Wir sind zu billig

Auf dem Kongress »Die Kosten rebellieren« wurde eine stärkere Zusammenarbeit von antirassistischen Gruppen und Gewerkschaftern beschlossen. von jochen hein

Prekäre Arbeitsverhältnisse, in denen früher überwiegend MigrantInnen arbeiteten, werden in breiten Teilen der Gesellschaft normal. »Deregulierte Arbeitsverhältnisse nehmen beschleunigt zu, seitdem Dienstleistungen outgesourct, Arbeit flexibilisiert und ein Niedriglohnsektor staatlich gefördert werden«, hieß es in dem Aufruf zu dem Kongress vom vergangenen Wochenende. »Ob BriefträgerInnen, Lkw-Fahrer, LagerarbeiterInnen, McDonald’s-Servicekräfte oder Call Center Agents für Niedrigstlöhne arbeiten, Ich-AGs sich für ihre Existenz abstrampeln, LeiharbeiterInnen bei obskuren Vermittlungsagenturen um ihre Entlohnung kämpfen müssen, eine kasachische Ärztin bundesdeutsche Wohnungen putzt, kurdische Flüchtlinge im Imbiss oder Polen, Rumänen, Deutsche und Portugiesen auf Baustellen arbeiten; Heimarbeiterinnen auf Abruf arbeiten und Studentinnen Kinokarten abreißen oder später Hilfsjobs im Ausbildungssektor haben – die angebliche ›Wissens- oder Informationsgesellschaft‹ basiert auf Zeitarbeit und Niedriglohn.«

Um über Strategien gegen die zunehmende Prekarisierung der Arbeitswelt zu beraten, trafen sich in Dortmund am vorigen Wochenende über 200 Gewerkschafter, Aktivisten aus antirassistischen Gruppen und Migranten. Zu den Veranstaltern des Kongresses gehörten u.a. Labournet Germany, die Inititiave »Kein Mensch ist illegal«, »Respect«, ein Netzwerk von Migrantinnen, die in Dienstleistungsberufen arbeiten, der Bayerische Flüchtlingsrat, die Rosa-Luxemburg-Stiftung und eine Vielzahl einzelner Gewerkschafter, vor allem von Verdi. Ein Schwerpunkt des Kongresses lag auf dem Verhältnis zwischen prekärer Beschäftigung und Migration.

Bei der Auftaktveranstaltung wurde der Kongress von Mag Wompel von Labournet und Hagen Kopp von »Kein Mensch ist illegal« als »Herausforderung für die Überwindung eingefahrener Denkmuster« bezeichnet. Als gesellschaftliche Ziele nannte man ein »würdiges und tolles Leben« und »nicht den Kampf um Arbeitsplätze, sondern um die ganze Fabrik samt ihrer Umgestaltung«.

Es war wohl das erste Mal, dass sich Antirassisten, Gewerkschafter und Migranten zu einem solchen Kongress trafen. Viele Teilnehmer werteten die Veranstaltung denn auch als einen »Impuls«, aber als keinen entscheidenden Wendepunkt. Vor allem die zu geringe Teilnahme von Gewerkschaftern wurde beklagt. Helmut Weiss, der stellvertretende Vorsitzende von Verdi-Dortmund, gestand ein, dass »zu wenig Gewerkschaftslinke« anwesend gewesen seien. »Es hätten mehr sein können.«

Schnell stellte sich auf dem Kongress die Frage, worum es sich bei der viel beschworenen »Prekarisierung« überhaupt handele. Hierbei herrschte auf der Versammlung einige Konfusion. So war von einer »Reorganisierung des Kapitalismus« auf einer für die Menschen prekären Grundlage die Rede. Die kapitalistische Produktionsweise sei stabil wie nie zuvor, die neoliberale Ideologie stärker denn je. Von objektiven Krisenprozessen keine Spur. Und auch die Kritik an der Arbeit als solcher blieb relativ schwach.

