Eine Bombe schlägt ein

Der Bombenanschlag in Köln-Mülheim Anfang Juni hat zur Verunsicherung der dort lebenden Türken geführt. Von den Tätern fehlt jede Spur. von jörg kronauer

Verunsichert blickt der Wirt über die Theke. Die Nagelbombe? Nein, dazu könne er nichts sagen, wehrt er ab. Er sei nicht da gewesen, als sie explodierte, teilt er mit und taxiert den Fragenden misstrauisch. »70 Cent für das Fladenbrot!« Rasch kassiert der Mann und wendet sich ab, dem brutzelnden Kebap zu.

Anders geworden ist die Keupstraße in Köln-Mülheim, seit am 9. Juni dort eine Bombe explodierte. Sie war auf ein Fahrrad montiert, mit Fernzünder versehen und mit zehn Zentimeter langen Nägeln bestückt. Vor einem Friseurladen in der belebten Geschäftsstraße brachte der Täter sie gegen 16 Uhr zur Detonation. 22 Menschen wurden verletzt, vier davon schwer. 14 Häuser wurden beschädigt, Fensterscheiben zersplitterten noch in einer Entfernung von 100 Metern, die Stahlstiftgeschosse durchschlugen mehr als ein Dutzend Autos. Es war ein Zufall, dass niemand ums Leben kam.

Leer ist die Keupstraße seitdem. Verschwunden sind die Plauderrunden vor den Dönerläden, weg ist die bunte Alltagsbetriebsamkeit. Im Viertel herrscht Angst vor einem erneuten Terrorakt. Viele meiden den Ort des Anschlags und ziehen sich in ihre Wohnungen zurück. Eine alte Frau mit Kopftuch schleppt Einkäufe nach Hause, ein paar junge Männer, zwanghaft unerschrocken, inspizieren unter lautem Gerede den Motor eines dunklen BMW. Ansonsten breitet sich drückende Stille über dem ehemals so lebendigen Ort aus. Die Bombe zeigt ihre Wirkung.

Wer auch immer der mutmaßliche Täter mit den blonden Haaren unter der Baseballkappe ist, von dem ein Fahndungsfoto existiert: Er muss gewusst haben, dass hauptsächlich Migrantinnen und Migranten seinem Anschlag zum Opfer fallen würden. In der Keupstraße dominiert die türkische Sprache. Türkische Restaurants, Lebensmittelläden und die üblichen Männercafés prägen die Szenerie. Von einer »orientalischen Inszenierung« spricht der Kölner Sozialwissenschaftler Erol Yildiz, er nennt das Straßenbild »eine Mischung aus einer Konzession an die Wünsche der Einwanderer und an die europäischen Orientvorstellungen«. Die Inszenierung ist gelungen. Als »Klein-Istanbul« ist die Keupstraße über Köln hinaus bekannt. Wer Türkisch sprechen oder türkische Waren kaufen will, geht dorthin.

Da der Anschlag ausgerechnet hier geschah, ist eine rassistische Botschaft der Bombe nicht auszuschließen. Zumal Kölner Rassisten derzeit in der Offensive sind. Nazischmierereien nehmen in Mülheim zu, berichtet Florian Meier von der Initiative Mülheim gegen Rechts. »Auf die Wand einer Moschee im Westen des Viertels wurde in großen Lettern ein Hakenkreuz und ›Frohe Ostern Kanaken‹ geschmiert, an der Fassade eines Supermarktes prangt ›Türken raus‹, ganz in der Nähe ›Kanakenbüttel verrecke‹.«

Vor allem die Bürgerbewegung Pro Köln macht konsequent Stimmung gegen Migrantinnen und Migranten. Aufgebaut von dem rechtsextremen Politaktivisten Manfred Rouhs, versucht sich die Organisation seit Jahren in Kommunalpolitik und überzieht von Stadtviertel zu Stadtviertel die angeblich weltoffene Metropole mit Kampagnen, um die Kölnerinnen und Kölner zur offenen Äußerung rassistischer Ressentiments zu animieren.

Pro Köln fordert: »Nein zum Roma-Zentrum am Venloer Wall!«, kämpft gegen Flüchtlingsheime in mehreren Stadtteilen, gegen Jugendgangs aus dem ehemaligen Jugoslawien und warnt vor »Ausländerkriminalität«. Gemeinsam mit Aktivisten der NPD marschierte die Bürgerbewegung im vergangenen Jahr durch Mülheim, protestierte »gegen Multikulturalismus« und gegen eine geplante Moschee.

