»Wetten ist meine tägliche Arbeit«

yildirim mahzuni*, Angestellter in einem Berliner Sportwettbüro, und memed demirel*, Wettprofi, über die türkische Tippavantgarde und EM-Quoten

In Berlin-Kreuzberg gab es bis zu den Großrazzien vor ein paar Jahren fast 20 illegale Wettbüros. Bei der anhaltend schlechten Lage auf dem Arbeitsmarkt gewinnt die Fußballwette noch an Bedeutung, bietet sie doch zumindest für Profis eine Möglichkeit, ihre Existenz zu sichern. Nun steigt die Anzahl legaler Wettbüros schneller als die Zahl der Ausbildungsplätze.

Letzte Woche lancierte der Media Markt eine Fußballwette. Im dem Fall, dass die deutsche Fußballmannschaft die Europameisterschaft gewinnt, wird der Preis für jeden am 1. Juni gekauften Fernseher erstattet. Habt ihr einen Fernseher gekauft?

Memed: Nein. Ich hab’ schon einen. Den hab’ ich durch meine Tätigkeit als Wettprofi verdient, und für Deutschland besteht nur eine geringe Chance, Europameister zu werden. Die Quote für einen deutschen Sieg liegt bei 17 Euro, für einen französischen bei 3,80 Euro.

Yildirim: Genau, das sind die Quoten der Langzeitwette. Für das Viertelfinale sehen sie aber anders aus: Die Quote dafür, dass Deutschland die Vorrunde übersteht, liegt bei 1,60. Falls Deutschland wider Erwarten ins Viertelfinale kommt, gewinnst du also 16 Euro bei einem Einsatz von zehn Euro. Deutschland wird also immer noch sehr hoch gehandelt. Die entsprechende Quote für Frankreich liegt bei 1,10.

Wie kommt es dazu?

Yildirim: Deutschland ist eine stolze Fußballnation und in der Gruppe sind die starken Gegner Holland und Tschechien. Einer von dreien wird auf der Strecke bleiben müssen. Es spricht allerdings nichts dafür, dass die Deutschen die Vorrunde überstehen werden, so dass die Quote für Deutschland auch viel höher sein könnte.

Memed: Wenn eine deutsche Nationalmannschaft spielt, egal ob U19 oder A2, sind die Quoten immer niedrig. Bei den englischen Anbietern ist die Quote viel höher. Die haben gegenüber den Deutschen noch ein bisschen mehr Nationalstolz.

Welche Leute wetten hier?

Yildirim: Hauptsächlich Menschen nicht deutscher Herkunft, vor allem Türken. Es gibt Akademiker, Sozialhilfeempfänger, deutsche Hausfrauen und Polizeibeamte, die allerdings fast nur auf Eishockey setzen. Dafür, dass wir mitten in Deutschland sind, halten sich die Deutschen auffällig zurück.

Memed: Es werden aber jeden Tag mehr.

Yildirim: Ja, aber so wie die Deutschen sich fünfzehn Mal überlegen, ob sie zum Inder oder zum Chinesen gehen, tun sie sich mit unserer Alternative zum Lotto sehr schwer. Mittlerweile gibt es aber eine breite Werbefront. Anbieter wie »bet and win« oder »wetten.de« finanzieren ganze Stadien, wie das von Schalke 04.

Was mögen wohl die Gründe für die türkische Avantgarde in Sachen Fußballwetten in Deutschland sein?

Yildirim: Das hat kulturelle Hintergründe. Das Schicksal hat für die Türken eine ganz andere Bedeutung als für die Deutschen und ist mit den Bereichen Liebe, Leben, Hoffnung und natürlich Glück verbunden. Die Deutschen sind in diesen Sachen rationaler. Während die Deutschen für fünf Euro Einsatz nur 15 gewinnen wollen, setzen Türken oder Araber drei Euro und wollen 300 000 gewinnen. Sie wollen das Glück erzwingen und das Schicksal herausfordern und sie glauben daran.

