Die ersten 29

Drei Jahre nach dem G 8-Gipfel in Genua erscheinen vor Gericht 29 leitende Polizisten, die am Überfall auf die Diaz-Schule beteiligt waren. von andrea perugini und steffen vogel

Das Gerichtsgebäude unweit des Palazzo Ducale in Genua ist von der Polizei weiträumig abgeriegelt. Die als Nebenkläger auftretenden Opfer müssen sich durch mehrere Kontrollen in einen bunkerähnlichen Gerichtssaal begeben. Sie kommen aus Berlin, Zaragoza, Zürich, London. Viele sind zum zweiten Mal in Genua; zum ersten Mal kamen sie im Juli 2001, um an den Protesten gegen den G 8-Gipfel teilzunehmen. Das Gerichtsgebäude ist fensterlos und enthält die aus den Prozessen gegen die Brigate Rosse und die Angehörigen der 77er-Bewegung bekannten Gitterkäfige. Doch diesmal sind die Gitter weg. Eine räumliche Trennung zwischen Angeklagten und ihren Opfern gibt es bei diesem Prozess nicht. Nach einer für italienische Verhältnisse kurzen Zeit von drei Jahren hat in Genua am 26. Juni das Vorverfahren gegen 29 leitende Polizisten begonnen, die am Überfall auf die Diaz-Schule beteiligt waren.

In der Nacht des 21. Juli 2001 stürmten Einheiten der Carabinieri und der politischen Polizei (Digos) die von Globalisierungskritikern und Journalisten als Unterkunft und Medienzentrum genutzte Schule Armando Diaz. Ohne Vorwarnung prügelten sie auf die zum Teil bereits schlafenden Menschen ein und nahmen 93 Personen fest. Die schreckliche Bilanz dieses Polizeieinsatzes waren 61 Verletzte, von denen einige nur dank eilig durchgeführter Notoperationen die Nacht überlebten. Für andere ging der Terror in der Polizeikaserne von Bolzaneto weiter, in der sie ohne Angabe von Gründen einen Tag und eine Nacht lang festgehalten wurden. Die anwesenden Polizisten zwangen ihre Gefangenen zum Absingen faschistischer Lieder, erniedrigten und folterten sie.

Die Verstrickung des italienischen Vizepremiers Gianfranco Fini von der postfaschistischen Alleanza Nazionale (AN) in die Koordination des Polizeieinsatzes in Genua ist mittlerweile gut dokumentiert. So befanden sich Fini und andere hochrangige AN-Politiker während des Gipfels über längere Zeit in der Einsatzzentrale der Polizei.

Da die Täter in der Diaz-Schule fast alle vermummt waren, ist es schwer, einzelnen Beamten bestimmte Handlungen nachzuweisen. Die Anklage argumentiert deshalb, die anwesenden Polizisten hätten, so sie denn nicht selbst geschlagen haben, zumindest die Schläge verhindern müssen. Dennoch sind die Anklagepunkte konkret. Sie reichen von versuchtem Totschlag bis zur Vortäuschung einer Straftat. Der letzte Anklagepunkt bezieht sich auf das polizeiliche Einschmuggeln von zwei Molotow-Cocktails in die Schule, die als Beweis für die gewalttätigen Absichten der Demonstranten benutzt werden sollten.

Zu den Angeklagten zählen hochrangige Beamte wie der Polizeipräsident von Genua, Francesco Gratteri, der Leiter der Informationszentrale der Antiterrorpolizei von Bologna, Giovanni Luperi, und Spartaco Mortola, ehemaliger Chef der Digos. Zu ihrer Verteidigung sind über 40 Anwälte aufgeboten, darunter auch Prominenz wie Alfredo Biondi, Abgeordneter der Berlusconi-Partei Forza Italia und ehemaliger Justizminister. Die Verteidigung gibt sich siegessicher. Die Schule sei als Krankenlager genutzt worden, die Verletzungen stammten von den Demonstrationen des Vortages und seien nicht durch ihre Mandanten verursacht worden, so die Version der Anwälte.

