Lounge auf Schienen

Das Berlin-Zürich Club Exchange Program. von heinrich dubel

An einem Donnerstagabend, Berlin-Ostbahnhof. Fernreisende und Pendler, Personal und Bahnhofsbewohner. Schmutzig-kompakter Metropolencharme. Auf Bahnsteig 6, wo eben noch der Zug nach Neuruppin abgefertigt wird, sammelt sich ein Dutzend blasser Männer. In Flightcases haben sie Schallplatten und Unterhaltungselektronik herbeigeschafft, dazu Kisten mit Bier. Es ist eine Reisegruppe Berliner Klubkulturschaffender. Man ist auf dem Weg nach Zürich. Reiseleiter ist Sandro Gaycken, ein 30jähriger Philosophie- und Physikstudent, der gemeinsam mit seiner in der Schweiz lebenden Freundin Nora Engel, einer Publizistikstudentin, den Verein wicked-projects.org gegründet hat – in der Schweiz, weil dort am ehesten mit finanzieller Unterstützung für das ambitionierte Projekt »Berlin-Zürich Club Exchange Program« zu rechnen war. Erklärter Vereinszweck ist es, die Klubkultur zu fördern.

Sandro, der auf jahrelange Erfahrung als Türsteher und Partypromoter in Hamburg und Berlin zurückblickt, bekennt freimütig, dass die Idee zum Austauschprogramm nicht ohne einen gewissen Neidfaktor zustande kam: »Die DJs werden als Stars hofiert und bezahlt, aber das Personal will auch mal reisen. Wir wollten den ganzen Klub repräsentieren, auch die Türsteher und Barkeeper, die Cocktailkellner und Lichtmeister.«

Das Austauschprogramm ist stattlich. Klubs oder Veranstalterteams sind an den Wochenenden in der jeweils anderen Stadt aktiv, über einen Zeitraum von drei Monaten hinweg – aus Berlin die Pyonen, Maria am Ostbahnhof, Eschschloraque/Haus Schwarzenberg, WMF, Goldmund und Tresor; aus Zürich Bogen 13, Dachkantine, Plattenstraße auf der Flucht, Kaleidoskop, Mute, G5, Rohstofflager, Kinzo und Basstard. Sowas kostet, aber Nora Engel und Sandro Gaycken sind Idealisten mit Ideen. Obwohl es nicht einfach war, haben sie Geld von der Stadt Zürich und einem Schweizer Zigarettenhersteller bekommen, noch dazu etwas Geld von den größeren Klubs und ein wenig ideelle Unterstützung von der Stadt Berlin.

Um jedoch die Klubkultur zu fördern, müssen zunächst mal deren Träger befördert werden, was in diesem Fall mit dem Zug erledigt werden kann, weil Nora und Sandro ein privates schweizerisches Eisenbahnunternehmen als Hauptsponsor gewinnen konnten. Die Züge sind keine gewöhnlichen Züge, denn es gibt nur Liegewagen. Eine lang gestreckte Lounge auf Schienen also eigentlich, so verstehen es jedenfalls die Berliner, die nach dem Genuss möglicherweise stimulierender Substanzen voller Vorfreude die Abteile entern.

Bevor der Zug die Stadtgrenze erreicht, sind diese bereits zu Partyzonen umgebaut, Powerbooks werden hochgefahren und Bierflaschen geöffnet, man ist offensichtlich daran gewöhnt, sich locker zu machen, und man weiß, was man will. Einzig zum Konsum von Rauchwaren müssen die Protagonisten in den Speisewagen ziehen, denn in den Abteilen herrscht Rauchverbot. Seit einmal ein Fahrgast mit brennender Zigarette im Abteil einschlief und beim anschließenden Feuer ums Leben kam, sind die Züge angeblich mit Rauchmeldern ausgestattet. Natürlich glaubt diese Geschichte keiner. Weder die Herren DJs und Musiker Sven Dohse oder Jay Rope aka Jay Hardman noch der Lichtbildner Stümper Spice (alle Goldmund Berlin) noch die Cocktailspezialisten Mustafa Musi und – einzige Frau in der Gruppe – Mia Darling (beide Eschschloraque/Haus Schwarzenberg).

