Das zweite Start-Up

In Israel glaubt man an Hightech. Nach dem Internet sind jetzt Nano- und Biotechnologie die Hoffnungsträger. von ferdinand muggenthaler

Research follows money.« Daniel Mandler lacht, wenn er erzählt, was jetzt alles die Vorsilbe Nano bekommt, denn Nanotechnologie ist das Modewort der aktuellen Forschungsförderung. Er ist der Direktor des Zentrums für Nanowissenschaft und Nanotechnologie der Universität Jerusalem. Ähnliche Zentren gibt es auch in Tel Aviv, Haifa, Beer Sheva und am Weizmann-Institut in Rehovot. Israel ist ganz vorne mit dabei, wie bei allem, was in den letzten Jahren als die Speerspitze des wissenschaftlich-technischen Fortschritts galt.

Israel setzt auf Hightech. Nicht nur die konservative Regierung, auch linke Friedensaktivisten sind ein bisschen stolz darauf, was ihr Land auf diesem Gebiet leistet. Der Staat hat beste Voraussetzungen für Erfolg in so genannten wissensbasierten Branchen. Kein OECD-Land gibt einen größeren Anteil des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung aus. Und Israel hat pro Kopf der Bevölkerung mehr Wissenschaftler als jeder andere Staat.

Im letzten Jahrzehnt machte sich diese Stärke auch wirtschaftlich bemerkbar. Als Hoffungsträger fungierte damals das Internet. Es wurde investiert in die Infrastruktur für Telekommunikation, Start-Ups für Hard- und Software schossen aus dem Boden. Und Israels Wirtschaft profitierte davon. Der Anteil von Hightechprodukten am Export wuchs von gut fünf Prozent 1990 auf über 30 Prozent im Jahr 2000.

Zu einem Symbol des israelischen Erfolgs wurde die Geschichte von Arik Vardi. Er ist ein Schulabbrecher, der mit drei Kumpels und mit 50 000 Dollar von seinem Vater die Firma Mirabilis gründete. Ihr Erfolgsprodukt war das kleine Programm ICQ (»I seek you«). Es zeigt an, ob die Freunde auch gerade online sind. Mirabilis wurde 1998 für 407 Millionen Dollar von AOL aufgekauft. Wirtschaftlich wichtiger als diese und ähnliche Legenden waren allerdings Investitionen wie die der Firma Intel, die in Israel ein Chipwerk und Forschungsabteilungen eröffnete.

Zu einem großen Teil lässt sich der beeindruckende Erfolg mit dem gut ausgebauten Bildungs- und Forschungssystem Israels erklären. Aber einen Teil trugen auch die sowjetischen Universitäten bei. Gut eine Million Menschen emigrierte in den Neunzigern aus der zerfallenden Sowjetunion nach Israel, darunter sehr viele Wissenschaftler und Ingenieure. Ein eigenes Zentrum für die Integration in die Wissenschaft vermittelte die eingewanderten Forscher in Stellen in den Universitäten und der Industrie. Ein Teil der Förderprogramme für Start-Ups richtete sich an sie.

Fragt man nach den Gründen für den israelischen Hightech-Erfolg, stößt man noch auf einen anderen Faktor: das Militär. Für die IDF ging es von Anfang an darum, den wesentlich größeren Armeen der Nachbarländer technologisch überlegen zu sein. Es ist müßig festzustellen, dass Geld direkt in zivile Forschung schneller zu dem Ergebnis geführt hätte. Jedenfalls verkleinerten die IDF mit dem einsetzenden Friedensprozess ihre Truppe und entließen dabei auch zahlreiche Ingenieure und Softwareexperten ins zivile Leben. Außerdem sind viele der erfolgreichen Erfinder während ihres Militärdiensts durch die Schule der Entwicklungsabteilung der militärischen Aufklärung gegangen. Für diese geheime Einheit – ihre Nummer, 8 200, ist in Israel allgemein bekannt – werden angehende Ingenieure, Programmierer und Wissenschaftler rekrutiert und genießen dort große Freiheiten bei der Entwicklung von technischen Ideen.

