Vor Oslo, nach Oslo und um Oslo herum

In Berlin diskutierte ein Allparteienbündnis über europäische Friedenspläne für den Nahen Osten. von ayelet banai, berlin

Während des G 8-Gipfels vor zwei Wochen in Georgia warben die USA um die Unterstützung der Europäer für die weiter gefasste Version ihrer Nahostinitiative. Der Plan sieht eine umfassende Demokratisierung des Nahen und Mittleren Ostens von Tunesien bis Afghanistan vor. Europa aber, nicht gewillt, irgendwelche amerikanischen Unternehmungen im Nahen Osten zu unterstützen, hob zum wiederholten Mal die Bedeutung des israelisch-palästinensischen Konflikts hervor, der allein der Schlüssel für eine Reform in der Region sei. Gleichzeitig wurde in Berlin, auf der Konferenz »Which Way Ahead? Mapping the Way for Peace in the Middle East«, diskutiert, wie die Europäer ihrerseits die Diktaturen im Nahen Osten zu überwinden gedenken.

Dabei zeigten die deutschen Parteien eine bemerkenswerte Einigkeit: Irgendwo im Dickicht der Friedensinitiativen müsse die Lösung wohl zu finden sein. Die Konferenz wurde von der Friedrich-Ebert- und der Konrad-Adenauer-Stiftung organisiert, Heinrich-Böll- und Friedrich-Naumann-Stiftung beschickten das Podium mit Moderatoren und sorgten für aufmerksames Publikum. Derart parteienüberspannend im Zeichen der guten Absicht vereinigt, suchte man zu ergründen, welche der vielen seit dem desaströsen Ende von Oslo »in der Region« kursierenden Initiativen eine bessere Zukunft zu bringen verspricht. Sollen die Europäer nun die Road Map von US-Präsident George W. Bush, das so genannte Nahost-Quartett, die Genfer Initiative oder gar Ministerpräsident Ariel Sharons neuesten Rückzugsplan aus dem Gazastreifen unterstützen?

Doch eine Frage blieb auffälligerweise ausgespart: Weshalb sollten Initiativen wie die von Oslo ein besseres Ende nehmen als Oslo selbst, wenn die Rahmenbedingungen im Grunde noch immer dieselben sind? Und so gab es wenig Neues in den Diskussionen über den Streit zwischen Israelis und Palästinensern oder die Zweistaatenlösung. Aber über Fragen, die nicht gestellt werden, braucht man sich auch nicht aufzuregen.

Die wohlbekannten Waffen aus dem Arsenal israelisch-palästinensischer Streitereien wurden sogleich gezückt. Ehud Barak, der frühere israelische Premier, klagte Yassir Arafat an, das Scheitern des Gipfels in Camp David herbeigeführt und sich mit voller Absicht und aus taktischen Gründen Gewalt und Terror zugewandt zu haben: »In Taba mussten wir erkennen, dass es Arafat nicht um 1967 und um ein Ende der Besatzung geht, sondern um 1947 – um die Errichtung des Jüdischen Staates.« Dagegen klang die palästinensische Erklärung für den Ausbruch der zweiten Intifada in Johannes Raus Rede an: »… der Pfad der Gewalt war nicht vorgezeichnet – auch nicht nach Camp David.« Vielmehr sei es der Besuch des damaligen Oppositionsführers Ariel Sharon auf dem Tempelberg gewesen, der das Feuer des 28. September gelegt habe, »ein schwarzer Tag, von heute aus betrachtet«.

Mustafa Barghouti, Sprecher des palästinensischen NGO-Netzes, betonte, der palästinensische Staat als Option sei in Gefahr. Seit dem Teilungsplan von 1947 sei, »ob in Frieden, ob im Kriege, die Ausgrenzung und Ausstreichung der Möglichkeit eines palästinensischen Staates« zu beobachten.