Sandro, der die Tour Berlin-Zürich alle zwei Wochen im Wechsel mit Nora (Zürich-Berlin) macht, ist ganz glücklich mit dieser Berliner Gruppe. »Man sollte meinen, dass die Berliner ein wilder und unkontrollierbarer Haufen sind«, erzählt er. »In Wirklichkeit sind die ganz zahm.« Im direkten Vergleich der zwischenstaatlich reisenden Feiergemeinschaften mit Kulturauftrag schneiden die Schweizer als die Wilderen und Durchgeknallteren ab.

Was ist nun aber Klubkultur? Anscheinend gibt es keine einheitliche Definition. Es geht aber in jedem Fall um aktive selbst bestimmte Freizeitgestaltung und daraus resultierende, nicht ausschließlich kommerziell orientierte Angebote. Es geht um Musik, Design, Räume, Mode, Elektrovisuelles, um ein bisschen Literatur und bildende Kunst, und natürlich auch ein wenig um Partyspaß, Rausch und Politik. »In der Klubkultur treffen sich Kunstbereiche wie Literatur, Malerei, Video und Performance«, konstatiert Dr. Jean-Pierre Hoby, leitender Kulturpfleger (so ist der offizielle Titel) der Stadt Zürich. Für seine Kollegin Juliane Miller stellt sich die Frage so: »Wo findet in angestammten Clubs wertvolle künstlerische Arbeit statt? Wenn Klubkultur weiterführend ist, wenn sie mehr ist als bloßes Tanzen, wenn es nicht nur einen DJ gibt, sondern künstlerische Acts vorkommen, dann ist dies auch auf der Subventionsebene akzeptabel. Extrem positiv finde ich, dass sich die Klubkultur heute wertvoller einschätzt. Es geht nicht nur um Geld, Publikum oder Drogen – um einmal die Vorurteile beiseite zu lassen –, sondern um Inhalte. Es wird wieder mehr Wert gelegt auf die Inhalte. Das wäre auch der Weg zur Kulturförderung: künstlerische Aspekte hervorheben, sich austauschen und weiterentwickeln.«

Beide erhoffen sich von den Veranstaltern der Club Exchange eine präzisere Antwort auf die Frage nach der Klubkultur, die der herrschenden (eigentlich Nicht-)Definition ein Ende macht. Das ist schon eine ganze Menge, Sandro Gaycken und Nora Engel zufolge jedenfalls mehr, als von vergleichbarer Stelle in Berlin zu vernehmen ist. Zudem sei die Zürcher Szene viel besser vernetzt, man unterstütze sich gegenseitig mehr als in Berlin, vermutlich weil viele Aktivisten einen Hintergrund in der immer noch starken Hausbesetzerszene haben.

Den Berlinern von Goldmund und Eschschloraque/Haus Schwarzenberg jedenfalls gefällt’s in Zürich. Sie sind die Attraktion in der Gemeinschaftsküche des alternativen Hostel-Projekts, wo sie untergebracht sind. Am Samstagmorgen sind noch einige Nachzügler aus Berlin-Mitte angekommen: die DJs Andre »Wer?« Herzig und »Mo« Maurice vom Superclub, der Star-VJ Safy (Sniper) sowie Penelope Grabowski mit ihrer Steakzombie-stitching-Performance. Nach Shoppen, Baden, Ausflügen in die umliegenden Berge und einer Bootsfahrt über den Züri-See ist es am Samstagabend endlich so weit. Im Klub Bogen 13 im Hochbahnviadukt ist schließlich alles, wie man es kennt. Um 23 Uhr ist noch kein Mensch da, um Mitternacht füllt es sich so langsam, um zwei in der Früh gibt es kein ruhiges Fleckchen mehr, um vier sind alle breit und toben, ab fünf leert es sich, um sechs hebt man nochmal gemeinsam an (und ab), um sieben wird abgebaut, und um acht sind alle, die noch können, weitergezogen zur After Hour in die Dachkantine. Am Sonntagabend geht’s wieder nach Berlin zurück. Und diesmal schlafen alle.

Die nächsten Termine sind

(in Zürich): Sa, 3. Juli – LoungeChihProductions@Kinzo, Sa, 24. Juli – Tresor@Rohstofflager;

(in Berlin): Sa, 17. Juli – Kinzo@LoungChicProductions, Sa, 31. Juli – Rohstofflager@Tresor.

Details unter www.the-club-exchange.info