Aus Stimmungen Stimmen machen

Zur Wahl des Europaparlaments tritt in Frankreich eine neue Liste an. Ihr einziger Programmpunkt: Unterstützung des palästinensischen Kampfes. von andré anchuelo

Frieden in Europa entsteht durch Gerechtigkeit im Nahen Osten«, lautet der Wahlslogan einer Vereinigung namens »Euro-Palästina-Liste«, die in drei französischen Wahlkreisen für den Einzug ins Europäische Parlament kandidiert. Eigens gegründet für die Wahlen am 13. Juni, wirft diese Organisation vor allem die Frage auf, wie ernst ihr Auftreten zu nehmen ist. Doch der Reihe nach.

Nachdem der Pariser Neurochirurg Christophe Oberlin im Dezember 2001 in »humanitärer Mission« in den Gazastreifen gereist war, beschloss er: »Der Frieden in Palästina geht uns etwas an.« Politisch bislang lediglich von 1995 bis 2001 als Stadtverordneter der Sozialistischen Partei in einem Pariser Arrondissement in Erscheinung getreten, hatte der 52jährige nun ein Thema gefunden, »das von einer Mehrheit der europäischen Bürger als entscheidend angesehen wird«.

Tatsächlich gab in einer von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen und im November 2003 veröffentlichten Umfrage eine Mehrheit von 59 Prozent der befragten EuropäerInnen an, Israel stelle eine Gefahr für den »Weltfrieden« dar. Der jüdische Staat wurde als gefährlicher eingestuft als Länder wie Syrien, Iran, Libyen oder Nordkorea. Seitdem hält die EU eine Antisemitismuskonferenz nach der anderen ab. Man will sich schließlich das mühsam aufgebaute Image des »ehrlichen Maklers« im Nahostkonflikt nicht durch die folgerichtigen Ergebnisse der eigenen anti-israelischen Politik zerstören lassen.

Intern freilich ist man sich mit der Bevölkerung einig. So plauderte etwa der französische Botschafter in Großbritannien vor zweieinhalb Jahren auf einer Dinnerparty aus, Israel – dieses »beschissene kleine Land« – gefährde den Weltfrieden. Dass er dafür keineswegs abberufen wurde, ist wohl als stillschweigendes Einverständnis der französischen und britischen Regierung mit dieser Äußerung zu werten.

Der »Euro-Palästinenser« Oberlin hingegen betrachtet die Umfrage als Auftrag, endlich richtig aufzuräumen. Die EU solle das Handelsabkommen mit Israel aufkündigen, den Judenstaat auf wirtschaftlicher, kultureller und sportlicher Ebene boykottieren und europäische Truppen zum Schutz der palästinensischen Bevölkerung entsenden. So das Wahlprogramm der Liste.

Doch mit diesen Forderungen rennen Oberlin und seine Mitstreiter offene Türen bei den mit Palästina solidarischen Europäern ein. So beschloss das Brüsseler Parlament im April 2002 mit großer Mehrheit, das Wirtschaftskooperationsabkommen mit Israel auszusetzen. Das Vorhaben wurde zwar von der Europäischen Kommission gestoppt, was aber vermutlich nur daran lag, dass man in der EU-Bürokratie immerhin weiß, dass die EU der finanzielle Gewinner dieser Handelspartnerschaft ist.

Immer wieder werden auch EU-Resolutionen verabschiedet, die einseitig die »exzessive Gewalt« der israelischen Regierung verurteilen. Palästinensische Selbstmordanschläge hingegen werden seit Jahren mit immer neuen Fördergeldern aus Brüssel für die Palästinensische Autonomiebehörde honoriert. Als das Europaparlament vor einem Jahr nicht mehr umhin kam, die Vorwürfe der direkten und indirekten Terrorfinanzierung durch einen Ausschuss untersuchen zu lassen, formulierte der österreichische Sozialdemokrat Johannes Swoboda die Devise: »Nur wenn die DNA von Selbstmordattentätern mit der DNA derjenigen übereinstimmt, die (von uns) Euros erhielten, werden wir das als Beweis akzeptieren.« Es war keine Überraschung, dass der Ausschuss die Anschuldigungen schließlich als unbewiesen zurückwies.

Dass laut einem Bericht der israelischen Tageszeitung Ma’ariv inzwischen selbst die israelische Regierung über die Stationierung internationaler, auch europäischer Truppen im Gazastreifen nachdenkt, ist auch das Ergebnis des gut funktionierenden Zusammenspiels der rhetorischen Hardliner im Europaparlament mit den sich »gemäßigt« gebenden Vertretern von EU-Kommission und -Rat. So betrachtet, ist die Euro-Palästina-Initiative überflüssig. Warum etwas fordern, was längst offizielle Politik ist?

Möglicherweise aber weiß Oberlins Liste den antizionistischen Pragmatismus der EU-Institutionen wegen des eigenen antisemitischen Maximalismus nicht ausreichend zu würdigen. Dafür spricht, dass als politisches Zugpferd auf Platz zwei der Liste mit dem in Frankreich höchst prominenten franko-kamerunesischen Komiker Dieudonné ein ausgewiesener Antisemit kandidiert. Im Februar hatte Dieudonné in einer Fernsehsendung, als orthodoxer Jude verkleidet, dazu aufgerufen, der »Achse des Guten, der amerikanisch-zionistischen Achse« beizutreten, und schließlich, den rechten Arm in die Höhe reckend, gerufen: »Israel Heil!« So dämonisierte er die israelische Politik und relativierte zugleich die Vernichtungspolitik NS-Deutschlands.

Kritikern seiner Performance begegnete er mit den Worten: »Ich wische mir den Hintern ab mit der israelischen Fahne.« Als jüdische Organisationen handfestere Formen des Protestes wählten, wähnte er sich von Geld- und Pressejuden verfolgt, als er sagte, das seien »alles am Sklavenhandel reich Gewordene, die ihre berufliche Neuorientierung im Bankenwesen, im Kulturbereich und jetzt in der terroristischen Aktion gefunden haben«.

Als nun wegen dieses Spitzenkandidaten die »Euro-Palästina-Liste« in Frankreich als antisemitisch bezeichnet wurde, brachte die Organisation die geballte Kompetenz eines Wissenschaftlers in Anschlag. Maurice Rajsfus, in Medienberichten als »prominenter Historiker« beschrieben, verwahre sich, so hieß es, gegen die »Antisemitismus-Keule«. Denn es sei »der Staat Israel, so wie er seit 1967 funktioniert, der einen neuen Antisemitismus schürt«, tönte Rajsfus.

Wäre der Mann nicht nur ein prominenter, sondern auch ein seriöser Historiker, wüsste er allerdings, dass er damit eines der gängigsten antisemitischen Klischees überhaupt bedient: Die Juden sind am Hass auf Juden selber schuld. Da man es bei der Liste also mit Antisemiten der dümmsten Sorte zu tun hat, ist vielleicht doch Wachsamkeit angebracht, und so muss man ihre Gründung nicht nur als Scherz verstehen, sondern auch als Androhung von Hamas-Methoden für Europa: »Es kann keine Zukunft für die Völker der Europäischen Union und keine friedliche Koexistenz zwischen ihren Bürgern unterschiedlicher Herkunft und Kultur geben, wenn Recht und Gerechtigkeit in der Welt nicht geachtet werden, angefangen mit dem Nahen Osten.« Natürlich angefangen im Nahen Osten, denn wo sonst ließe sich besser studieren, was no justice, no peace im Zeitalter des suicide bombing bedeuten kann.