Alle reden vom Terror

Roland Emmerich spricht vom Wetter. Ein Katastrophenfilm für die Post-9/11-Phase. von anne kreby

Sam, wo bist du?« schreit der Klimaforscher Jack Hall (Dennis Quaid) verzweifelt ins Telefon. Denn Jack weiß, dass sein Sohn zur falschen Zeit in die falsche Stadt gereist ist: Auf New York rollt gerade eine gigantische Flutwelle zu.

Sam (Jake Gyllenhaal) ist der jugendliche Held des Dramas. Er ist 17, lebt in L.A. und hat sich in die Teenqueen der Highschool verliebt. Um sie zu beeindrucken, hat er sich sogar dazu durchgerungen, bei einem dieser idiotischen Schulwettbewerbe mitzumachen. Man ist gemeinsam nach New York geflogen und hat das Wissensquiz auch bereits glücklich überstanden, als plötzlich gar nichts mehr geht. Sintflutartiger Regen hat eingesetzt und den Verkehr lahm gelegt. Der Rückweg nach L.A. ist abgeschnitten. Während Sam und seine Mitschüler in das ehrwürdige Gebäude der Public Library von Mannhattan geflüchtet sind und dort fieberhaft nach einem funktionierenden Telefon suchen, informiert Sams Vater Jack in L.A. gerade das Weiße Haus über die nahende Katastrophe.

Für ihn, den Experten, kommt die Katastrophe nicht völlig überraschend. Bohrungen im arktischen Eis haben ihm längst den Beweis geliefert, dass alle Prognosen über einen allmählichen Klimawandel in den nächsten Jahrzehnten falsch sind. Es wird einen Klima-Umschwung geben, und er wird schnell und plötzlich kommen. Doch die Regierung hat seine Theorie ebenso wie die einsetzenden Schneefälle über Neu Delhi und den Killer-Hagelsturm über Tokio ignoriert. Erst an jenem Tag, als Tornados in Serie die Infrastruktur der urbanen Zentren Nordamerikas lahm legen und auf den Radarschirmen der Wetterstationen in allen Teilen der Welt der klimatische Super-Gau sichtbar wird, findet Jack Hall Gehör beim Präsidenten. Allerdings kann der Klimaforscher jetzt nicht mehr tun, als die bevorstehende Vergletscherung der USA zu verkünden.

Und während Millionen von Bürgern der Vereinigten Staaten auf die mexikanische Seite in wärmere Gefilde zu flüchten versuchen und schon auf dem Weg dorthin erfrieren, hat Jack Halls Sohn Sam nun endlich einen öffentlichen Fernsprecher in der Bücherei gefunden und kann seinen Vater anrufen. »Sam, wo bist du?« schreit der Vater außer sich und schärft dem Sohn ein, unter allen Umständen in der Bücherei auszuharren und keine Fluchtversuche zu unternehmen. Zwar ist Sam in einem Alter, in dem Jungs nicht unbedingt auf die Ratschläge ihres Vaters hören, aber dieser Dad ist Klimaexperte, und Sam folgt seinem Rat und funktioniert die Bibliothek zur Arche Noah um.

Dass der Klimawandel, ein ökologisches Thema also, als Sujet für einen Blockbuster im Jahr 2004 taugt und einer Kältewelle im Katastrophengenre plötzlich mehr zugetraut wird als Aliens, Viren oder Terroristen, ist eine echte Überraschung. Und es wundert einen umso mehr, als Roland Emmerichs Parabel nicht zu jener Sorte von Katastrophenfilm gehören will, in der das Zurückschlagen der entfesselten Natur eine Metapher für die Ur-Katastrophe schlechthin ist. Nein, das Horrorszenario von »The Day After Tomorrow – Wo wirst du sein?« gibt sich ganz ähnlich wie 1983 Nicholas Meyers Atomkriegsschocker »The Day After« den Anschein einer konkreten, nahezu wissenschaftlichen Vorhersage und kann sich dabei auf eine Theorie sowie unzählige Expertenmeinungen berufen. Und nicht nur das: Auch in der gigantischen Werbekampagne mit ihren aufklärerischen Elementen sind Fiktion und Fakten so ununterscheidbar geworden, dass nicht mehr klar wird, wann über den Film, wann über die ökologische Realität gesprochen wird.

