Friede den Ba’athisten

Die USA wollen sich mit den reaktionären Kräften im Irak arrangieren. Auch der designierte Premierminister Allawi strebt eine Rehabilitierung der Ba’athisten an. von thomas schmidinger

Der designierte irakische Premierminister Iyad Allawi sei »ein guter und fähiger« Politiker, sagte Scott McClellan, der Sprecher des Weißen Hauses. Die US-Regierung ist zufrieden mit der Entscheidung des irakischen Regierungsrats, Allawi die wichtigste Position in der Regierung zu übertragen, die bis zur Übergabe der Souveränität am 30. Juni gebildet werden soll.

Eigentlich hätte der UN-Gesandte Lakhdar Brahimi den Namen des zukünftigen Regierungschefs verkünden sollen. »Wir haben nicht erwartet, dass es so geschieht«, kommentierte der UN-Sprecher Fred Eckhard. Brahimi werde jedoch »die Entscheidung respektieren«.

Nicht nur die UN-Bürokratie, die sich einmal mehr übergangen fühlt, ist mit der Nominierung Allawis unzufrieden. Viele Iraker befürchten, dass er seine Führungsposition nutzen wird, um die Rehabilitierung der Ba’athisten voranzutreiben und ein Arrangement mit den Warlords und den rechtsextremen Milizen durchzusetzen. In Allawis 1991 gegründetem Oppositionsverband Iraqi National Accord haben sich überwiegend ehemalige Offiziere und Funktionäre des Ba’ath-Regimes organisiert, und im Dezember 2003 kritisierte er in der Washington Post die Politik der Entba’athisierung, die er als schädlich für die »nationale Versöhnung« betrachtet.

Die US-Regierung ist mittlerweile auf diese Linie eingeschwenkt. Lange Zeit galt Achmed Chalabi, der Vorsitzende des Irakischen Nationalkongresses (INC), als Wunschkandidat der USA. Doch eine Woche vor der Nominierung Allawis wurden Chalabis Haus in Bagdad und INC-Büros durchsucht. Die Operation wurde mit dem Verdacht begründet, Chalabi habe die Währungsumstellung im vergangenen Jahr für eine Unterschlagung genutzt.

Es ist jedoch schwer zu glauben, dass die US-Verwaltung kurz vor der Entscheidung über die Zusammensetzung der neuen Regierung plötzlich Beweise entdeckte. Wahrscheinlicher ist, dass Chalabi in Ungnade fiel, weil er die Rehabilitierungspolitik der Besatzungstruppen gegenüber den Ba’athisten heftig kritisierte.

Im April forderte der US-Verwalter Paul Bremer, auch ba’athistische Militärs sollten »ihrem Land wieder dienen« dürfen. Nachdem die US-Armee, nicht zuletzt aufgrund des innenpolitischen Drucks in den USA, der sich seit dem Auftauchen der Folterbilder von Abu Ghraib noch erhöhte, die Eroberung der Terrorhochburg Falluja abbrechen musste, versucht sich die Besatzungsverwaltung mit den alten reaktionären Kräften zu arrangieren. Eine rasche Beruhigung der Lage im Irak scheint George W. Bush kurz vor den Präsidentenwahlen wichtiger zu sein als die Demokratisierung. Damit verärgern die USA jedoch ihre bisher treusten Verbündeten, die kurdischen Parteien und jene liberalen und linken Kräfte, die sich für einen demokratischen Irak einsetzen.

Diese vorläufige Wende in der amerikanischen Irak-Politik begann mit der Ermordung von vier US-amerikanischen Angestellten einer privaten Sicherheitsfirma, deren Leichen in Falluja am 31. April geschändet wurden. Hinter dem Anschlag stand der lokale Vertreter der Islamischen Partei des Irak, Muhammed Hussein al-Zubai, dessen Sohn Abdel al-Dim zugleich als Lokalreporter der TV-Station al-Jazeera in Falluja fungiert. Ein anderer Sohn al-Zubais erklärte vor dem Angriff auf die vier Söldner den Geschäftsleuten in Falluja, sie sollten ihre Geschäfte schließen, da ein Racheakt für die Ermordung Sheikh Yassins durch die israelische Armee bevorstehe.