Gibt es einen Unterschied zwischen den Leuten, die bei Events wie der EM ins Wettbüro gehen, und denen, die täglich hierher kommen?

Memed: Na klar. Das ist wie in der normalen Wirtschaft. Die Tagelöhner, die mit fünf bis zehn Euro am Start sind, können bei der EM nicht viel gewinnen. Für die sind die Ligawetten lukrativer, weil sie für weniger Geld auf mehrere Spiele setzen können und damit insgesamt höhere Quoten erzielen. Bei der EM kommen die Großwetter, die nicht täglich arbeiten. Sie kommen, setzen 1 000 Euro auf Frankreich und Feierabend. Aber wir machen Langzeitwetten und tägliche Wetten, wir wetten auf dies und das, wir wetten immer.

Yildirim: In manchen europäischen Wettstudios kannst du auch stündlich wetten: Live-Wetten, wer die nächste Ecke oder das nächste Tor schießt, ob es eine gelbe oder rote Karte gibt. Und wir haben kürzlich auch den European Song Contest angeboten. Andere bieten auch die Wette an, wer bei Big Brother als Nächster rausfliegt.

Wie hast du dich für die EM vorbereitet?

Memed: Nicht besonders. Das ist die tägliche Arbeit. Obwohl man es vielleicht nicht will, ist man vorbereitet. Gestern habe ich die ganze Nacht gearbeitet, Südkorea gegen die Türkei, und heute Nacht verfolge ich die WM-Qualifikation in Amerika. Ich bin schon weiter.

Yildirim: Es gibt keine direkte Vorbereitung. Das ist die tägliche Arbeit während des ganzen Jahres. Man hat alle Informationen im Kopf und guckt sich nur noch die Quoten an. Die meisten Wetter haben so 40 Mannschaften im Überblick. Aber Profis wie Memed haben in ihrer Datenbank im Kopf über 1 000 Mannschaften gespeichert.

Memed: Ich bilde mir meine eigene Meinung und darum geht es mir. Die meisten kommen hier rein und gucken sich nicht mal ein Spiel an oder übernehmen die Analyse von Wettzeitungen wie Tip Mit. Manchmal stimmt’s nicht, so ist das auch bei mir. Der Buchmacher hier hat einen Zentralrechner, der wird mit Zahlenmaterial gefüttert und ermittelt rein mathematisch die Wahrscheinlichkeiten. Aber wir Kopfrechner operieren zusätzlich mit den psychologischen Faktoren der Mannschaften.

Muss man die Wahrscheinlichkeitsrechnung beherrschen, um Buchmacher zu werden?

Yildirim: Das hat nichts mit Wahrscheinlichkeit zu tun, sondern mit Wissen. Nicht jeder kann einfach so Buchmacher werden. Mein Chef hat einen Buchmachergehilfenausweis. Bisher gibt es keine reguläre Ausbildung für diesen Erwerbszweig. Ich denke, das sollte eingeführt werden.

Mit welcher Taktik wird man Europameister 2004?

Memed: Die Tendenz ist: Für die Mannschaften, die mehr Stars haben, aber nicht laufen, nicht ackern, läuft die Zeit ab. Lettland oder Schweden sind nicht umsonst dabei. Die laufen, haben ihre Taktik und Spielkultur, während die Deutschen mit Ziegen und Schafen spielen, obwohl es viel bessere deutsche Fußballer gibt. Das Problem bei den Deutschen ist jedoch ihr sehr hoher Glücksquotient.

Und mit welcher Taktik wird man Wettmeister 2004?

Memed: Man muss, wie immer, die richtigen Quoten kennen. Fußball ist ja interessant, weil auch kleine Mannschaften gewinnen können, sonst würde sich auch das Wetten nicht lohnen. Und wie bei der EM wird die Tagesform entscheidend sein.

Und auf wen tippt man in Kreuzberg?

Memed: Man wünscht sich, dass diese grottenschlechte Mannschaft, diese Zusammenstellung von alten Eseln, nicht weiterkommt.

interview: doris akrap

*Namen von der Redaktion geändert