Karadzic lässt grüßen

Nach der Nichtaufnahme Bosniens ins Nato-Programm »Partnership for Peace« holt die Protektoratsbehörde des Hohen Repräsentanten zum Schlag gegen die Republika Srpska aus. von markus bickel, sarajevo

Das Schuldeingeständnis des bosnisch-serbischen Präsidenten Dragan Cavic war deutlich, doch für die ersehnte Aufnahme in das Nato-Programm »Partnership for Peace« kam es zu spät. »Die Tragödie von Srebrenica ist die schwarze Seite der Geschichte des serbischen Volkes«, erklärte vorige Woche der Präsident der serbisch dominierten Teilrepublik Bosniens (Republika Srpska, RS) in einer Fernsehansprache. »Derjenige, der dieses Verbrechen begangen hat und sich dabei womöglich auf das Volk, welchem er angehört, berufen hat, hat ein Verbrechen gegen das eigene Volk begangen.«

Dass das bislang deutlichste Bekenntnis eines Mitglieds der Führungsriege in Banja Luka zu dem vor neun Jahren von bosnisch-serbischen Truppen verübten Massaker in Srebrenica – mindestens 7 000 Männer und Jugendliche wurden im Juli 1995 innerhalb weniger Tage ermordet – mit dem Nato-Gipfel in Istanbul zusammenfiel, war kein Zufall: Seit Monaten fordern Repräsentanten des westlichen Militärbündnisses die bosnischen Behörden zu verstärkter Zusammenarbeit mit dem Uno-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag auf. Wenige Tage vor Cavic hatte bereits RS-Parlamentspräsident Dragan Kalinic an den einstigen Präsidenten der Republika Srpska, Radovan Karadzic, appelliert, sich dem Uno-Tribunal freiwillig zu stellen.

Und auch der RS-Premierminister, Dragan Mikerevic, wollte es sich kurz vor dem Nato-Gipfel nicht nehmen lassen, die für die Aufnahme ins Programm »Partnership for Peace« (PfP) geforderte Kooperation mit dem Uno-Gericht unter Beweis zu stellen. »Wir werden zugreifen, wenn wir eine Chance haben, die Angeklagten festzunehmen. Es gibt bereits Organe, die auf diesem Feld operativ tätig sind.«

Zu diesem Zeitpunkt war längst klar, dass die wohlfeilen Worte der langjährigen Karadzic-Unterstützer in Banja Luka die Nato-Führung nicht mehr beschwichtigen würden. So räumte Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer Anfang vergangener Woche zwar ein, dass Bosnien im Prinzip alle Bedingungen erfülle, die für die PfP-Teilnahme – der Vorstufe zur späteren Nato-Mitgliedschaft – verlangt würden, doch mit der ersehnten Aufnahme bereits in Istanbul werde es trotzdem nichts: »Man hat große Fortschritte gemacht, und die einzige umstrittene Sache ist die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal«, so Scheffer.

Um so spannender dürften die kommenden Monate werden. Denn bereits seit dem Jahreswechsel mehren sich die Anzeichen, dass es der von der Nato geführten Bosnien-Schutztruppe (Sfor) in der nächsten Zeit tatsächlich gelingen könnte, die beiden meistgesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher, Karadzic und seinen Ex-General Ratko Mladic, zu verhaften. Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen zeitigt der Druck der Protektoratsbehörde des Hohen Repräsentanten, Paddy Ashdown, auf die Führung der Republika Srpska, ihre logistische und finanzielle Unterstützung für Karadzic, Mladic und andere Kriegsverbrecher einzustellen, zunehmend Wirkung. Die Aufforderung des bislang als enger Verbündeter Karadzics geltenden Kalinic an den wegen Völkermordes und Kriegsverbrechen Gesuchten, sich freiwillig zu stellen, ist nur ein Beleg für diese These.

Darüber hinaus wies bereits im Mai ein Streit um die Neubesetzung des Postens an der Spitze der RS-Sonderpolizei auf heftige Richtungskämpfe innerhalb der politischen Klasse der Republika Srpska hin. Politische Beobachter in Sarajevo vergleichen die Truppe mit den berüchtigten »Roten Baretten«, die unter anderem für die Ermordung des serbischen Expremiers Zoran Djindjic verantwortlich gemacht werden.

