Eine Stadt wird angenehmer

Besetzungswelle in Nordgriechenland

Die Demonstrationen gegen den EU-Gipfel in Thessaloniki im Juni 2003 scheinen ein nicht unbedeutendes Erbe hinterlassen zu haben. Aus der großen Solidaritätswelle für die »Juni-Gefangenen« (Jungle World, 50/03), die sich bis Februar über ganz Europa ausweitete und gute Ergebnisse zeitigte ist in den vergangenen Monaten eine Reihe von Besetzungen leer stehender Gebäude in Nordgriechenland entsprungen. Eine neue Besetzerbewegung aus der anarchistischen Szene scheint sich in Gang gesetzt zu haben.

Anfang März wurde ein fünfstockiges Haus im Stadtzentrum von Thessaloniki besetzt. Eigentümer des Gebäudes war die Aristoteles-Universität, die das Haus bereits vor 15 Jahren »geschenkt« bekommen hatte, allerdings unter der Bedingung, es mit einer ebenfalls geschenkten Summe für die Studenten nutzbar zu machen. Das Geld wurde verschwendet, das Gebäude stand leer. »Terra incognita«, unbekanntes Land, nannten es seine neuen Nutzer im März, und tatsächlich ist für die meisten von ihnen das Instandbesetzen eine ganz neue Erfahrung.

Einige Wochen später wurde das 19 500 Quadratmeter große Fabrikgelände Yfanet besetzt, das bis zu den sechziger Jahren eine Weberei beherbergte, aber dann unter seinem neuen Eigentümer, der Nationalbank Griechenlands, leer stand. Die erste öffentliche Veranstaltung, die von den Besetzern organisiert wurde betraf die Arbeiterkämpfe in den sechziger Jahren in dieser Fabrik und wurde von gut 300 begeisterten Leuten, unter ihnen auch ehemalige Arbeiter der Fabrik, besucht.

Neulich fand das Netzwerk Indymedia Thessaloniki mit seiner Leihvideothek in einem bereits seit vier Jahren besetzten Haus – »die Schwarze Katze« – ein neues Zuhause. Außerdem soll dort ein alternativer Kinderladen entstehen.

Die Besetzungswelle in Thessaloniki hat auch die Nachbarstädte beeinflusst. In der nahe gelegenen Stadt Kavala und in der kleinen Ortschaft Moudania, die in dem Urlaubsgebiet Chalkidiki liegt, sind ähnliche Räume besetzt worden.

Die Besetzungen von Häusern und Fabriken durch Anarchisten stehen eher in der »Tradition« der westeuropäischen Autonomen als in der des griechischen Anarchosyndikalismus. Denn sie hängen nicht mit der Wohnungsnot zusammen, die in Griechenland nicht so hart ist, sondern mit dem Bedürfnis, Freiräume zu schaffen, wo Kommunikation, Kreativität und Widerstand gegen die kapitalistischen Verhältnisse ihren Platz finden können. Volksküche, Filmaufführungen, Antira- und Antifaarbeit sowie Demovorbereitungen und Planung von direkten Aktionen: Das alles findet dort statt. Was den Ton angibt, ist die absolute Ablehnung jeglicher Zusammenarbeit oder Verhandlung mit Behörden, Parteien oder sonstigen Institutionen.

Die große Frage lautet allerdings, ob diese Welle von der Polizei bis zu den olympischen Spielen im August geduldet wird, um die Spannungen zu vermeiden, die eventuelle Räumungen mit sich bringen würden. Zwar gibt es Zeichen, die eine repressive Lösung als wahrscheinlich erscheinen lassen. So sind in Kavala bereits zahlreiche Personen angezeigt worden, in mehreren besetzten Fabriken wurden sofort die Strom- und Wasserzufuhr unterbrochen. Es wird dennoch geschätzt, dass es selbst dem Staatsapparat schwer fallen dürfte, Häuser zu räumen, deren Besetzung allgemein eine positive Resonanz findet, um sie weiter verfallen zu lassen.

Eins ist jedenfalls sicher: Durch jede neue Besetzung wird die Stadt ein kleines Bißchen angenehmer.

harry ladis, thessaloniki