Auch die von Harith al-Dhari geführte sunnitisch-islamistische Vereinigung Islamischer Geistlicher im Irak spielte beim Aufstand in Falluja eine wichtige Rolle als Lieferantin von Waffen und Geld. Al-Dhari, der auch als Oberhaupt der Falluja dominierenden Stammesföderation der al-Zauba fungiert, heizte mit seinen Predigten, in denen er zum Kampf gegen die Besatzungsmächte, die »Kollaborateure« und ausländische Hilfsorganisationen aufrief, die Stimmung in der Bevölkerung an und fungierte zugleich als Vermittler bei den Verhandlungen über die Freilassung westlicher Geiseln. In Falluja hatten sich bereits seit Monaten sunnitische Islamisten, arabische Freiwillige, Angehörige der al-Qaida sowie ehemalige Ba’athisten gesammelt, um von dort aus den »Widerstand« zu organisieren.

Nach der fast gleichzeitigen putschartigen Übernahme einiger mehrheitlich schiitischer Städte im Südirak durch den extremistischen schiitischen Milizenführer Muqtada al-Sadr solidarisierten sich die sunnitischen Extremisten in Falluja mit den Anhängern al-Sadrs: »Wir erklären, dass wir Sie unter der Fahne ‚Gott ist groß’ und zur Förderung des Islam und der Muslime gegen die Heiden, Besatzer, Eroberer und habgierigen unreinen Juden unterstützen, die den reinen Boden und die heiligen Städte verunreinigt haben. Wir stehen hinter Muqtada al-Sadr und verfolgen mit Aufmerksamkeit seine Haltung zur Befreiung des Irak«, heißt es in einem Flugblatt, das in den schiitischen Armenvierteln in Bagdad verteilt wurde.

Trotz solcher Bekenntnisse zu einem offen antisemitischen Islamismus tolerierte die US-Militärverwaltung lange das Treiben dieser sunnitischen wie schiitischen Extremisten. So konnte al-Sadr ein ganzes Jahr lang ungehindert seine Miliz aufbauen, die aus den verarmten Schichten der schiitischen Bevölkerung Zulauf erhielt. Auch die sunnitischen Extremisten hatten ein Jahr Zeit, sich ungehindert auf den Kampf vorzubereiten, ehe die Lage im April zu eskalieren begann.

Da die im Regierungsrat vertretenen Parteien weitgehend entwaffnet wurden und der Aufbau irakischer Sicherheitskräfte nur langsam vorankam, standen keine irakischen Kräfte zur Verfügung, die al-Sadr oder den sunnitischen Extremisten hätten entgegentreten können. Und als die Bilder von Misshandlungen irakischer Gefangener in Abu Ghraib an die Öffentlichkeit kamen, sah sich die Besatzungsarmee nicht mehr in der Lage, eine militärische Konfrontation mit den Terrorgruppen erfolgreich zu Ende zu bringen. Nach der erfolglosen Belagerung Fallujas suchte man ein Arrangement mit den islamistischen und postba’athistischen Warlords. Die Stadt wurde schließlich einer lokalen Miliz unter der Führung ehemaliger ba’athistischer Generäle übergeben. Nun scheint dort verstärkter Tugendterror einzusetzen: AP meldete, am vorletzten Sonntag hätten maskierte Islamisten vier Männer auf einem Pick-Up durch die Stadt gekarrt, ausgezogen bis auf die Unterwäsche, mit blutendem Rücken. Wegen Alkoholverkaufs hätten sie zuvor 80 Peitschenhiebe erhalten. Am Donnerstag wurde auch ein Waffenstillstand mit Muqtada al-Sadr ausgehandelt.

Nun dürfte sich die Lage kurzfristig beruhigen, allerdings laden die Besatzungstruppen der neuen irakischen Regierung eine schwere Hypothek auf. Sie wird sich zuerst einmal die Kontrolle über ihr Staatsgebiet erkämpfen müssen, und die Durchführung freier Wahlen und eine Demokratisierung werden noch schwieriger.

Allerdings wird diese Hinwendung zum Appeasement mit den reaktionären Kräften im Irak nicht ohne Proteste hingenommen. Sowohl die liberalen und linken als auch die kurdischen Parteien halten weiterhin am Ziel einer Demokratisierung fest. Viele Kurden befürchten, dass auch ihre Autonomie einer Aussöhnung mit den arabischen Nationalisten und Islamisten zum Opfer fallen könnte. »Bis vor einigen Monaten begrüßten die Kurden die US-Soldaten noch begeistert, wenn sie in eine Stadt kamen, jetzt werden sie wesentlich skeptischer betrachtet«, erklärte ein Politiker einer der beiden großen kurdischen Parteien der Jungle World. »Wir werden auf einem föderalistischen und demokratischen Irak bestehen. Wenn das nicht geht, werden wir eben unseren eigenen Weg gehen.«