Vor dem Sturm

Die CDU will Deutschland retten, und sie weiß auch schon, wie. Auf ihrem Wirtschaftstag sagte die Partei, was sie zu tun gedenkt, wenn sie an die Regierung kommt. von stefan wirner

Michael Rogowski hat eine Vision. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) erwacht im Jahr 2010 und findet ein völlig anderes Deutschland vor. Das Land ist die »gentechnische Apotheke der Welt« geworden, ist übersät mit Eliteuniversitäten, die »Kinder lernen schon in der Schule, was Wirtschaft heißt und wie man Geld verdient«. Rogowski schlägt die Augen auf und sieht: »Wir sind wieder richtig handlungsfähig geworden.« Denn es gebe einen »Wettbewerbsföderalismus«, in dem das Bundesland, das besser sei, auch etwas davon habe. »Wir haben Länder zusammengelegt und die Wahltermine.« In Rogowskis Traum hat Deutschland »den Korporatismus« überwunden.

Diesen Traum, der für manche wohl eher ein Alptraum ist, schilderte Rogowski am Donnerstag voriger Woche auf dem Wirtschaftstag des Wirtschaftsrats in der CDU im Berliner Hotel Intercontinental. Das alljährliche Treffen stellt eine Lobbyversammlung von Unternehmern dar, die Mitglieder der CDU sind oder ihr nahe stehen.

Auf verschiedenen Podien wird der Zustand Deutschlands unter der rot-grünen Bundesregierung analysiert. Die Veranstaltung unter dem Titel »Industrienation Deutschland 2010: Staatsversagen oder Aufbruch« moderiert Carl Graf Hohental von der Zeitung Die Welt. Er warnt mit bitterer Miene: »Wenn es so weitergeht, müssen wir uns fragen, ob wir überhaupt noch eine Industrienation sind.« Seine Diagnose lautet: »Wir sind nicht nur physisch krank, sondern auch mental.« Die »Abwärtsspirale« gehe so weit, »dass man sich im Ausland Sorgen um uns macht«.

Friedrich »Nostradamus« Merz, der Fraktionsvorsitzende der CDU im Bundestag, sieht das genauso. In seinem Beitrag zeichnet er ein derart düsteres Bild von den deutschen Zuständen, dass man geneigt ist, sofort die Hälfte seines Lohnes oder seines Arbeitslosengeldes an Deutschland zu überweisen, um das Land vor dem Sturz in den Abgrund zu bewahren.

In unseren Nachbarländern sei nicht mehr von der deutschen Dominanz die Rede, wie etwa kurz nach der Wiedervereinigung, vielmehr gelte das Land als der »kranke Mann Europas«, sagt Merz. Deutschland lebe »nicht nur von der Substanz, wir alle leben auf Kosten der nachfolgenden Generationen«, und dies sei »amoralisch«.

Die Stunde der Moral schlägt beim gleichzeitig stattfindenden Podium zum Thema »Aufstand der Jugend – Zukunft im eigenen Land«, auf dem unter anderen Philipp Mißfelder, der Vorsitzende der Jungen Union, auftritt. Er machte im vorigen Jahr auf sich aufmerksam, als er forderte, nicht mehr jedem Rentner, der es benötigt, ein neues Hüftgelenk zu finanzieren.

Merz redet indes eindringlich auf die versammelten Unternehmer ein. Er hört sich an wie ein entschlossener Freiheitskämpfer in einer »vorrevolutionären« Zeit (Gerhard Schröder). »Unser Ziel muss sein, innerhalb einer Dekade dieses Land aus der Schlussposition in der Europäischen Union an eine Spitzenposition zu führen«, macht er seiner Freiheitsbewegung Mut. »Das setzt eine geistige Anstrengung, eine politische Anstrengung und manchmal auch eine materielle Zumutung voraus.«

Wen die »materielle Zumutung« treffen soll, darüber besteht unter den christdemokratischen Verschwörern kein Zweifel: die Lohnabhängigen und Arbeitslosen. »Absolute Priorität« habe der Arbeitsmarkt. »Es muss wieder einen Arbeitsmarkt geben und nicht die Bewirtschaftung von Arbeitslosigkeit«, fordert Merz. Diese Ansicht teilt er mit Rogowski, der sich »ein Recht auf Markt, ein Recht auf Arbeitsmarkt« in der Verfassung wünscht.

Nach der Regierungsübernahme spätestens im Jahr 2006 will Merz sofort handeln: »Die neue Regierung muss auf diese Politik vorbereitet sein mit ausformulierten Gesetzen, die unmittelbar nach der Wahl ins Parlament eingebracht werden. Auch gegen Widerstand und Widerspruch.« Die einzige dann binnen eines Jahres anstehende Landtagswahl in Bremen im Jahr 2007 werde man ja wohl noch überstehen. Schallendes Gelächter im Saal.

