Zwangsticket to Ride

Sozialticket gegen Semesterticket von udo van lengen

Oft wird in diesen Tagen gesagt, dass die Kürzungen und Sparrunden sprachlos machten. Doch sie machen nicht nur sprachlos, sondern auch naiv und kompromissbereit. Einer nach dem anderen klagt den Sparkönigen sein Leid und wimmert um Gnade.

Die Devise der Sprachlosen lautet: Wenn das Geld ausgeht, muss man beim Haushaltsvorstand auf sich aufmerksam machen. Und wenn man nichts mehr erwimmern kann, bleibt nur noch zu beten. Heiliger St. Florian, verschon’ mein Haus, zünd’ andere an. Nicht auszudenken, wenn andere ungeschoren davonkämen!

Am vergangenen Donnerstag wurde gleich auf zwei Veranstaltungen in dieser Weise gebetet. In Charlottenburg trafen sich die Berliner Studierendenschaften zur Landes-Asten-Konferenz (LAK), um eine Kampagne gegen die bevorstehende Preiserhöhung ihres überteuerten Semestertickets zu starten. Dass es ein Zwangsticket ist und gesamtgesellschaftliche Lösungen wie den Nulltarif blockiert, stand nicht zur Debatte. Wer mit Politikern und Vorstandsvorsitzenden verhandeln will, sollte stets pragmatisch sein.

Darum ist das Ziel der LAK, dass die Berliner Studierenden das Angebot des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg bei den Urabstimmungen Ende Juni vorerst ablehnen, damit danach neu über den Preis verhandeln werden kann. Zahlen wolle man zwar, aber 125 Euro müssten doch wohl reichen.

Von der gleichzeitig stattfindenden Veranstaltung acht Kilometer weiter östlich hatten die Vertreter der LAK nichts gehört. Dort pilgerten einige hundert Menschen in die Passionskirche am Kreuzberger Marheinekeplatz. Sie wollten u.a. von der Staatssekretärin für Soziales, Petra Leuschner (PDS), und dem BVG-Vorstandsvorsitzenden Andreas Graf von Arnim hören, wann es in Berlin wieder ein Sozialticket geben werde, das den Namen auch verdient. Die Untertanen in der Passionskirche jammerten, wie schlimm sie von der Sparpolitik gebeutelt werden. Das Podium schaute peinlich berührt. Aber können sie etwas dafür, dass die Kassen leer sind? Das begriffen auch die subversivsten Anwesenden und blickten neidisch auf die privilegierten Studierenden. »Die haben ein günstiges Zwangsticket und wir nicht!«, riefen sie. Der Vertreter der Verkehrsbetriebe schien überwältigt. Diesen Ansatz habe man noch nicht verfolgt, stotterte er verdutzt. Es kann ja schließlich niemand ahnen, dass die armen Leute zwanghaft ihr knappes Geld loswerden wollen.

Das Ziel beider Veranstaltungen, politischen Druck auszuüben, ist gründlich gescheitert. Denn den erzeugt man nicht, indem man seinen Willen artig bei Privataudienzen selbstherrlicher Verantwortlicher vorbringt. Die Interessengruppen, welche pragmatisch die demokratischen Spielregeln beherzigen, gönnen sich untereinander nichts. Die Urheber dieser Regeln brauchen sie noch nicht einmal gegeneinander ausspielen. Sicher ist, dass sich politisch erst etwas ändern wird, wenn es keine unterschiedlichen Interessengruppen mehr gibt. Sie müssen sich auflösen, um gemeinsam aktiv zu werden.

Die LAK hat festgestellt, dass ein Nulltarif mit dem Senat nicht zu machen sei. Darum geht es auch nicht. Über den Nulltarif wird nicht verhandelt, er wird praktiziert.