Geht es also wirklich um die Umwelt, wie die Fürsprecher des Films, allen voran Al Gore, sagen? Oder ist das Thema Ökologie nur der Vorwand, um antiamerikanischen Ressentiments freien Lauf zu lassen? Oder handelt »The Day After Tomorrow » von den Möglichkeiten des Katastrophenfilms nach der filmhistorischen Zäsur des 11. September?

In einer Rezension in der National Review (»Die Stadt, der man keine Pause gönnt«) verglich Ian Murray Umweltschützer mit Terroristen; zwar könne man sie moralisch nicht auf eine Stufe stellen, aber beide seien auf die gleiche Weise fehlgeleitet, wenn sie die Segnungen des Kapitalismus, die »nie möglich wären in der Welt, wie sie Greenpeace und Al Gore wollen«, missachteten. »Emmerich und seine Leute schulden New York eine Entschuldigung.«

Es gibt gewisse Ähnlichkeiten zwischen dem Genre Katastrophenfilm und den Szenarien des Klimawandels: Beide beruhen auf einer Dramaturgie der Eskalation (allerdings vollzieht sich die Eskalation in ganz unterschiedlichen Geschwindigkeiten). Man könnte auch noch weiter gehen und behaupten, dass dort, wo die ökologische Vernunft in eine antizivilisatorische Ideologie umgeschlagen ist, wie in fundamentalistischen Öko-Bewegungen, sich dieselbe spekulative Lust an Worst-Case-Szenarien Bahn bricht wie im Katastrophenkino. Aber das hieße umgekehrt dann auch, dass das Desaster-Movie das Desaster eigentlich herbeisehnt (wie Adorno vermutete).

Das Gegenteil sei wahr, betont ein unermüdlicher Roland Emmerich in Interviews, der Film könne aufklären und vor allem helfen, das in den Staaten unterentwickelte Verständnis für die Ökologie zu entwickeln.

»The Day After Tomorrow« ist ein Katastrophenfilm für die Post-9/11-Phase , und er wendet sich an ein Publikum, bei dem die Medienbilder vom Terror gegen New York noch nachwirken. Es sind die »Titanic«- und »Independence Day«-Zitate, die Bildverweise auf die 9/11-Videos und die erzählerische Struktur (»Es wird einmal sein…«), die uns Zuschauern sagen: »Du, Menschheit und Kinopublikum, bekommst nun die einmalige Chance, eine Jahrhundertkatastrophe vorab zu besichtigen, und hast die Möglichkeit, deine Konsequenzen daraus zu ziehen.«

Nach den Anschlägen vom 11. September begannen Menschen überall auf der Welt, davon zu erzählen, wo sie sich gerade befanden, was sie taten und mit wem sie zusammen waren, als die Nachricht vom größten Terrorangriff in der Geschichte in ihr Alltagsleben hineinplatzte. In diesen privaten Erzählungen des 11. September (»Ich war gerade …, als…«) artikulierte sich das Bedürfnis, die eigene Biografie in das historische Ereignis einzuschreiben. Es ging um Selbstbehauptung im Angesicht einer gigantischen Vernichtungsdrohung, und die Narration war eine Möglichkeit, sich nicht in die Rolle des Statisten oder Zuschauers in einem medialen Drama zu fügen, sondern die eines Protagonisten und Erzählers zu ergreifen.

»Wo wirst du sein?« Die Frage im Subtitel von »The Day After Tomorrow«, die zugleich das Leitmotiv der globalen Werbekampagne ist, appelliert an diese kollektive Erinnerung. Das »Wo wirst du sein?« projiziert die Erinnerung an die Anschläge von New York in eine Zukunft und stellt eine osmotische Verbindung her zwischen der vielstimmigen Alltagserzählung über den Terrorangriff auf New York im Jahr 2001 und der filmischen Schreckensvision der unter Schnee- und Eismassen versinkenden Stadt. Und die Zukunft, von der hier berichtet wird, ist nur eine ausgedehnte Kamerafahrt über die ewige Eiswüste der Antarktis hinweg entfernt. Dem Publikum geht es dabei allerdings wie Marty in »Zurück in die Zukunft«: Es weiß nicht recht, wie es etwas ändern kann, wenn das Schicksal bereits besiegelt ist.

»The Day After Tomorrow. Wo wirst du sein?« (USA 2004) Regie: Roland Emmerich; Drehbuch: Jeffrey Nachmanoff; Darsteller: Dennis Quaid, Jake Gyllenhall, Emmy Rossum, Sela Ward, Ian Holm,

Kinostart: 27. Mai