Kampf um Mercados

Beim Gipfel in Guadalajara geht es um den Vorsprung der EU in Lateinamerika gegenüber den USA. von wolf-dieter vogel, mexiko-stadt

Wer wird das Rennen machen? Die USA? Die Europäische Union? Seit Jahren basteln Vertreter der US-Regierung mit ihren Kollegen aus lateinamerikanischen Staaten an einer Gesamtamerikanischen Freihandelszone (FTAA) von Alaska bis Feuerland. Bis Ende dieses Jahres soll das Vertragswerk abgeschlossen sein. Gleichzeitig kämpfen die Europäer um bessere Marktchancen auf dem amerikanischen Südkontinent. Schon jetzt sind sie der Handelspartner Nummer eins des »Mercosur«, des »gemeinsamen Marktes des Südens« von Argentinien, Brasilien, Uruguay, Paraguay. Die EU will mit den Mercosur-Staaten einen gemeinsamen Handelsvertrag unter Dach und Fach bekommen, und zwar möglichst in den nächsten Monaten. Denn »sollte die FTAA Realität werden, bevor das Freihandelsabkommen EU-Mercosur zustande kommt, dann könnte für die europäische Wirtschaft der Zug abgefahren sein«, meint Heinz Mewes, der Direktor der Dresdner Bank Lateinamerika AG.

Weniger Schutzzölle, der Abbau von Agrarsubventionen oder die Privatisierung von Dienstleistungen – die Standardfragen des Freihandels werden auch auf dem »3. Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU, Lateinamerikas und der Karibik« im Vordergrund stehen. 58 Staatsoberhäupter haben ihr Kommen angekündigt. Es ist das erste internationale Treffen dieser Rangordnung, auf dem die zehn neuen EU-Mitgliedsstaaten vertreten sind. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder wird dabei sein, wenn sich die Regierungsvertreter am Freitag im mexikanischen Guadalajara treffen. Auf der Tagesordnung stehen »Multilateralismus« und »soziale Kohäsion«. Der Gipfel könnte aber auch »die letzte Etappe der Verhandlungen zwischen der EU und dem Mercosur einleiten«, informiert EU-Handelskommissar Pascal Lamy.

Lamys vorsichtige Formulierung spricht für sich. Im Herbst scheiterte die Konferenz der Welthandelsorganisation (WTO) im mexikanischen Cancún und damit der Versuch, auf weltweiter Ebene eine weitere Liberalisierung der Märkte festzuschreiben. Vor allem die EU hatte damals darauf gedrängt, die so genannten Singapur-Themen weiter zu verhandeln. Dort soll u.a. Investoren das Recht eingeräumt werden, gegen Umweltschutz- oder Arbeitsschutzgesetze zu klagen, wenn die den Gewinn eines Unternehmens beeinträchtigen. Über 70 Länder des Südens hatten dies abgelehnt.

Vor allem aber platzte das Treffen, weil sich EU und USA weiterhin weigerten, ihre Subventionierung der heimischen Landwirtschaft und Schutzzölle für Importwaren abzubauen. Wenige Tage vor dem Gipfel von Guadalajara haben die Europäer nun angekündigt, man sei bereit, Zugeständnisse bei den Singapur-Themen zu machen und die Hilfen für heimische Bauern zu streichen – vorausgesetzt, auch große Konkurrenten wie die USA, Australien und Kanada würden mitziehen. »Das heißt: Wir, die EU, machen unser korrektes Vorgehen abhängig von einem Umstand, der nie eintreten wird«, reagierte Christian Felber von der globalisierungskritischen Organisation Attac auf den Vorschlag. Um überhaupt ernst genommen zu werden, hat die EU nun die Einfuhr von Fleischkontingenten aus Argentinien und Brasilien in Aussicht gestellt.

Dass die Europäer Hoffnung auf ein erfolgreiches Treffen hegen, hat seinen Grund. Die EU hat in den letzten Jahren zwei bilaterale Freihandelsabkommen mit den Latinos abgeschlossen: im Jahr 2000 mit Mexiko und im Jahr 2002 mit Chile. Beide Verträge gehen weit über das hinaus, was bislang auf multinationaler Ebene verhandelbar war. So ist mit Chile die mehrheitliche Beteiligung ausländischer Unternehmen bei der Privatisierung von Dienstleistungen bereits festgeschrieben, und im Vertrag mit Mexiko sorgen »Bilaterale Vereinbarungen zur Förderung und zum Schutz von Investitionen« (BITS) dafür, dass internationale Kapitalanleger kein Risiko eingehen.