Es herrscht große Einigkeit auf dem Wirtschaftstag. Der deutsche Staat unter der rot-grünen Regierung sei »marode« und »verrottet«. Die Einigung des Vermittlungsausschusses des Bundesrates und des Bundestages über die Zusammenlegung der Arbeitslosen- mit der Sozialhilfe, die am Vorabend zustande kam, wird als »Schritt in die richtige Richtung« begrüßt. Die Antrittsrede des neuen Bundespräsidenten Horst Köhler erhält überschwängliches Lob. Er hatte einen »neuen Aufbruch« in Deutschland gefordert, damit es ein »zupackendes Land« werde. Die christdemokratische Zeitenwende scheint in Sicht.

Deutschland müsse wieder »Motor« in Europa werden, Deutschland müsse zurück an die »Spitze«, heißt es immer wieder. Der Weg an die Spitze aber führt im Denken der Christdemokraten nur über die Leiche der Gewerkschaften. Kurt Lauk, der Präsident des Wirtschaftsrates der CDU, sagt in seiner Eröffnungsrede: »Wir brauchen auch in Deutschland mehr Politiker, die sich nicht scheuen, die Gewerkschaften anzufassen.« Wilhelm Bonse-Geuking von der Deutschen BP AG findet, dass die Gewerkschaften »ein Übermaß an Macht« angesammelt hätten, er nennt die Tarifautonomie, die Mitbestimmung und das Betriebsverfassungsgesetz. Rogowski klagt, dass zu viele Gewerkschafter und Beschäftigte des öffentlichen Dienstes im Bundestag säßen. Will er ihnen das passive Wahlrecht entziehen? Ist vielleicht die ganze Demokratie ein Hindernis bei der Bewältigung der Krise?

Als Katalysator für Deutschlands angestrebten Wiederaufstieg aus der »2. Liga« (Bonse-Geuking) soll die völlige »Deregulierung« des Arbeitsmarktes dienen. Im Weltbild der Christdemokraten und ihrer Unterstützer ist Deutschland umstellt von eigentlich zweitklassigen Ländern, die ihren Arbeitsmarkt derart dereguliert hätten, dass bei ihnen inzwischen alles wie am Schnürchen laufe und alle nur noch die Stirn über Deutschland runzelten.

Im globalisierten Wettbewerb sei »das Instrument des Flächentarifvertrages« nicht geeignet, sagt Angela Merkel, die Vorsitzende der CDU, bei der Vorstellung des »Masterplans Deutschland« (siehe Seite 7). Merkel dankt dem Vorstandsvorsitzenden von Siemens, Heinrich von Pierer, ausdrücklich dafür, dass er die Gewerkschaften nötigte, der Einführung der 40-Stunden-Woche in den nordrhein-westfälischen Siemens-Werken zuzustimmen. Sie freue sich, dass er gesagt habe: »Entweder ihr arbeitet länger und verzichtet noch auf anderes, oder ich gehe ins Ausland.« Die Deutschen müssten »den Ernst der Lage erkennen« und verstehen, »was das ist, unsere Zeit«, sagt Merkel. Die Servicekräfte, die auf dem Wirtschaftstag die Brötchen und den Sekt servieren, dürften zumindest verstehen, was demnächst auf sie zukommt.

Die ehemalige Umweltministerin fordert auch eine Renaissance der Nutzung der Atomkraft, Tschernobyl und Harrisburg sind nur noch Chiffren der Vergangenheit. Am Ende ihrer Rede ruft sie dem Auditorium zu: »Wir müssen die Wachstumsfelder nach Deutschland holen.« Sie ist überzeugt: »Veränderung kann Spass machen.« Ab 1. Januar. Wenn Langzeitarbeitslose Sozialhilfeempfänger sind. Juhu.

Aber die CDU zeigt an diesem Tag auch, dass sie nicht nur in die Zukunft blickt. Man gönnt sich auch eine kleine Reise in die Vergangenheit. Dem französischen Ministerpräsidenten Jean-Pierre Raffarin wird die Ludwig-Erhard-Gedenkmünze in Gold des Wirtschaftsrates überreicht. Die Laudatio hält der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl. Die Korruptionsaffäre hat die CDU endgültig überwunden, den »sehr geehrten Herrn Bundeskanzler«, wie Lauk sich ausdrückt, hat man wieder ins Herz geschlossen. Helmut Kohl wünscht sich, dass »wir den uns zustehenden Platz wieder einnehmen«. Auch er darf mitmachen beim Sturm an die Spitze.