Mädchen am Ball

Der Fußballweltmarkt dehnt sich aus. Für neue Konsumentenschichten auf neuen Kontinenten gibt es einen ganz neuen Typus des Fußballstars: David Beckham. von martin krauss

Vor sechs Jahren, bei der Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich, war der Kerl noch so scheiße normal wie Fußballer manchmal normal scheiße sind. Der junge David Robert Joseph Beckham leistete sich ein Revanchefoul gegen den Argentinier Diego Simeone und flog deswegen im Achtelfinale vom Platz. Enttäuschte englische Fans machten Beckham dafür verantwortlich, dass England das Elfmeterschießen verlor und aus dem Turnier ausschied. Sein Foto wurde in Pubs auf Darts-Scheiben gezogen, und das Boulevardblatt Sun zeigte auf dem Titelblatt eine Puppe, die Beckhams Trikot mit der Nummer sieben trug, aufgehängt an einem Baum.

Aber so ganz normal war der junge Beckham doch nicht. Was Beckham zum Revanchefoul provozierte, war, dass ihn Simeone an den Haaren gezogen hatte. Ein Mädchen, ein Weichei, so hätte man früher in Fußballerkreisen gesagt.

Aber Fußballer sind nicht mehr das, was sie mal waren. Der deutsche Nationalspieler Fredi Bobic sieht auf die junge Spielergeneration »ein Problem im psychischen Bereich« zukommen. »Ich befürchte, dass immer mehr Spieler unter diesem Druck zusammenbrechen können«, sagte er jüngst in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung. Der Nationalspieler Sebastian Deisler etwa wurde wegen Depressionen stationär behandelt. Sein Bundesligakollege Jan Simak von Hannover 96 erklärte im vergangenen September, er sei dem Druck des Profigeschäfts nicht mehr gewachsen.

Dieses Geschäft hat sich im vergangenen Jahrzehnt enorm verändert. Aus Vereinen wurden Aktiengesellschaften, die an der Börse gehandelt werden. Es gibt mittlerweile die Champions League, die fußballerischen Weltkonzernen wie AC Mailand, Juventus Turin, FC Bayern München, Manchester United oder Real Madrid eine passende Bühne bietet.

Bei Manchester United hat David Beckham das Fußballspielen gelernt und ist groß geworden, und bei Real Madrid spielt er seit vorigem Jahr. Beckham ist ein idealer Werbeträger, wenn die großen Fußballvereine bislang brach liegende Märkte in Asien, vor allem in Japan, China, Südkorea und Thailand, für Fernsehrechte und das Merchandisinggeschäft erschließen wollen. Seit 1993 gibt es in Japan die J-League, die Begeisterung für den Profifußball hervorrief, aber gegenwärtig ökonomisch schwächelt. Auch in China gibt es Profifußball, und die Weltmeisterschaft 2002, die gemeinsam von Japan und Südkorea veranstaltet wurde, tat das Übrige, um Beckham und seine Vereine bekannt zu machen. Beckhams Werbeverträge für japanische Mobiltelefone, Schokolade, Schönheitssalons und Motorenöl bringen ihm Millionen ein.

Der Fußballweltmarkt, der geographisch mit Europa, Afrika und Lateinamerika sowie geschlechtlich mit den meisten Männern dieser Erdteile gesättigt schien, hat sich ausgedehnt. Fußball erreicht die USA, aber dort ist es der Frauenfußball, der mit Mia Hamm einen Star hervorgebracht hat, nicht der Männerfußball. Und der Fußball erreicht eben Japan und China, wo es kreischende weibliche Teenager sind, die die Stars verehren, wie es hierzulande nur in der Popmusik geschieht. Da ist Beckham genau der Richtige.

Das Wort, mit dem er umschrieben wird, lautet: metrosexuell. Ein Mann, der ganz Mann ist und doch seine femininen Anteile auslebt. Einer, der im harten Fußballsport reüssiert, aber sich gerne die Fingernägel lackiert. Er trägt die Unterwäsche seiner Frau, passt gerne auf die Kinder auf, tätowiert sich so originell, wie er sich auch abwechslungsreich kleidet, und seinen Spitznamen »Becks« akzeptiert er, obwohl der doch in England als Kurzwort für Rebekka gebräuchlich ist.

Verheiratet ist Beckham mit Victoria Adams, früher bei den Spice Girls und überall nur »Posh Spice« genannt. Mit ihr absolviert Beckham Werbetermine, tritt bei Galas auf und wird von der Queen empfangen. David Beckham ist der erste Fußballprofi, dessen Gesicht einen höheren Versicherungswert hat als seine Beine.

Aber er spielt ja auch im rechten Mittelfeld, das ist keine Position, auf der Helden geboren werden. Nur Fußballpuristen mäkeln, Beckham werde fußballerisch überschätzt und brilliere lediglich als Kunstschütze bei Frei- und Eckstößen, und gewiss sei er keiner, der ein Spiel an sich ziehen, es prägen könne.

Das aber interessiert an Beckham kaum. Das größte Medieninteresse bei der vergangenen WM galt nicht dem Fußballer, sondern seinem Friseur. David Beckham hatte ihn nämlich nachfliegen lassen, um täglich seine Haare richten zu lassen.

Dennoch haben Beckhams Frau und Beckhams Frisur viel mit Fußball zu tun, denn der Fußball kommt gerade so richtig in der Unterhaltungsindustrie an. Für gemunkelte 35 Millionen Euro wechselte Beckham im vorigen Jahr von Manchester United zu Real Madrid, erhält dort ein Jahresgehalt von sechs Millionen Euro, und seine Werbeeinnahmen, die er sich mit dem Verein fifty-fifty teilt, betragen jährlich geschätzte 20 Millionen Euro. Damit ist Beckham nicht nur der erste und bislang einzige aktive Fußballprofi, der als Werbeträger mehr Geld verdient denn als Sportler, sondern er hat sich auch abseits des Fußballplatzes für seinen Verein schon amortisiert.

Darüber staunt die noch hinter der neuen Zeit zurückgebliebene Fachwelt. Uli Hoeneß, Manager des FC Bayern München, hatte die Verpflichtung des defensiven Mittelfelmannes als nie rückzahlbares »Affentheater« kritisiert. Nun gibt er zu, dass Madrid ein exzellentes Geschäft machte. »Möglicherweise«, formulierte die Sportjournalistin Evi Simeoni in der FAZ, »hat Real Madrid den schicken Kapitän der englischen Fußballnationalmannschaft tatsächlich nur wegen seines Werbewertes engagiert.«

Möglicherweise. Aber allein der Umstand, dass so einer Kapitän der englischen Nationalmannschaft ist, eine Funktion, die in England eine weit wichtigere Bedeutung hat als etwa hierzulande, deutet an, dass sich auch der Fußball verändert. Denn im Leistungssystem Fußball würde ein Spieler, der nur schön aussieht, schon in der ersten Halbzeit ausgewechselt. Aber anders als frühere Fußballgötter wie Pelé oder Maradona überzeugt Beckham nicht vor allem mit seinen fußballerischen Fähigkeiten, bei ihm ist es komplexer. Ellis Cashmore, Soziologe an der Universität Staffordshire, glaubt, dass Beckham den Gegenentwurf zum »old industrial man« repräsentiert, der lange den englischen Fußball geprägt habe.

David Beckham ist ein neuer Mann für neue Märkte. Die Zeitschrift Max hat das so zusammengefasst: »Frauen, Kinder und Schwule lieben ihn. Harte Männer hassen ihn.« Die Machtverhältnisse in der Gesellschaft haben sich nicht gerade zugunsten der harten Männer verschoben.