»WTO-Plus« nennt EU-Handelskommissar Lamy diese Abmachungen und meint damit, dass die mexikanische Regierung längst unterschrieben hat, was unter dem Titel »Singapur-Themen« auf der Welthandelskonferenz durchfiel. Freiheit beim Abziehen von Kapital ist ebenso garantiert wie adäquate Entschädigung im Fall einer Enteignung. Die BITS haben die Europäer quasi eins zu eins vom umstrittenen Nafta-Vertrag, dem Freihandelsabkommen zwischen Mexiko, den USA und Kanada, abgekupfert.

»Europa ist ein Imperium und führt sich hier genauso auf wie die USA«, sagt Alberto Arroyo vom freihandelskritischen Netzwerk RMALC aus Mexiko-Stadt. Dass im Paragraphen 1 des Vertrages mit der EU die Achtung von Demokratie und Menschenrechten festgeschrieben ist, entlockt Arroyo nur ein müdes Lächeln: »Der einzig ausgearbeitete Teil widmet sich dem Freihandel. Was den politischen Dialog und die Menschenrechte betrifft, sind nicht einmal Kontrollmechanismen festgelegt worden.«

Menschenrechte, politischer Dialog, soziale Sicherheit – mit solchen Schlagworten tritt die EU auch in den Verhandlungen mit dem Mercosur auf. Der Vertrag mit Mexiko gilt als Vorbild. Doch während dort noch immer über vier Fünftel der exportierten Waren gen USA geliefert werden und die EU gerade einmal mit sechs Prozent beteiligt ist, sieht es für die Europäer auf dem Südkontinent ganz anders aus. Bereits in den neunziger Jahren haben sich europäische Konzerne beispielsweise im argentinischen Dienstleistungssektor breit gemacht: Der spanische Konzern Repsol kaufte sich im Erdöl- und Gasgeschäft ein, die Franzosen von Suez und Veolia ex-Vivendi profitierten von der Privatisierung der Wasserversorgung. »Mit Blick auf Investitionen hat das europäische Kapital das nordamerikanische im Mercosur verdängt«, resümiert Jorge Caprio, der in Buenos Aires die Folgen des Freihandels analysiert.

Bei den Verhandlungen mit dem Mercosur setzen die Europäer auf eine Ausweitung der Beteiligung in diesem Dienstleistungssektor und auf Geschäfte im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens, der lateinamerikaweit 25 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmacht. Die Großen im Mercosur, Argentinien und Brasilien, hoffen vor allem auf eine europäische Marktöffnung für ihre Agrarprodukte.

Während die Mercosur-Staaten ein Viertel ihrer Exporte mit ihrem Haupthandelspartner EU abwickeln, gehen bislang gerade einmal zwei Prozent der europäischen Waren in die Staaten des Südbündnisses. Der Hinterhof der Europäer liegt im Osten, und mit der EU-Erweiterung wächst ein neuer Markt, aber auch ein neuer Konkurrent für die Latinos heran. Auch die Direktinvestitionen könnten nun noch verstärkter gen Osten fließen, befürchtet Dresdner-Bank-Direktor Mewes. »Vor allem aber werden die Verhandlungen um Importzölle für landwirtschaftliche Güter innerhalb der EU nicht gerade einfacher. Schließlich zählen zu den neuen EU-Mitgliedern agrarproduzierende Staaten wie Polen.«

Werden die USA mit der FTAA angesichts der neuen EU-Konstellation also das Rennen machen? Oder wird sich die EU durchsetzen und längerfristig den Dollar im Mercosur als dominante Währung durch den Euro ersetzen?

Politisch will man jedenfalls schon mal vorbauen. Seit Wochen wird in Brüssel der Inhalt der Abschlusserklärung für den Gipfel diskutiert. Im Mittelpunkt steht das Thema »Multilateralismus«, was deutsch oder französisch buchstabiert eine eindeutige Verurteilung des »unilateralen« Vorgehens der USA im Nahen Osten meint. Die Chancen stehen gut. Auch Argentinien und Brasilien haben gegen den Irak-Krieg votiert, und selbst die gewöhnlich den USA treuen Regierungen von Mexiko und Chile haben den Angriff im Uno-Sicherheitsrat nicht unterstützt. Nun gilt es, wie Martha Bárcena vom mexikanischen Außenministerium der Jungle World erklärte, »einen effektiven Multilateralismus zu erreichen, der dem Aufbau einer neuen Weltordnung dient«.