Nach dem Aus ist vor dem Aus

in die presse

»Aus! Aus! Aus! Deutschland ist Weltmeister!« schrie 1954 der Reporter, als Deutschland das so genannte Wunder von Bern vollbrachte und »wir« wieder »wer« waren. Wenn schon nicht Weltbeherrscher, so doch Weltmeister. Heute reicht es nicht mal für Europa. »Aus! Ganz Berlin weint mit Rudi!« titelte die B.Z., »Aus! Rudi, wir sind die Deppen Europas!« klagte Bild, ein »Aus« fand sich auch auf dem Titel der taz und vieler anderer Tageszeitungen. Das RBB-Inforadio ging noch weiter: »Deutschland ist am Boden!«

Aus, aus, aus waren 1954 auch der Zweite Weltkrieg, die Reichsmark, die Stromsperre und das Hamstern. Heute ist etwas anderes aus: die Krankengelder, die starke D-Mark, das Licht auf den Gehsteigen. Und die Sozialhilfe meistens auch. Doch der Blick ins Portemonnaie genügt den meisten Menschen nicht, sie erfassen den Zusammenhang nicht. Ein Symbol ist nötig, in diesem Fall eine scheiternde Nationalfußballfolkloregruppe, die ganz Europa demonstriert, wie es um das Land steht.

Erst jetzt können die Deutschen den Ernst der Lage erfassen. Während die Fußballer, zu gut bezahlt und daher faul, sich die Zeit für einen Strandbesuch nehmen, räumt Rudi Völler seinen Platz. Überhöhung durch Verlust. Ein guter Chef. Gerhard Schröder, der ebenfalls unter einer Gurkentruppe leidet, die überbezahlt, verwöhnt und faul in die Sonne blinzelt, macht es anders. Er greift den Tipp so vieler Fußballfans auf, die neidvoll nach Brasilien schauen: Man braucht Armenviertel und Hungerleider, die, weil sie das Geld brauchen, zu Sportgöttern werden. Schafft es der Kanzler bis zur WM 2006, genug heiße Hunde zu züchten? Die Streichung beim Zahnersatz wird nicht genügen. Wir müssen also hoffen. Und helfen.

Geschichte ist, so lehrt deutsche Philosophie, die ewige Wiederkehr des Immergleichen. Um siegen zu können, müssen die Deutschen verlieren, es muss aus sein, damit es vorwärts geht. Vom Boden kann man sich nur erheben. Also greine man nicht. Das Wort »aus« hat in Deutschland stets den Beiklang des Neubeginns.

jörg sundermeier