In dieser Einheit nahm die neben der Story vom Schulabbrecher Arik Vardi zweite populäre Erfolgsgeschichte ihren Anfang. Gil Shwed, Spitzname Gil Bates, entwickelte dort ein Programm, um das militärische Computernetzwerk zu schützen. Aus der Armee entlassen, verkaufte er das gleiche Produkt als »FireWall« an private Firmen. Heute ist seine Firma »Check Point« Weltmarktführer auf dem Gebiet.

Im Jahr 2000 ist die dot.com-Blase bekanntlich geplatzt und Israel war besonders hart getroffen. Das so genannte Risikokapital blieb weg, nicht nur wegen des Crashs an den Technologiebörsen, sondern auch wegen der fast gleichzeitig beginnenden zweiten Intifada. Inzwischen hat sich die Lage beruhigt, die israelische Wirtschaft wächst wieder. Der »Israel High-Tech & Investment Report« jubelte im April: »Die Rezession ist vorbei!« Und so, wie sie in den Neunzigern über den Internetboom sprachen, sprechen jetzt in Israel auch Laien davon, dass in der Nanotechnologie die Zukunft liege. Für Shimon Perez hat sie sogar das Zeug, den Frieden zu fördern. Entsprechend pries er sie auch als Alterspräsident in der Knesset und tritt auf Nanotechnologiekonferenzen als Gastredner auf.

An einem tatsächlich futuristischen Projekt arbeitet das Zentrum für Nanotechnik an der Universität Tel Aviv. Gemeinsam mit europäischen Foschungseinrichtungen versuchen sie dort, eine Maschine zu entwerfen, die auf Knopfdruck aus Stammzellen das Gewebe des gewünschten Organs wachsen lässt. Leber kaputt? Ein Knopfdruck und das Ersatzorgan wächst. Das ganze Projekt ist ein gutes Beispiel für das Verschwimmen der Grenze zwischen Nano- und Biotechnologie, dem zweiten Hoffnungsträger für Israels Hightech-Zukunft. Ein Feld, angesichts dessen deutsche Forscher neidvoll auf Israel schauen: Das Klonen von embryonalen Stammzellen ist hier nicht verboten. Entsprechend kommen viele der Stammzellenlinien, mit denen weltweit geforscht wird, aus Israel.

Daniel Mandler glaubt allerdings nicht an schnell verwertbare Erfolge seiner Forschung. Da würden mindestens fünf, eher zehn Jahre vergehen. Der Boom der Neunziger wird sich also kaum wiederholen. Damals war der Erfolg so einseitig auf Hightech-Exporte ausgerichtet, dass auf dem weltweiten Einbruch in dieser Branche fast nichts mehr übrig blieb. Zusammen mit den ausbleibenden Touristen ließ der Crash das Pro-Kopf-Einkommen fast auf den Stand von Anfang der neunziger Jahre zurückfallen, nie gab es mehr Arbeitslose in Israel.

Entsprechend warnt Manuel Trajtenberg, Professor für Ökonomie an der Tel Aviver Universität und Aufsichtsratsmitglied in einem Hightechunternehmen, sein Land davor, einfach auf die nächste Spitzentechnologie zu setzen. Bereits der letzte Boom sei an ganzen Sektoren der Gesellschaft vorbeigegangen, insbesondere an israelischen Arabern, Ultraorthodoxen und strukturschwachen Regionen. Außerdem seien die israelischen Unternehmen in der Regel zu klein, um z.B. in der Biotechnologie erfolgreich zu sein, denn um neue Medikamente auf den Markt zu bringen, sind aufwändige Test- und Genehmigungsverfahren nötig.

Solche Warnungen werden freilich die israelischen Wissenschaftler nicht daran hindern, weiter an der Weltspitze mitzuspielen, und die Israelis nicht daran, vom nächsten Hightechwunder zu träumen.