Der Umstand, dass die Diskussionsteilnehmer sich nicht darauf einigen konnten, was seit oder gar vor den Vereinbarungen von Oslo wirklich passiert ist, hielt sie nicht davon ab, gemeinsam ihre Hoffnung auf eine Zweistaatenlösung auszudrücken und zu erwarten, dass schon irgendwas getan werden könne, damit es zu ihr kommt. Was freilich dieses Irgendwas ist, blieb unklar. Und wenn sich alle auf die Zweistaatenlösung einigen können, warum verbrachte dann Barak einen lockeren Nachmittag in Berlin, anstatt als wiedergewählter Premier einem Israel zu dienen, das friedlich mit Palästina koexistiert?

Ein Rätsel, das in der Diskussionsrunde, die die Genfer Initiative zum Thema hatte, besonders deutlich wurde. Einerseits traten die Initiatoren des Genfer Papiers, Yassir Abed Rabo und Yossi Beilin, auf und erklärten stolz, sie hätten gezeigt, dass eine Einigung möglich sei. Mit ihrem Papier seien Probleme endgültig gelöst worden, die bislang als unlösbar galten, so die Frage, was aus Jerusalem und was aus den palästinensischen Flüchtlingslagern werden soll. Andererseits berichteten Meinungsforscher, dass in der öffentlichen Meinung Israels und Palästinas zwar Frieden und Versöhnung große Unterstützung fänden, das Genfer Papier aber nicht. Außerdem komme, strategisch betrachtet, der Versuch, eine solche Initiative unter den gegenwärtigen Bedingungen zu implementieren, den Terrororganisationen zugute, die den bewaffneten Kampf als den besseren Weg zum Erfolg hinstellten könnten.

Die geostrategischen Analysen und Meinungsumfragen zeigen, dass die Zustimmung zu Friedensinitiativen und -verträgen noch immer geteilt ist. Eben diese unerfreuliche Realität wollen die Verhandlungspartner ändern. Aber wer die Wirklichkeit ändern will, muss sie erst einmal ernst nehmen. Wer jene Strukturen und politischen Akteure nicht in seine Überlegung einbeziehen will, die sich gegen eine Zweistaatenlösung und jeden friedlichen Kompromiss sperren, von deren militärischem und politischem Rückhalt zu schweigen, kann nichts tun als zu hoffen, dass sich die Initiatoren des Friedensprozesses in zehn Jahren erneut in Berlin treffen und sich wieder darüber einig sind, Frieden sei möglich. Die in Georgia präsentierte Nahostinitiative der Amerikaner hingegen könnte zeigen, wie es gelingt, Gegner des Kompromisses in die Überlegungen einzubeziehen.

Was Europa betrifft, so erinnerte Shlomo Avineri von der Hebrew University noch einmal daran, dass es nicht darum geht, was es tun soll, sondern was es tun kann. »In den vergangenen zehn Jahren stolperte die europäische Außenpolitik von einer Niederlage zur nächsten«, sagte Avineri. »Europa und die UN waren ja sogar unfähig, den Zypernkonflikt zu lösen.« Wenn etwa die SPD mit ihrer »Friedensmacht«-Kampagne selbst die Europawahl verloren hat, darf doch erneut darüber nachgedacht werden, was Europa auf dem Weg zum Frieden im Nahen Osten überhaupt ausrichten kann.

In neuen Diskussionen könnte sich zeigen, dass, trotz aller berechtigten Kritik an ihm, im American Way eine Dynamik liegt, die einige grundlegende Faktoren ändern könnte, welche nicht allein den Oslo-Prozess behindert haben und alle ähnlichen Initiativen blockieren werden, sondern auch im Nahen Osten zu Bürgerkriegen und einer Rückschrittlichkeit geführt haben, die der Nährboden für globale Terrornetze ist.

Emanuel Sivan von der Abteilung für Nahoststudien an der Hebrew University schrieb kürzlich in der Ha’aretz, dass »Demokratisierung kein einmaliger Akt, sondern eine langfristige Entwicklung« sei und warnte damit alle, die einen sofort sichtbaren Erfolg der Demokratisierung in der Region erwarten. Wenn Westeuropa kriegerische Jahrzehnte und Jahrhunderte brauchte, um seine Demokratien zu stabilisieren, »warum sollte die Veränderung in den arabischen Staaten dann nicht lang und schmerzhaft sein?«

übersetzung: petra bail

Ayelet Banai lebt als Autorin und Journalistin in Berlin.