So hatte RS-Polizeidirektor Radomir Njegus Ende Mai die Entlassung des Leiters der Sonderpolizei, Dragan Lukac, angeordnet, weil er ihn für eine gescheiterte Festnahmeaktion im ostbosnischen Visegrad verantwortlich machte. Auf der Suche nach dem mutmaßlichen Kriegsverbrecher Milan Lukic war sein Bruder Novica erschossen worden. Lukac hingegen bezeichnete seine Suspendierung als Versuch, die Verhaftung weiterer vom Haager Tribunal gesuchter Angeklagter zu stoppen. »Die Geschichte mit Visegrad stellt eine indirekte Botschaft dar, dass niemand in der RS so etwas künftig machen darf. Wenn meine Einheit aufgelöst wird, gibt es niemanden mehr, der diese Aufgabe bewältigen kann«, so Lukac, der 1997 die von Karadzic-Kräften dominierte RS-Polizei verließ, um die damalige prowestliche bosnisch-serbische Präsidentin Biljana Plavsic zu unterstützen.

An der Unterstützung des Westens für Lukac hat sich seitdem nichts geändert. So erklärte Ashdowns Kommunikationschef Julian Braithwaite vorige Woche der Jungle World, dass die Protektoratsbehörde nach dem Gipfel in Istanbul Maßnahmen gegen RS-Innenminister Zoran Djeric und Polizeidirektor Radomir Njegus ergreifen werde: »Wir erwarten verstärkte Handlungen, die zur Festnahme von mutmaßlichen Kriegsverbrechern führen werden. Sollten sie es nicht bis zum Gipfeltreffen schaffen, werden sie als die Hauptschuldigen an der Nichtaufnahme abgestempelt werden.«

Auch der Leiter des Bosnien-Büros der International Crisis Group (ICG), Senad Slatina, bestätigte der Jungle World, dass es noch diese Woche zu entscheidenden Schritten gegen Führungskräfte der Republika Srpska kommen werde. Mittelfristig ziele der Hohe Repräsentant darauf ab, Kompetenzen der RS an die Bundesregierung in Sarajevo zu übertragen, um so die Behörden in Banja Luka zu schwächen. »Wenn es dem Hohen Repräsentanten gelingen würde, einen Prozess einzuleiten, der dem Gesamtstaat mehr Macht einräumt, würde die RS automatisch an Relevanz verlieren«, sagt Slatina.

Die Republika Srpska war im Friedensvertrag von Dayton, der den Bosnien-Krieg im Dezember 1995 beendete, als kleinere von zwei so genannten Entitäten verankert worden. Kritiker des vom damaligen US-Sondergesandten Richard Holbrooke ausgehandelten Abkommens haben den Fortbestand der bosnisch-serbischen Entität immer als Haupthindernis für die Erlangung der vollen Souveränität Bosniens bezeichnet. Im Unterschied zu Kroatien, Serbien-Montenegro und der muslimisch-kroatischen Föderation haben die Behörden in Banja Luka bis heute keine von Den Haag gesuchten Kriegsverbrecher ausgeliefert. Mit der Anfang Juni erfolgten Veröffentlichung eines Regierungsberichts über die Verantwortung bosnisch-serbischer Truppen für das Massaker in Srebrenica scheint nun aber ein innenpolitischer Prozess in Gang zu kommen, der die rechtsextremen Kräfte, die an einer Aufarbeitung der Vergangenheit kein Interesse haben, auf Dauer erheblich schwächen könnte.

Gefährlicher für Karadzic und Mladic könnte jedoch die zum Jahresende erwartete Ablösung des US-amerikanischen Sfor-Oberkommandierenden durch einen EU-General werden. Weil die Regierung George W. Bushs offenbar nicht bereit ist, die Verhaftung von Kriegsverbrechern europäischen Truppen zu überlassen, gehen Diplomaten in Sarajevo davon aus, dass der entscheidende Zugriff noch vor den US-Wahlen im November erfolgen wird. Einer Aufnahme Bosniens in die »Partnerschaft für den Frieden« stünde dann wirklich nichts mehr im Wege.