicht vergessen werden, dass sich Israel seit seiner Gründung in einem permanenten Kriegszustand befindet, da seine Existenz militärisch bedroht wird. Zweifellos könnte Israel das Problem der radikalen jüdischen Siedler in der Westbank und im Gazastreifen leichter lösen, wenn endlich der Krieg gegen die israelische Zivilbevölkerung und den israelischen Staat aufhören würde.

Konsens sollte auch sein, dass mit militärischen Schlägen allein das Problem des Hasses und des Terrorismus nicht gelöst werden kann. Ohne eine europäische und amerikanische Unterstützung wird ein Zweistaatensystem sicher auch in Zukunft nicht realisiert werden. Und für die notwendige Integration der Araber in die israelische Gesellschaft sind nicht militärische, sondern zivilgesellschaftliche Kräfte gefragt. Der Terror gegen Zivilisten torpediert jedoch jede Friedenslösung.

Die globale Welle des Terrorismus ist auch ein Rückschlag für die Bemühungen, die zwischenstaatliche Gewalt zu vermindern und Kriegshandlungen einer rechtlichen Kontrolle zu unterwerfen. 1648, das Jahr des Westfälischen Friedens, kann als Beginn des Versuchs der staatlichen Kontrolle der vagabundierenden Gewalt betrachtet werden. Das internationale Recht verbietet seit 1945 jeden Akt des internationalen Terrorismus, die Charta der Vereinten Nationen ächtet faktisch jede Form des Terrorismus. Ein Verbot der politischen Gewalt findet sich auch in der »Friendly Declaration«, der 1970 verabschiedeten Resolution 2 625 der UN-Generalversammlung: »Jeder Staat hat die Pflicht zur Unterlassung der Organisation, Anstiftung, Unterstützung von oder Teilnahme an Bürgerkriegshandlungen oder terroristischen Handlungen in einem anderen Staat oder zur Unterlassung der stillschweigenden Duldung organisierter Aktivitäten auf seinem Hoheitsgebiet, die auf Begehung solcher Handlungen gerichtet sind.«

Kein Staat darf Aktivitäten unterstützen, die auf einen gewaltsamen Umsturz der Regierung eines anderen Staates abzielen. Wenn die 1994 beschlossene UN-Resolution über Maßnahmen zur Beseitigung des internationalen Terrorismus ernst genommen würde, müssten Staaten, die mittelbar oder unmittelbar in den Terrorismus verstrickt sind, zur Verantwortung gezogen werden. Da es ausreichende Beweise für die Beteiligung von iranischen Ayatollahs und Generälen der iranischen Revolutionskomitees an terroristischen Aktivitäten gibt, könnten sie vor ein UN-Gericht zitiert werden.

Doch auch demokratische Staaten wie die USA haben die afghanischen Mujahedin und andere terroristische Bewegungen unterstützt. Manche der damals als Freiheitskämpfer bezeichneten Islamisten stehen heute auf der Fahndungsliste. Und das Verbot, den gewaltsamen Sturz einer Regierung zu betreiben, kann von Diktaturen gegen die Einmischung in »ihre« Angelegenheiten ins Feld geführt werden.

Historisch betrachtet, war schon in der 1960 beschlossenen Entkolonialisierungsdeklaration die Legitimität des bewaffneten Aufstandes der Kolonialisierten undeutlich geblieben. In der Resolution 2 627 der UN-Generalversammlung wurde beispielsweise der Freiheitskampf der Kolonialvölker anerkannt. Umstritten blieb die Frage, ob ein Sezessionsrecht und damit ein Notwehrrecht, das die Waffengewalt rechtfertigt, aus dem Selbstbestimmungsrecht abgeleitet werden kann.

In diesem Zusammenhang ist die Unterscheidung zwischen Guerilla und Terroristen besonders relevant, auch wenn sie Gemeinsamkeiten haben. Ein wichtiges Kriterium wurden der Rückhalt bewaffneter Gruppen und ihre Kampfformen. Guerillas können als militärische Kombattanten gelten, die Unterstützung in der Bevölkerung finden können. Als Terroristen dagegen wurden isolierte Gruppen mit einer irregulären Kampfweise betrachtet. Im Zuge des Entkolonialisierungsprozesses setzte sich 1977 in der Generalversammlung der Uno die Auffassung durch, dass die kolonisierte Bevölkerung durch das internationale Recht legitimiert ist, sich mit allen Mitteln gegen die Kolonialherrschaft zu wehren. Der bewaffnete Kampf gegen Kolonialmächte oder rassistische Regimes im südlichen Afrika wurde nicht als Aggression definiert. In der Resolution 2 627 ging die Generalversammlung sogar von der legitimen Anwendung von Gewalt aus. Solche Positionen wurden jedoch meist von den westlichen Staaten nicht akzeptiert.

Auf dieses Widerstandsrecht berufen sich heute islamistische Terrorgruppen. Der »asymmetrische«, terroristisch geführte Krieg der angeblich Schwachen ist ein gewalttätiger Ausdruck eines Kulturkampfes. Die Phase der Dekolonialisierung ist längst abgeschlossen, und in seinen Zielen und Methoden hat der islamistische Terror kaum etwas mit den antikolonialen Kämpfen zu tun. Die islamistische revolutionäre Internationale kann nur neue Diktaturen schaffen, die bestenfalls eine Zeitlang den Wirtschaftsinteressen der Industriestaaten dienen. Totalitäre Diktaturen sind in einer Zeit, in der nukleare Exporte und Schmuggel, schlecht kontrollierte Lagerstätten von Kernmaterialien und die kaum kontrollierbare Verbreitung der kommerziellen Kernkraft den Zugang zu atomarem Material erleichtern, nicht nur für ihre Untertanen eine tödliche Bedrohung.

Die Geschichte hat bewiesen, dass der Islamismus, vom Mufti von Jerusalem und Sayyid Qutb, die die Islamisierung der arabischen Welt anstrebten, über Khomeini und Khatami, die die Macht des totalitären Gottessstaates erhalten wollen, bis zu Ussama bin Laden, der eine islamistische Weltrevolution anstrebt, Teil einer neuen Form der totalitären Bewegungen sind. Sie stehen in Konkurrenz zueinander, verfolgen aber das gemeinsame Ziel, einen totalitären »Gottesstaat« zu errichten.

Es ist fatal, wenn beispielsweise der Krieg gegen den legitimen demokratischen Staat Israel als ein antikolonialer Kampf verbrämt wird. Denn Kompromisse mit der »Kolonialmacht« sind in dieser Sichtweise Verrat, eine friedliche Lösung ist unmöglich. Doch der Friedensprozess im Nahen Osten muss mit der Anerkennung des Existenzrechtes Israels anfangen, das als demokratischer Staat eine Pflicht zur Verteidigung seiner Gesellschaftsordnung und seiner Bürger hat. Die illegitime islamistische Gewalt und der absolute Anspruch einer totalitären islamistischen Ideologie haben mit Widerstand und Freiheit, im Sinne der Verteidigung von legitimen demokratischen Ansprüchen von Menschen, die in Freiheit leben wollen, nichts zu tun.