Problematisch war zum Teil auch die Bewertung der Prekarisierung. Auf dem Eröffnungsplenum wurde sie auch als »Chance« interpretiert. Prekarisierte Beschäftigung werde oftmals »freiwillig« angenommen, sie sei auch eine »Ablehnung der Normalarbeit«. Im Aufruf war dazu zu lesen: »Viele arbeiten so, weil die Lebensnöte es so erfordern oder erzwingen. Andere leben so, weil es besser ist, als vorher (…) So vielfältig wie Jobs und Bedingungen, so verschieden sind Selbstverständnis, Perspektiven und Ziele der Beschäftigten.« Klarer wurde der Begriff, als die Frauen von »Respect« aus ihrem Arbeitsalltag ohne gewerkschaftliche Vertretung und oft genug auch ohne Entlohnung berichteten.

Vielleicht war die Tatsache, dass sich Aktivisten aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen trafen, wichtiger als das, was inhaltlich dabei herauskam. »Schon das Zustandekommen war ein Erfolg«, sagte Mag Wompel der Jungle World. »Zum ersten Mal setzten sich Gewerkschafter mit den Problemen der Migranten auseinander und widmeten sich Antirassisten den Bedingungen der Lohnarbeit. Wir werden die Zusammenarbeit verstärken.«

Der Kongress zeigte auch konkrete Ergebnisse. So wurde eine Solidaritätserklärung mit der türkischen Gewerkschaft BIS verabschiedet, die im Dezember vergangenen Jahres verboten wurde. BIS ist eine kleine neue Gewerkschaft, die einen Streik der Leiharbeiter bei der türkischen Post organisiert hatte.

Zudem beschloss der Kongress, eine internationale Solidaritätskampagne für die Reinigungsfrauen beim französischen Dienstleistungsunternehmen Arcade ins Leben rufen, die über ein Jahr die Hotelkette Accor bestreikten. Eine der Aktivistinnen, Faty Mayant, wurde kürzlich entlassen. Deswegen soll es am 23. Juli einen Aktionstag geben.

Auch die deutschen Verhältnisse wurden in Dortmund nicht vergessen. Für den 3. Januar 2005 plant man einen Aktionstag der Erwerbslosen gegen die Einführung des Arbeitslosengeldes II. In ganz Deutschland sollen die Bundesagenturen für Arbeit »gestürmt« werden. Der späte Termin ist unverständlich. Wenn das Arbeitslosengeld II erstmal eingeführt ist, wird man es schwerlich wieder rückgängig machen können. Immerhin soll der Aktionstag im Herbst mit einer Informationskampagne vorbereitet werden.

Immer wieder war es ein Thema auf dem Kongress, welche Strategie gegen die Vereinzelung in den prekären Beschäftigungsverhältnissen entwickelt werden könnte. Das US-amerikanische Modell der workers center wurde dabei als Erfolg versprechend erachtet. In diesen Stadtteilläden, die von Gewerkschaftern und Arbeitern gegründet werden, können sich die Beschäftigten, die sich in der Kantine nicht mehr treffen, weil es keine gemeinsame Kantine mehr gibt, kennen lernen und austauschen. Solche Zentren würde man gerne auch in Deutschland gründen.

Helmut Weiss sagte der Jungle World, dass in mehreren deutschen Städten eine konkrete Zusammenarbeit zwischen antirassistischen Gruppen und Gewerkschaftern geplant sei, um im Bereich der Gastronomie auf die Beschäftigungsverhältnisse der Migranten hinzuweisen. »Natürlich wollen wir nicht den Eindruck erwecken: Wir organisieren die jetzt mal. Wir wollen ihnen zeigen, wie sich selbst organisieren können.«

Schließlich kam es am Rande des Kongresses auch zu einer Aktion. Behinderte besetzten vorübergehend mit ihren Betreuern die Räumlichkeiten der Barmer Ersatzkasse, um gegen Mittelkürzung und die Anwendung betriebswirtschaftlicher Logik auf die Pflege von Menschen zu protestieren. Da war sie dann doch noch, die Rebellion der Kosten.