Der Krieg der Köpfe

Das Amnestieangebot für al-Qaida in Saudi-Arabien von jörn schulz

Die Todesstrafe kann in Saudi-Arabien schon wegen Homosexualität verhängt werden. Im vergangenen Jahr wurden nach offiziellen Angaben 52 Menschen enthauptet. Die Hinrichtungen finden meist nach dem Freitagsgebet vor einer Moschee statt. Der Verurteilte muss niederknien, die Zuschauer begleiten die Zeremonie mit dem Ruf: »Gott ist groß.«

Für ihre Milde ist die Justiz Saudi-Arabiens eigentlich nicht bekannt. Etwas überraschend kam daher in der vergangenen Woche das Amnestieangebot König Fahds an die im Land operierenden al-Qaida-Zellen: »Jene, die sich aus eigenem Antrieb innerhalb eines Monats nach dieser Rede stellen, werden sicher sein in der Sicherheit Gottes, soweit es sie betrifft, und sie werden nach dem Gesetz Gottes behandelt, soweit es die Rechte anderer betrifft.«

»Der Staat wird seine Anklage fallen lassen«, erläuterte Turki al-Faisal, der saudische Botschafter in Großbritannien, diese etwas nebulöse Formulierung. Private Klagen von Angehörigen der Terroropfer seien jedoch möglich. Sie dürfen sogar bestimmen, ob ein Verurteilter enthauptet wird.

Das Amnestieangebot ist vor allem eine politische Botschaft, denn es erklärt den Terror zu einem privaten Problem zwischen den Tätern und den Geschädigten, das den Staat nichts angeht. Dass eine größere Anzahl von Terroristen sich bei den doch recht schwer kalkulierbaren Aussichten auf Straffreiheit stellt, ist unwahrscheinlich. Dass der Terrorismus nicht als Verbrechen am Königshaus gewertet werden muss, dürfte man in den Reihen des al-Qaida-Netzwerks jedoch aufmerksam registriert haben.

Es ist kein Zufall, dass die von al-Qaida-Zellen gefilmten Enthauptungen von Geiseln sich vom saudischen Ritual kaum unterscheiden. Die Differenzen zwischen Ussama bin Laden und dem saudischen Königshaus reduzieren sich letztlich auf die Frage, wer unter welchen Bedingungen Sünder und Ungläubige enthaupten darf und wann die richtige Zeit für solche Maßnahmen gekommen ist.

»Die Feinde des Islam, Juden, Christen, Atheisten und jene, die den Verwestlichten und Korrupten in der Gesellschaft folgen, führen eine unermüdliche Kampagne gegen die muslimische Gemeinschaft«, sagte nicht etwa bin Laden, sondern der saudische Prediger Saleh al-Budair am vergangenen Freitag in der Moschee von Medina. Er beklagte, dass viele Muslime »ihre Gesellschaften den ungläubigen Nationen übergeben haben«.

Da allen Saudis seit ihrer Kindheit der Wahhabismus eingebläut wurde, ist es kein Wunder, dass im vergangenen Jahr in einer Meinungsumfrage fast 49 Prozent der Bevölkerung eine positive Meinung über bin Ladens Rhetorik bekundeten. Von ihm regiert werden wollen allerdings weniger als fünf Prozent.

Dennoch hat das Königshaus ein Glaubwürdigkeitsproblem. Vielen Wahhabiten erscheint bin Laden als verantwortungsloser Abenteurer, der zu früh und mit unzulänglichen Mitteln losschlägt. Andere, auch Mitglieder der Oligarchie und des 7 000 Prinzen zählenden Königshauses, meinen, dass er das tut, was eigentlich jeder Wahhabit tun müsste. Die Auseinandersetzung zwischen al-Qaida und der Monarchie ist ein Machtkampf, aber kein antagonistischer Konflikt.

Die Regierung hat mit dem Amnestieangebot ihre Kompromissbereitschaft signalisiert. Solange eine Chance besteht, sich mit dem Königshaus zu arrangieren, wollen auch die Terroristen nicht alle Brücken abbrechen. Sie verzichten auf Anschläge auf die Ölwirtschaft und die Prinzen, stattdessen werden Migranten gejagt. Aber auch für Ausländer hat die Regierung eine Lösung. Sie dürfen nun einen Waffenschein beantragen.