Der Aufmarsch, ermöglicht durch ein riesiges Polizeiaufgebot, ist in Mülheim noch gut in Erinnerung, ebenso die Unterschriftenaktion gegen den Bau der Moschee, die Pro Köln in dem rechtsrheinischen Stadtteil durchführte. Auch hier hingen die Wahlplakate der NPD mit der Aufschrift »Gute Heimreise«, die Partei vervierfachte ihr Ergebnis bei der Europawahl im Stadtbezirk auf mehr als ein Prozent. Dass der »Dreifachmörder von Overath«, Thomas Adolf, vor Jahren in der rechtsextremen Szene Kölns aktiv war, ist auch in der Keupstraße bekannt. Als die Nagelbombe detonierte, erinnerten sich manche daran.

Nicht so die Bundesregierung. Keinerlei Hinweis auf ein »ausländerfeindliches oder terroristisches Motiv« konnte Bundesinnenminister Otto Schily bisher erkennen, er vermutete bereits einen Tag nach dem Anschlag einen »kriminellen Hintergrund«. Die Polizei befragte nach Medienberichten ehemalige PKK-Aktivisten und »Graue Wölfe«, zog auch im Rotlicht- und Türstehermilieu Erkundigungen ein. »Wurde bislang überhaupt in der wachsenden Kölner Neonaziszene ermittelt?« fragt Mülheim gegen Rechts verärgert in einem Flugblatt. »Wir ermitteln in alle Richtungen«, sagt ein Polizeisprecher der Jungle World.

Die örtlichen Medien stellen unterdessen eigene Überlegungen an. »Immer wieder stellen manche die Keupstraße als Hochburg von Prostitution und Drogenhandel dar«, beklagt Eva Glattfeld, die Pressesprecherin der Interessengemeinschaft Keupstraße, die sich die »Förderung des friedlichen Zusammenlebens unterschiedlicher Nationalitäten« zum Ziel gesetzt hat. »Das ist völlig falsch«, kommentiert Glattfeld. Es werde suggeriert, »dass die Menschen in der Keupstraße, die Opfer eines Bombenanschlags wurden, selbst die Täter sind«, sagt Florian Meier.

Ein prominentes Beispiel ist der WDR. Die Mülheimer Nagelbombe ähnele Sprengkörpern, die »in anderen Ländern« zur Einschüchterung bei Erpressungen eingesetzt würden, zitiert der Kölner Express den Sender.

Meier hat andere Erkenntnisse. »Ähnliche Nagelbomben wurden 1999 in London verwendet, dort attackierte ein britischer Neofaschist zwei multikulturelle Stadtteile und einen Schwulenpub«, berichtet er. Drei Menschen kamen damals ums Leben, mehr als hundert wurden verletzt. Der Täter habe Kontakte zur britischen Neonaziszene unterhalten und mit seinen Anschlägen einen »Rassenkrieg« auslösen wollen, erinnert sich der Aktivist von Mülheim gegen Rechts.

Mit einem Solidaritätsfest will die Interessengemeinschaft Keupstraße am 11. Juli »ein Zeichen setzen gegen den Terror und die Angst«. Die Verletzten seien inzwischen auf dem Wege der Besserung, auch die Stimmung in der Keupstraße entwickle sich »ganz positiv«, berichtet Eva Glattfeld, vielleicht etwas zweckoptimistisch, der Jungle World. Das Fest soll auch der Sympathiewerbung für die meist türkischen Läden in der Keupstraße dienen, die seit dem Anschlag unter Umsatzeinbußen leiden. »Einer betroffenen Druckerei brach der Umsatz sogar zu zwei Dritteln weg«, sagt Glattfeld.

Leer ist die Keupstraße fast vier Wochen nach dem Anschlag immer noch. In den sechziger Jahren warb die Mülheimer Industrie ausländische Arbeitskräfte an; viele von ihnen zogen in verfallende Häuser, die von Deutschen, die bessere Wohnungen gefunden hatten, aufgegeben wurden. Viele dieser Häuser befinden sich in der Keupstraße, Migrantinnen und Migranten haben die Straße im Laufe der Jahrzehnte neu eingerichtet und ihr ein eigenes Flair verliehen. Die Bombe und die Angst vor rassistischem Terror veränderten die Atmosphäre der Gegend nun erneut.