Unerwünschte Männer

Die Uno im Kosovo bleibt unter Beschuss: Nach den Ausschreitungen im März werfen Menschenrechtler der Unmik nun Verwicklung in Frauenhandel vor. von markus bickel, sarajevo

Auf der Beliebtheitsskala internationaler Organisationen im Kosovo belegt die Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen (Unmik) derzeit mit sicherem Abstand den letzten Platz. Nach den antiserbischen Ausschreitungen im vergangenen März – bei denen neunzehn Menschen ums Leben kamen und mehr als 800 verletzt wurden (Jungle World, 14/04) – haben Spötter das Akronym der Mission in »Unnecessary Men in Kosovo« umgedeutet.

Nach der tödlichen Schießerei in einem von der Unmik bewachten Gefängnis in Kosovska Mitrovica, bei der vor vier Wochen vier Uno-Polizisten starben, schien der Tiefpunkt für die Protektoratsverwaltung endgültig erreicht. Doch Anfang Mai folgte der nächste Schlag: In dem Bericht »So does that mean I have rights? Protecting the human rights of women and girls trafficked for forced prostitution in Kosovo« warf amnesty international (ai) der Unmik vor, ihre Angestellten seien in Dutzenden Fällen in Geschäfte mit zur Prostitution gezwungenen Frauen verwickelt gewesen.

Zwar wies Unmik die Anschuldigungen des Berichts als »verallgemeinernd« und »veraltet« zurück. Doch die Vorwürfe könnten den in Pristina, Belgrad und Brüssel immer offener geforderten Rücktritt von Unmik-Chef Harri Holkeri beschleunigen. Denn amnesty international wirft der Unmik nicht nur mangelnden Einsatz bei der Bekämpfung der Ursachen für den florierenden Frauenhandel vor, sondern Versagen auf ihrem ureigenen Gebiet – dem Aufbau eines funktionierenden Rechtsstaates. Neben exekutiven und legislativen Befugnissen bei der Verwaltung des Protektorats fällt auch die Rechtsprechung unter die Verantwortung der knapp 10 000 Angestellte starken Unmik-Administration.

»Selbst Frauen, die als Opfer von Frauenhandel erkannt wurden, ist der Zugang zu Reparationszahlungen und Entschädigung für die Misshandlungen, die sie erlitten haben, verweigert worden«, kritisiert ai. Mit dem Einzug Tausender Unmik-Angestellter und 45 000 Soldaten der Kosovo-Schutztruppe Kfor im Sommer 1999 nahm die Zahl an Bordellen, Nachtclubs und Tanzhallen in dem völkerrechtlich weiterhin zu Serbien-Montenegro gehörenden Protektorat explosionsartig zu. Während Ende 1999 erst achtzehn Lokale bekannt waren, tauchen auf der so genannten »off-limits list« der Uno-Übergangsverwaltung heute mehr als 200 Etablissements auf, die Unmik-Mitarbeiter wegen Verwicklung der Betreiber in Frauenhandel nicht besuchen dürfen. Da sowohl Kfor- wie Unmik-Angehörige Immunität genießen, ist ein rechtliches Vorgehen wegen Beteiligung an Frauenhandel schwierig.

Dem ai-Bericht zufolge sind seit Installierung des internationalen Protektorats vor fünf Jahren lediglich vier Unmik-Angestellte wegen mutmaßlicher Beteiligung an kriminellen Aktivitäten in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt worden.

Noch stärker involviert in Geschäfte mit zur Prostitution gezwungenen Frauen sind ai zufolge jedoch Soldaten der Nato-geführten Kfor. So mussten mindestens neun Angehörige der inzwischen auf 20 000 Mann reduzierten internationalen Einheit das Kosovo in den vergangenen fünf Jahren verlassen. Ein Kfor-Sprecher in Pristina bezeichnete gegenüber der Jungle World die Vorwürfe gegen die multinationale Truppe als »verschwindend gering im Vergleich zu den Anschuldigungen gegen andere internationale Organisationen«.

Wer gemeint ist, ist klar: die Unmik. Während in deren Zentrale die antiserbischen Pogrome noch als Aufbegehren depravierter Jugendlicher abgetan wurden, trägt der Protest gegen die Protektoratsverwaltung seit einigen Wochen immer öfter Krawatte und Anzug. »Die Unmik hüllt sich in Schweigen, doch Schaden leidet die gesamte internationale Gemeinschaft«, sagte vorige Woche ein verärgerter Diplomat aus Pristina der Jungle World.

Nachdem der kosovo-albanische Mob der internationalen Gemeinschaft im März die Feierlichkeiten zum fünften Jahrestag des Nato-Kriegsbeginns gründlich verdorben hatte – an zwei Tagen brachten Veteranenverbände der Kosovo-Befreiungsarmee UCK und Studentenorganisationen mehr als 50 000 meist jugendliche Demonstranten in 33 Städten und Gemeinden auf die Straße –, führte die Unmik-Führung eine restriktivere Informationspolitik ein, die nach dem Amoklauf des jordanischen Sonderpolizisten gegen eine Gruppe von US-Polizisten weiter verschärft wurde (Jungle World, 19/04).

Was die Aufklärung der tödlichen Schüsse auf drei US-Polizisten im Gefängnis von Mitrovica anbelangt, scheint es ohnehin so, als ob Nato und US State Department die Unmik aus den Ermittlungen gedrängt hätten. So berichtete die Nachrichtenagentur Associated Press unter Berufung auf einen hochrangigen Nato-Beamten, dass untersucht werde, ob der später selbst erschossene Jordanier Ahmed Mustafa Ibrahim Ali Verbindungen zur palästinensischen Hamas hatte.

Bereits als der 30jährige Mitte April mit einem Maschinengewehr das Feuer auf US-amerikanische Beamte eröffnete, hieß es, ein Streit um den Irak-Krieg sei der Grund für den Angriff gewesen. Ehe Ali erschossen wurde, hatte das Mitglied einer jordanischen Eliteeinheit zwei US-Polizistinnen getötet. Ein weiterer US-Beamter erlag Anfang Mai seinen Verletzungen. Die jordanische Tageszeitung al-Arab zitierte Ende April den Vater des Todesschützen, Mustafa Ibrahim Ali, mit den Worten, dass sein Sohn »nicht auf dem Mars lebte und natürlich beeinflusst war von den Ereignissen in den Palästinensergebieten und im Irak«. Die Schießerei fand drei Tage nach der Zustimmung von US-Präsident George W. Bush zum Gaza-Plan des israelischen Premierministers Ariel Sharon statt, der eine Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge ausschließt.

Zwar entließ die Unmik-Justiz am ersten Mai-Wochenende drei von vier jordanischen Beamten, die sich während des Shootouts an der Seite Alis befanden, aus der Untersuchungshaft. Doch gegen den vierten wird wegen Beihilfe zum Mord weiter ermittelt. Ein Augenzeuge, der den Tathergang von seinem Fenster aus beobachtete, hatte der Jungle World am Tag nach der Schießerei erklärt, dass einer der Jordanier Ali ein zweites Maschinengewehr gereicht habe, nachdem diesem die Munition ausgegangen war. US-Diplomaten und –Militärs in Pristina haben in den vergangenen Woche mehrfach klar gestellt, dass sie die tödliche Attacke als »direkten Angriff auf US-Bürger definieren«.

Beruhigend klingt das nicht.