»Die Verteidigung der Polizei ist normal für die reaktionären Kräfte. Der Kampf für Law and Order ist typisch für die Rechte, einfach aus ideologischen Gründen«, kommentiert Emanuele Tambuscio, ein Anwalt der Nebenkläger. Dass überhaupt ein Verfahren stattfindet, wertet er als Erfolg. »Dies ist ein ganz besonderer Prozess. Es ist schwer, die Polizeichefs eines Staates auf die Anklagebank zu bekommen und zu verurteilen.« Einen einfachen Prozess erwartet er nicht: »Wir werden auf große Widerstände treffen. Die Staatsanwälte hatten große Schwierigkeiten, diese Ermittlungen durchzuführen, der politische Druck ist enorm.«

Das verwundert nicht, läuft doch die bisherige juristische Aufarbeitung der Ereignisse in Genua eher gegen die Regierung Berlusconi. Zwar endete der Prozess um den Tod des von einem Polizisten erschossenen Carlo Giuliani für die Polizei mehr als glimpflich, doch von den angeklagten Gipfelgegnern konnten bislang nur wenige verurteilt werden. Wohl auch deshalb laufen derzeit verstärkt Ermittlungen gegen 50 Demonstranten aus Italien, Österreich und Deutschland, die in den nächsten Wochen mit einer Anklage unter anderem wegen Verwüstung und Plünderung rechnen müssen. Ihnen drohen im Fall einer Verurteilung acht bis 15 Jahre Haft (Jungle World, 24/04).

Während den Nebenklägern aus der Diaz-Schule von der Stadt Genua Unterkünfte gestellt wurden, sollten andere, die als Angehörige des ominösen »Black Block« gelten, als »böse« Demonstranten herhalten. Doch die Diaz-Leute lassen sich auf diesen Spaltungsversuch nicht ein. Einen Empfang beim Bürgermeister sagten sie ab, stattdessen kritisierten sie auf einer Pressekonferenz seine Rolle als Nebenkläger gegen 26 italienische Aktivisten, die derzeit in Genua vor Gericht stehen und mit denen sie sich ausdrücklich solidarisieren.

Weniger solidarisch zeigen sich Teile der italienischen Linken. Von der parlamentarischen Mitte-Links-Opposition kommt keine Unterstützung. Tambuscio führt dies auf politische Vorbehalte zurück: »Die Personen aus der Diaz-Schule sind politisch nicht einzuordnen, das heißt, sie gehören keiner Gruppe der traditionellen Linken an, deshalb werden sie von der offiziellen Linken auch nicht unterstützt. Wären es Aktivisten, die der Gewerkschaft CGIL, dem Circolo Arci – einem großen, den Linksdemokraten nahe stehenden Kulturverein – oder dem katholischen Netzwerk Lilliput angehören, würden sich die Linksparteien anders verhalten. Als wir Rechtsanwälte die CGIL oder den Arci für kleine organisatorische Dinge um Hilfe gebeten haben, haben sie uns immer zurückgewiesen.«

Zudem haben die Mitte-Links- Parteien Schwierigkeiten mit eindeutiger Polizeikritik. »Die italienische Linke trifft Mitschuld an der faschistischen Kultur der Polizisten und des Polizeiapparats, da sie nie versucht hat, die Polizei mit zu kontrollieren, und auf die Demokratisierung des Polizeiapparates gänzlich verzichtet hat«, so Tambuscio. »Der amtierende Polizeichef und die wichtigsten Polizeibeamten, die jetzt auf der Anklagebank sitzen, wurden von der letzten Mitte-Links-Regierung eingesetzt. Deshalb wollen sie zu diesen Leuten nicht Stellung nehmen. Sie haben uns nicht geholfen. Im Gegenteil, ich wurde sogar von der linksliberalen Zeitung La Repubblica angegriffen.«

Unterstützung leisten hingegen die Kommunisten von Rifondazione Comunista, die auch stark im Komitee »Wahrheit und Gerechtigkeit für Genua« vertreten sind. Allerdings erschienen nur wenige Aktivisten der sozialen Bewegungen zum Prozessauftakt. Auch die Presse hielt sich stark zurück: Außer der linken Tageszeitung il manifesto und der La Repubblica kamen nur Regionalzeitungen, die konservativen wie auch die von Berlusconi dominierten Medien ignorierten das Ereignis.

Für die weitere Entwicklung des Prozesses lassen sich weniger klare Aussagen treffen. Zu erwarten ist, dass die Verteidigung versuchen wird, den Prozess in die Länge zu ziehen. Mit einem Urteil wird dann auch erst in fünf Jahren gerechnet.